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Sven Ratzke // © vvg

Sven Ratzke „STARMAN“

vvg - 03.11.2015 - 09:00 Uhr

Sven Ratzke ist ein deutsch-niederländischer Sänger und Entertainer, schillernd, bizarr, sexy, respektlos, verstörend und amüsant. Am 13. Oktober feierte er in seiner neuen Show „STARMAN“ mit der Musik von David Bowie Premiere.

Sven, deine Vielseitigkeit sieht man anhand der Titel, die dich beschreiben: Paradiesvogel, Diva, Gossenprinz, Popstar. Wie siehst du dich selbst?
Es ist ja immer so, dass man Labels braucht, damit die Leute kommen. Aber das sind Labels, die sich andere überlegt haben. Es ist sehr schwierig, mich zu beschreiben. Sogar für mich selber, weil ich ganz viele Genres einnehme. Wenn ich mich auf ein Wort beschränken müsste, würde ich mich als Entertainer bezeichnen – im weitesten Sinne des Wortes. Frank Sinatra, Bette Middler und Romy Haag sind Entertainer; es geht dabei um die Personality, um eine Person, die auf der Bühne ihr ganz eigenes Ding macht. In New York würde man das als Cabaret beschreiben, es hat aber nichts mit Kabarett zu tun. Und das Wort Kleinkunst gibt es außer in Deutschland und Holland nirgendwo auf der Welt.

Die niederländische Zeitung „Het Parool“ schrieb: „Wenn David Bowie und Eddie Izzard ein Liebesbaby hätten, würde es deinen Namen tragen“. Wärst du mit diesen „Eltern“ einverstanden?
Absolut, das ist doch super. Deswegen steht das auch auf meiner Webseite. Eddie Izzard ist jemand, der so Absurditäten-Geschichten erzählt, wo man oft gar nicht mehr mithalten kann und Bowie ist der Theatermann, der Machtmann, der alles neu erfunden hat. Das Tolle an dem Zitat ist, dass niemand sagt, ich wäre so wie der, sondern ich könnte lediglich ein Kind aus dieser Konstellation sein. Ich habe absolut keine Kritik an meinem angedichteten Elternpaar.

Hast du von „Papa“ David Bowie das Glamouröse, das Androgyne geerbt? Und wie siehst du ganz privat aus?
Das Androgyne ist ja nicht etwas, was man sich überlegt, sondern was einfach da ist. Wenn man weiß, dass man es hat, kann man es auch gezielt einsetzen. Ich habe immer solche Sachen gemacht, wie dass man Schuhe mit Absätzen trägt oder sich schminkt, und ich sehe das als ganz normal an. Es muss nur für mich immer stilvoll sein. Privat trage ich auch schicke Sachen, aber natürlich keine, die mit Edelsteinen besetzt sind. Ich trage eher schwarze, sehr bequeme Teile.

Du liebst das Androgyne. Wie viele weibliche und wie viele männliche Anteile stecken in dir?
Na, ich denke, so wie man es auf der Bühne sieht. Ich kann aber auch gemäß meiner Show „Diva Diva“ selbst eine Diva sein, das ist ja nicht immer gleich etwas Negatives. Ich habe schon vor meinem Stimmbruch Opernarien gesungen und mich zum Karneval immer als Frau zurechtgemacht. Als ich „Hedwig“ gemacht habe, war es für mich die ultimative Transformation, so eine Person zu spielen: eine weibliche Figur, die auf der Suche nach ihrer Identität ist. „Hedwig“ ist eine interessante, zwiespältige Persönlichkeit, vielleicht bin ich das auch (Anm. d. Red.: Im Kult-Stück „Hedwig and the angry Inch“ geht es um das Leben einer Berliner Transsexuellen).

