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Das Abschlachten geht weiter
Rubrik

Brutale Gewalt geht weiter Gedenken an tote LGBTI*-Menschen sind wichtig, aber nicht ausreichend

ms - 25.01.2023 - 12:00 Uhr

Kommentar

An diesem Freitag gedenkt der Deutsche Bundestag erstmals den LGBTI*-Opfern, die während der Nazi-Zeit verfolgt, gejagt, inhaftiert und ermordet worden sind. Viele tausende Schwule, Lesben und queere Menschen waren vor mehr als achtzig Jahren auf der Flucht vor einem politischen System, das ihren Tod wollte und ihnen grundlegende Menschenrechte aberkannte. Ganz ähnlich zeichnet sich die Lage in diesen Tagen in Afghanistan ab.

Fahndung nach LGBTI*-Menschen

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 werden LGBTI*-Menschen mit aller Härte gejagt, verfolgt, ausgepeitscht und umgebracht. Die Taliban gehen von Ort zu Ort, durchsuchen Wohnungen und Häuser, suchen nach jedem möglichen Versteck. Wer den Flüchtigen hilft, dem droht selbst der Tod. Freunde und Familienmitglieder von Homosexuellen werden solange gefoltert, bis der Gesuchte sich “freiwillig“ stellt und daraufhin in eigens eingerichteten Gefängnissen für LGBTI*-Menschen langsam über Tage oder manchmal sogar Wochen immer wieder gefoltert und schlussendlich ermordet wird.

1.000 Flüchtlinge pro Monat? Bis jetzt kam niemand!

Spricht man mit Afghanen, die das Martyrium überlebt haben oder LGBTI*-Aktivisten, die seit vielen Monaten versuchen zu helfen, schnürt sich einem von Minute zu Minute mehr die Kehle zu. Über ein Jahr lang schwieg auch die damals noch junge deutsche Bundesregierung zum Thema Afghanistan, dann erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass man ab November 2022 monatlich 1.000 Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen wolle, darunter auch LGBTI*-Menschen. Bis heute wurde nicht ein einziger Flüchtling aus Afghanistan in Deutschland aufgenommen, auch kein einziger LGBTI*-Afghane. Vereinzelt soll es zwar bereits zu ersten Zusagen für eine Aufnahme gekommen sein, die Rede ist aber von nicht mehr als einem guten Dutzend LGBTI*-Menschen.   

Bürokratische Hürden

Nach den Aufnahmezusagen sind die Menschen dann allerdings noch lange nicht in Sicherheit, denn sie müssen zunächst aus eigenen Kräften nach Pakistan ausreisen, um von der deutschen Botschaft in Islamabad ein Einreisevisum für Deutschland zu erhalten. Dies ist wiederum nur mit einem gültigen afghanischen Reisepass und einem Einreisevisum für Pakistan möglich. Ohne diese Dokumente können LGBTI*-Flüchtlinge weder legal aus Afghanistan ausreisen, noch legal in Pakistan einreisen. Die deutsche Botschaft erteilt aber nur unter diesen Voraussetzungen überhaupt Einreisevisa nach Deutschland. Die Beantragung eines Passes kostet indes rund 2.000 Euro – eine unvorstellbar hohe Summe für LGBTI*-Menschen auf der Flucht.

Ein ähnliches Schicksal ereilt alle homosexuellen und queeren Menschen, die bereits vorausschauend vor einigen Monaten vor den tödlichen Milizen der Taliban nach Pakistan geflüchtet sind. Sie können gar nicht erst einen Antrag auf Asyl in Deutschland stellen, das dürfen nur LGBTI*-Flüchtlinge direkt von Afghanistan aus. Ihre Idee, frühzeitig zu fliehen, rettete ihnen zwar vorerst das Leben, doch jetzt sitzen sie im Nachbarland in der Falle.

Einzelne Beispiele von zahlreichen bürokratischen Hürden, die in der Öffentlichkeit kaum publik werden, derweil die Lage vor Ort von Tag zu Tag immer schlimmer wird. Erst in diesem Monat wurden neue öffentliche Auspeitschungen von homosexuellen Männern in Afghanistan bekannt – auch das nur die Spitze des Eisberges. Menschenrechtsbeauftragte und LGBTI*-Aktivisten, die Kontakt zu Afghanen vor Ort haben, wissen: Die Lage ist noch viel grausamer, nahezu unvorstellbar.

Deutschland hilft mehr als alle anderen

Eigentlich agiert Deutschland trotz seiner menschenverachtenden Bürokratie, in der LGBTI*-Flüchtlinge in einem IT-basierten Punktesystem einmalig und dann dauerhaft auch bei vielleicht veränderter Ausgangslage vor Ort in einem Ranking als mehr oder weniger gefährdet eingestuft werden, noch vorbildlich – die Bundesrepublik ist neben Kanada das einzige Land weltweit, das überhaupt ein Aufnahmeverfahren für LGBTI*-Afghanen ins Leben gerufen hat.

In Kanada scheinen die Richtlinien dabei noch komplexer, schwieriger und langwieriger zu sein – Verfahren mit zwei Jahren Bearbeitungszeit stehen im Raum. Bis dahin, da sind sich Experten sicher, wird es keine homosexuellen Menschen mehr in Afghanistan geben, die es zu retten gilt. Mit genügend Bitterkeit in der Stimme könnte man festhalten, dass die Aufnahmeverfahren sich mit der Zeit selbst obsolet machen.

Mehr Einsatz, weniger Bürokratie

Kommen wir zurück nach Deutschland: Wir gedenken am Freitag Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität in einem menschenverachtenden System verfolgt und ermordet worden sind. Ein wichtiges Gedenken, fürwahr. Meinen wir es wirklich ernst damit, sollten wir vielleicht auch mehr Einsatz zeigen bei der Rettung von LGBTI*-Menschen, die jetzt ganz aktuell unter einem ähnlichen menschenverachtenden System brutal gejagt, ausgepeitscht und regelrecht abgeschlachtet werden – und das nur, weil sie beispielsweise schwul, lesbisch oder transsexuell sind. Wichtiger als jedes bedächtig ausgesprochene Wort wäre ein unbürokratischer Einsatz im Hier und Jetzt.   

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