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Riccardo Simonetti

Ausgequetscht Riccardo Simonetti

vvg - 30.07.2022 - 12:00 Uhr

ist ein deutscher Entertainer, Moderator, Autor, Model, Schauspieler und Kolumnist. Im TV-Geschäft zählt er zum „…Beste(n), was der deutschen Fernsehunterhaltung passieren konnte.“

Glückwunsch, deine Initiative feiert gerade Einjähriges ...

Worauf ich besonders stolz bin, weil ich mich, seit ich ein Teenager war, damit beschäftigt habe, irgendwann einmal einen gemeinnützigen Verein zu gründen. Die „Riccardo Simonetti Initiative“ unterstützt bereits bestehende Organisationen, setzt aber auch eigene Projekte um. Dabei geht es nicht nur um queere, sondern um alle marginalisierten Menschengruppen. Derzeit arbeiten wir zum Beispiel an einer LGBTQI*-Broschüre, die wir Schulen, Bildungseinrichtungen aber auch anderen Vereinen kostenlos zur Verfügung stellen wollen, um so unter anderem Lehrer*innen und Schüler*innen damit in Berührung zu bringen. Außerdem wird jetzt im Sommer bereits unsere zweite große Awareness Kampagne überall in Deutschland auf Plakaten, aber natürlich auch online zu sehen sein. Dabei unterstützen uns viele andere Aktivist*innen, was mich wirklich glücklich macht.

Das Kuss-Foto mit deinem Freund Steven steht für Sichtbarkeit. Georg Ueckers Kuss in der Lindenstraße war ebenso ein Skandal wie der „Mauerkuss“ zwischen Breschnew und Honecker. Ist laut der Prinzen „Küssen (unter Männern) verboten“?

Verboten nicht, aber es ist immer ein Statement und für viele Menschen noch ungewohnt. Selbst unter schwulen Männern ist es gar nicht so normal, den Partner in der Öffentlichkeit zu küssen. Ich habe gelesen, dass die Hälfte aller gleichgeschlechtlichen Paare in Deutschland sich nicht traut, auf der Straße Händchen zu halten oder sich zu küssen. Aber ich würde ja auch nicht dazu beitragen, dass das besser wird, wenn ich mich mit meiner Beziehung zurückhalte.

Beim „Buchstaben-Battle“ warst DU die Leuchte, bei „Wer stiehlt mir die Show“ hast du sogar ProSieben zum Leuchten gebracht...

Ich hatte mir im Rahmen von „Wer stiehlt mir die Show“ überlegt, was ich machen könnte, um etwas für die Community zu tun und kam auf die Idee, den Sender leuchten zu lassen. Joko war einverstanden und auch die Chefetage von ProSieben -– so kam es, dass das Senderlogo zum ersten Mal in Regenbogen erstrahlte.

Auch beim „Supertalent“ hast du geglänzt. Was kannst du eigentlich nicht?

Singen kann ich absolut nicht –; tue es aber trotzdem leidenschaftlich gerne (lacht).

Wie wichtig ist es dir, dass du als Vorbild der Gay-Community in Familien-Shows eingeladen wirst?

Man muss mich nicht als Vorbild sehen und es ist nicht mein Wunsch, dass sich alle schwulen Männer mit mir identifizieren. Ich will nur – wenn ich in familienfreundlichen Sendungen auftrete – meinen persönlichen Teil zur Sichtbarkeit beitragen. Anfangs hieß es zu mir oft, dass ein schwuler Mann, der auch aktiv schwule Themen in den Vordergrund rückt, nichts in Familiensendungen zu suchen hat. Das eine muss aber das andere nicht ausschließen, davon war ich immer überzeugt. Ich hoffe, dass ich durch meine Präsenz die mir angebotene Plattform nutzen kann, um Sichtbarkeit auf die Community zu richten.

Wie stehst du zum Kompliment: „Du bist das Beste, was der deutschen Fernsehunterhaltung passieren konnte!“?

Das bedeutet mir sehr viel. Als ich vor zehn Jahren beim Fernsehen anfing, waren erst einmal alle Türen verschlossen. Ich habe oft zu hören bekommen, dass das Deutsche Fernsehen für jemanden, der das repräsentiert, was ich repräsentiere, nicht bereit ist. Dass ein sichtbar schwuler Mann, der das vor allem auch thematisiert, nicht für die breite Masse geeignet ist. Das man dies heute schon anders sieht, macht mich stolz und glücklich.

Du hast das Kinderbuch: „Raffi und sein pinkes Tutu“ geschrieben. Wie viel Raffi steckt in Ricardo?