Du präsentierst seit Jahren die „Deutschen Nächte in Amsterdam“ und am „Bevrijdingsdag“ die „Deutsch-niederländische Nacht“ jeweils mit namhaften Künstlern. Warum gibt es keine Niederländischen Nächte in Deutschland?
Weil die deutsche Sprache für Holländer verständlich ist. Es gibt ja holländische Künstler, die in Deutschland bekannt sind, wie Hermann van Veen oder Hans Liberg, aber die singen und spielen in Deutsch. Die niederländische Sprache hier zu promoten ist schwierig, das ist ein Hauptgrund. Und Deutschland ist ein großes Land mit einem riesigen Kulturerbe von Brecht bis Fassbinder, das weltweit bekannt ist. Das Kulturerbe der Niederländer ist eher ein geschichtliches und ein kulturelles. Es gibt zwar bekannte Maler wie van Gogh, aber niemanden in der darstellenden Kunst.

Wie geht man mit dem Druck um, wenn man im New Yorker „Joe’s Pub“ auftritt, wo schon Adele und Amy Winehouse Applaus bekamen?
Diese Hall of Fame ist schon sehr spannend. Wir hatten das Glück, direkt in den richtigen Kreis aufgenommen worden zu sein. Wir wurden ja sofort von Joey Arias präsentiert, der hat bei uns moderiert. Justin Vivian Bond – sozusagen die Georgette Dee der USA – und solche Leute kamen sehr schnell auf uns zu, und wir hatten einfach den richtigen Ort und das richtige Publikum. Man muss einfach schweinegut sein, dann erobert man die Leute auch. Und natürlich muss man auch so gut wie möglich die Sprache beherrschen. Als wir zum ersten Mal einen Monat in Edingbourough gastierten, war das schon hart. Ich konnte zwar Englisch, aber natürlich nicht das Performing-Englisch. Das hat sich erst so nach und nach entwickelt.

Beim Festival „De Parade“ hast du 2009 behauptet: „Wir haben Sexappeal?“ Wie muss für dich ein Mann mit Sexappeal aussehen?
Der muss vor allem – klischeehaft gesagt – er selbst sein. Ich sehe ja viele Menschen und Modeströmungen und werde oft gefragt, wie denn der Mann in schwulen Kreisen zu sein hat. Ich freue mich auf die Zeit, in der wir uns gar nicht mehr die Frage stellen müssen, welcher Gruppe man angehört. Meine Message ist: Mach DEIN Ding und sei so, wie DU bist. Das macht einen Typen erst attraktiv.

Du standest in „Cabaret“ und der „Dreigroschenoper“ auf der Bühne. Was fasziniert dich an der Zeit der Goldenen 20er?
Es war ein Jahrzehnt, in dem alles möglich war, keine Fragen gestellt wurden, was das jetzt auf der Bühne ist, Männlein oder Weiblein oder ganz was Undefinierbares. Vaudeville oder Varieté, da folgte ein Genre dem anderen. Alle Formen konnten stattfinden und das finde ich so gut und interessant an dieser Zeit. Es war auch ein Tanz auf dem Vulkan, da man im Hintergrund schon etwas Bedrohliches ahnte. Das ist auf der einen Seite romantisch, auf der anderen ganz schrecklich, denn niemand wusste, wie lange die Party noch gehen würde.

Bald gibt es die 20er des 21. Jahrhunderts. Wo siehst du dich dann und welche Wunsch-Projekte stehen an?
Es gibt nichts, was sich 1 zu 1 wiederholt. Wir machen ständig Neues aus dem Alten und somit wiederholen wir aber auch. Ich will nicht kommerziell werden und habe immer das gemacht, was ich wollte und nicht das, was andere wollten. Zur Zeit spiele ich „STARMAN“, eine unglaublich tolle Show, die am 13. Oktober in Berlin Premiere hatte und danach auf Welttournee geht. Danach stehen Theaterpläne mit Katharina Thalbach in Berlin an und anschließend werde ich ein etwas poppigeres Projekt machen.

Hast du Angst vor dem Alter?
Nein, gar nicht, ich finde es sehr angenehm, dass ich keine 21 mehr bin. Jetzt beginnt ein Alter, in dem man zu einer Legende wird. Allerdings: Wenn ich das Know-how eines 60-Jährigen und den Körper eines 21-Jährigen hätte, würde ich auch nicht nein sagen.

Du bist außer in Deutschland und den Niederlanden in Australien, Dänemark, Frankreich, Mexiko, Österreich, Schottland und der Schweiz unterwegs. Wo fühlst du dich zu Hause?
Die Städte, in denen ich gerne bin, sind Berlin, Amsterdam und New York. Amsterdam ist jedoch ein bisschen langweilig geworden und abends ab 22:00 Uhr tot. Berlin ist gefährlich, es ist rund um die Uhr was los. Da kann ich nicht dauernd sein, weil ich kaum zum Schlafen komme. Und in New York wohne ich bei guten Freunden, z.B. Penny Arcade, einer 65jährige Legende, die schon mit Andy Warhol Filme gedreht hat. Dort denken alle, dass ich mit meinem Pianisten Charly Zastrau, mit dem ich seit acht Jahren zusammenarbeite, ein Paar sei. Dabei sind wir eher so ein altes schwules Paar, das keinen Sex mehr zusammen hat; Gott sei Dank haben wir das „verflixte 7. Jahr“ schon hinter uns.

Kann man, wenn man immer auf Tour ist, eine Beziehung führen oder ist der „Prinz“ einsam?
Meine Beziehung habe ich mit meinem Publikum. Nein, mit dem, was ich jetzt mache, ist das nicht so recht möglich, eben weil ich ständig auf Tour bin. Aber ich sitze auch nicht traurig herum; es gibt ja in jeder Stadt so viele schöne Menschen.
 

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Du singst oft von der Liebe. Erinnerst du dich an dein erstes Mal?
Liebe bekommt ja eine andere Form, als die, die man als junger Mensch hat. Da kann man oft nicht zwischen Liebe und Geilheit unterscheiden. Ich habe mal ein Interview mit einem 86-Jährigen gelesen, der sich gefreut hat „endlich frei von der Libido zu sein, um endlich klar denken zu können!“ Vielleicht hat er ja damit Recht; vielleicht ist es ganz schrecklich, wenn wir dauernd auf der Jagd sind? Und irgendwann, wenn es da unten nicht mehr funktioniert, sind wir „frei“ und können wirklich lieben.

Ich hake noch einmal nach. Wie alt warst du denn, als du…?
Du willst wissen, wann ich entjungfert wurde, oder? Ich weiß das gar nicht so genau, ich denke, so mit 17. Da habe ich viele Sachen ausprobiert, aber immer gewusst, wann ich „Stopp, weiter geht’s nicht!“ sagen musste. Ich bin halt so und so, mal wild, mal konservativ. So nach dem Aspekt: Du musst mich erst mal kennen lernen und erst mal was dafür tun.

Wie ist dein Verhältnis zur schwul-lesbischen Szene?
Die erlebe ich in meinen Städten sehr unterschiedlich. Ich habe das Gefühl, dass die Szene, so wie ich sie mir wünsche, nicht funktioniert. Ich habe eine lesbische Freundin, die sich aufregt, dass sie nicht in Gay-Bars reingelassen wird. Das finde ich schade.

Glaubst du, dass das Thema LGBTTI* immer noch ein gesellschaftliches Tabu ist?
Ja, und das finde ich auch sch..., man braucht sich nur Russland anzusehen. Zu Bowies Zeiten waren wir für die Konservativen keine Gefahr, wir wurden wie Freaks behandelt, uns gab es eben. Auch in meiner Erziehung habe ich das so nie gesehen. Ich kenne viele Leute, die weder schwul noch heterosexuell sind, sondern einfach nur sexuell aktiv. Ob man das jetzt „bi“ nennen muss?

Hattest du Probleme mit deinem Outing?
Nee, ich komme aus einem hippiemäßigen Umfeld. Man ist, was man ist. Und man macht, was man macht. Ich glaube, wenn ich in Pornos mitmachen würde, würde sich meine Mutter die Filme zwar nicht ansehen, aber trotzdem der Meinung sein: „Wenn du damit glücklich bist, dann mach's doch“.