In mir steckt schon viel Raffi. Ich war schon immer ein Mann, der sich mit vermeintlich zu vielen femininen Dingen umgeben hat. Ich fand es cool mal ein Kleid anzuziehen, was heutzutage immer noch provoziert. Man kann nicht früh genug anfangen, mit Kindern darüber zu sprechen, wie wichtig es ist, nett zu ihren Mitmenschen zu sein. Im Buch wird auch das Wort „Schwulsein“ kindgerecht erklärt, weil Worte wie „schwule Sau“ auf Schulhöfen immer noch das Schimpfwort „Nummer Eins“ sindist. Das Buch soll einfach ein liebevolles Plädoyer für Toleranz und Akzeptanz sein.

Raffis Vater reagiert mit den Worten: „Was andere sagen, ist nicht so wichtig. Es ist nicht schlimm, anders zu sein!“. Warum reagieren eigentlich so wenig Väter so vorbildlich?

Es ist nicht einfach, Vater oder Mann in einer Gesellschaft zu sein, weil diese so viele Anforderungen stellt, wie ein Mann zu sein hat. Wer diesen Druck erfahren hat, gibt ihn oft ungewollt an die nächste Generation weiter.

Dafür war deine Mutter im Buch „Mama ich bin schwul“ großartig. Wie verlief dein Outing?

Schrittweise. Es gab nie den einen Moment, wo ich sagte: „Jetzt ist es soweit!“. Es war ein längerer Prozess, bis ich mir selber darüber klar war. Meine Mama hatte anfangs schon ihre Problemchen, dass ich anders war als das, was sie vielleicht erwartet hatte Sie kommt aus einem süditalienischen, konservativ katholisch geprägten Elternhaus, wo die Themen, die ich mitbrachte, nicht auf der Tagesordnung waren. Aber sie hat dazugelernt und mir gezeigt, dass sie mich mehr liebt, als die Meinung der Gesellschaft. Deswegen ist sie in meinen Augen ein tolles Vorbild für andere Eltern.

Welchen Rat gibst du denjenigen, die sich noch nicht trauen, darüber zu sprechen?

Ganz banal: Das Leben macht viel mehr Spaß, wenn man als die Person lebt, die man ist. Jeder offene Schwule weiß genau, wovon ich spreche. Man ist glücklicher, wenn man sich nicht zurückhalten oder verstecken muss. Aber nur, weil wir das als Individuum schaffen, heißt es nicht, dass die ganze Gesellschaft schon so weit ist. Und es ist wichtig, dass jeder sich seinen Moment sucht – man fühlt das. Und man sollte darauf vertrauen, dass das eigene Umfeld einen auffängt und so liebt, wie man ist.

Und welchen Rat gibst du den stummen, nichts merken-wollenden Eltern?

Mir tun die Eltern einfach leid, weil sie nur verpassen, was sie für wundervolle Kinder haben. Es gibt Eltern, die ihre Kinder verstoßen, weil sie schwul oder anders sind, als sie es vielleicht dachten. Ich wünschte, sie würden einfach ihre Augen aufmachen und endlich erkennen, was für tolle Kinder sie haben, anstatt an gesellschaftlichen Konventionen festzuhalten.

Du machst viel für die Szene – tut sie auch etwas für dich?

Ich finde generell, dass sich die Community in Deutschland öfter selber den Rücken stärken sollte. Ich habe nicht das Gefühl, dass man die ganze Zeit füreinander da ist. Aber ich muss sagen, ohne unsere Community wäre ich auch nicht der Mann, der ich bin. Mein ganzes Umfeld besteht aus queeren Personen, die mir viel beigebracht haben. Als ich nach Berlin kam, war ich im wahrsten Sinne des Wortes eine Jungfrau und hatte keine Ahnung, was auf mich zukommt. Ich bin dankbar, dass ich eine Community fand, die mich an die Hand nahm und mir zeigte, wie mein Leben aussehen kann. Aktivisten:innen wie Barbie Breakout, Johannes Kram und Conchita Wurst geben mir auch heute emotionalen Input, wenn ich in einer schweren Phase bin.

Wie gehst du mit negativen Äußerungen und Shitstorms um?