In welchem Alter wolltest du eine „Rampen-Sau“ werden?
Ich habe mich immer schon in den Mittelpunkt gesetzt. Aber das, was ich heute auf der Bühne mache, war eine Entwicklung. Mir war schon immer klar, dass ich etwas mit Theater machen wollte, nur nicht in welcher Form. Und mit Musik als Basis – so wie ich das mache – kann ich sehr viele Genres und Sachen zusammenmixen. Ich werde aber nie alleine auf der Bühne stehen, zum Glück habe ich ja meinen Charly.

Wie erklärst du dir den Erfolg deiner Landsleute, wie Rudi Carrell, Herman van Veen oder Robert Long gerade in Germany?
Das sind bzw. waren tolle Künstler, aber alle sehr unterschiedlich. Den Erfolg erkläre ich mir so, dass die Deutschen doch noch etwas von ihrer preußischen Natur in sich haben und einfach genauso frei sein möchten, zu sagen, was man nicht sagt. Die Niederländer tragen ihr Herz auf der Zunge und das ist es, was wohl ankommt.

Welche Person hat dich am meisten fasziniert?
Ich habe ganz viele Leute, die ich toll finde; es werden sogar jedes Jahr mehr. Vorbilder habe ich eigentlich keine. Ich habe mal die Knef getroffen, die ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so gut kannte. Beim Treffen fand ich sie total faszinierend. Oder Hanna Schygulla, die ich zwar als Künstlerin kannte, aber nach dem Treffen mit ihr haben wir uns alle total in sie verliebt. Sie ist einfach nur „Wow“.

Was bringt dich auf die Palme?
Dummheit und Faulheit. Dummheit ist eigentlich das Schlimmste. Neonazis und dumme Leute, mit denen man nicht kommunizieren kann.

Wovor hast du Angst?
(Spricht mit Inge Meisel Stimme) „Dass mir während der Show die Zähne herausfallen!“ Ich bin mal auf einer Modenschau in der Frontrow gesessen und da kam mir der Gedanke: Wenn ich jetzt hier kotzen müsst, das wäre furchtbar. Ich habe sowieso Angst davor, die Kontrolle zu verlieren. Alleine der Gedanke an Alzheimer ist katastrophal.

Gab es bei dir mal ein Bühnen-Malheur?
Bei „Hedwig“ hat mich mal ein Zuschauer geschlagen. Ein anderer hat mir sein Getränk ins Gesicht geschüttet. Die haben das Stück einfach nicht verstanden. Ich bin zwar in der Regel sehr schlagfertig, aber wie soll ich auf die Dummheit der Leute reagieren, die nichts begreifen?

Hast du Lampenfieber vor deinen Auftritten?
Eigentlich nicht. Lediglich vor einer Premiere, da bin ich eher „aufgeladen“. Ich weiß aber gleich nach den ersten Sekunden, ob ich das Publikum „einfangen“ kann. Wenn nicht, muss ich mich besonders verausgaben. Mein Ziel ist immer, dass alle ausrasten und vor allem Spaß haben. Leute kommen ja, um unterhalten zu werden.

Uns fiel auf, dass du in deinen Performances oft den Geruchssinn zitierst. Bist du ein Geruchsmensch?
Ja, mit einem Geruch kann man einen ganzen Bilderbogen von Erinnerungen kreieren. Der Geruch ist einer der stärksten Sinne. Und jeder kennt die Situation, bei der etwas gut riecht oder einem etwas stinkt.

Wir können dich gut riechen.  Wir haben mit David Bowie angefangen und hören mit ihm auf: Im Oktober 2015 feiertest du mit „STARMAN“ Premiere. Was kannst du uns dazu verraten?
Man wird im Stück von mir und der Band musikalisch mitgenommen auf eine Reise rund um den Globus, von London über Berlin bis nach NY. Wir haben David Bowies Musik als roten Faden genommen. Sein Name kommt aber nicht einmal im Stück vor. Wir haben viele Leute um uns herum, die schon mit David Bowie gearbeitet hatten oder ihn persönlich kennen. Ich selbst hatte noch nicht die Ehre, das ist auch nicht wichtig. International kommt parallel dazu meine CD „STARMAN“ heraus.

Wir wünschen dir alles Gute und dass David deine Vorstellung in NY besucht. Toi, toi, toi!

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Sven Ratzke im Oktober 2015 geführt.

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