Das verletzt mich schon sehr, vor allem, wenn es aus der Community kommt. Ich bin, wie ich bin und versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass Jungs wie ich – die es da draußen gibt – etwas mehr Sichtbarkeit bekommen. Das ist meine Realität. Gleichzeitig bedeutet das aber nicht, dass ich das Vorbild aller schwulen Männer sein möchte. Auch wenn mir das immer wieder mal unterstellt wird: Es ist nicht mein Anspruch, die ganze Community zu repräsentieren, aber ich versuche, die Plattform, die ich habe zu teilen: Ich lade immer auch Leute aus der Community in meine Projekte ein oder schaffe Arbeitsplätze für queere Personen. Manches Mal würde ich mir ein bisschen mehr Verständnis für meine Situation wünschen, weil ich wirklich permanent versuche, umsichtig zu sein und darauf achte, dass möglichst viele Leute etwas davon haben, dass ich heute über eine Plattform verfüge. Es gibt viele Mitglieder der LGBTQ* Community -– auch in der Öffentlichkeit -– von denen ich persönlich mich als Individuum auch nicht unbedingt repräsentiert fühle. Haben sie deshalb nicht auch ihren Platz verdient und ist ihre Arbeit, die sie vielleicht für die Community tun deshalb weniger wert? Nein. Ich finde es gut und wichtig, dass wir auch innerhalb einer Community unterschiedlich sind und uns auf unterschiedliche Art und Weise einsetzen und sichtbar machen. Aber ich finde ein gegenseitiges an den Pranger stellen nie den richtigen Weg. Am Ende des Tages versuche ich solche Gefühle aber auch wieder abzuschütteln, weil ich weiß, wie viel ich tue und mit wie viel Herzblut ich versuche einen Mehrwert zu schaffen, der anderen Menschen helfen kann. Und ich versuche mich darauf zu konzentrieren und mich nicht von Menschen beeinflussen zu lassen, die mir Steine in den Weg legen wollen.

Du bist immer gut gelaunt. Was macht dich wütend?

Es ist schon ein schwieriges Gefühl, wenn man zum Beispiel während einer Sendung aufs Handy schaut und homophobe Menschen homophobe Bemerkungen abgeben. Auch wenn die Partei (die ich nicht nennen möchte) mein Kinderbuch aussucht und daraus homophobe Ideologien strickt, macht mich das wütend, weil es junge Leute beeinflusst, die noch nicht den Mut haben, die Person zu sein, die sie wirklich sind. Die lesen so einen Quatsch und werden noch mehr eingeschüchtert.

Das Forbes Magazin wählte dich unter die „30under30 - Du bekamst den „People’s Choice Award“ und wurdest als „Idol of the Year“ ausgezeichnet. Entsteht da nicht Druck?

Total. Als ich zu den 30 unter 30 gewählt wurde, habe ich gedacht, alles was ich jetzt mache, wird gemessen daran, ob ich meinen Einfluss richtig nutze. Ich kann nichts mehr just for fun machen. Aber ich versuche mir immer in Erinnerung zu rufen, dass ich nur ein Mensch bin und auch nur Bock auf etwas habe, was mir Freude bringt. Und das will ich mit den Menschen teilen.

Hast du Angst vor Ü 30, dem Altwerden?

Ich verbinde die Zahl 30 noch nicht mit dem Altwerden. Ich persönlich empfand Männer, die älter waren als ich, immer als unglaublich attraktiv. Deswegen habe ich keine Angst davor, selber mal so ein Mann zu werden.

Wärst du gerne mal für einen Tag eine andere Person?

Ich hätte gerne mal politischen Einfluss in Ländern, die immer noch LGBTQ*-feindlich sind, um dort die Gesetzeslage zu ändern, damit offen Teil der LGBTQ* Community zu sein, kein Problem mehr wäre. Und auf persönlicher Ebene würde ich mich gern in Marylin Monroe verwandeln, einfach um zu erfahren, wie es in ihr drin ausgesehen hat.

Du hast über 400.000 Follower – und wie viele echte Freunde?

Ich mache mein eigenes Selbstwertgefühl nicht davon abhängig, was auf Instagram passiert. Ich habe festgestellt, wenn ich über meine Haare berichte oder schöne Bilder poste, kommt das gut an. Wenn ich aber ein Video mache, um über HIV aufzuklären oder über Homophobie in Ungarn spreche, um Leute auf so etwas aufmerksam zu machen, ist die Reichweite schnell gedrosselt. Ich habe in meinem Umfeld drei bis fünf Menschen, die in meinem täglichen Alltag eine Rolle spielen. Und ich bin meinem besten Freund Strify und meinem festen Freund Steven dankbar, weil die mir durch alle emotionale Krisen helfen.

Momentan sieht man dich als „Süßes Früchtchen“ auf Werbeplakaten - wie siehst du dich in 10 Jahren?

Na hoffentlich immer noch saftig. (lacht)

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