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Volker Beck // © vvg

Im Interview Volker Beck

vvg - 01.08.2017 - 10:00 Uhr

Volker Beck ist wohl der Politiker im Bundestag, den man besten Gewissens als den Vater der „Ehe für alle“ bezeichnen kann. Nur wenige andere haben sich so vehement national und international für die Menschenrechte und die Rechte der Gay-Community eingesetzt. Danke Volker, dass deine Anstrengungen der letzten Jahrzehnte von diesem Erfolg gekrönt wurden.

Die Ehe für alle hat ja schon ein erstes Todesopfer gefordert: Kaum war sie Tagesgespräch, verstarb der frühere Kölner Erzbischof Kardinal Meisner, der gegen das Thema war …
Ich hoffe nicht, dass das der Grund war. Aber wir hatten es nicht immer einfach mit Kardinal Meisner. Möge er in Frieden ruhen.

Wie geht es nun mit der „Ehe für Alle“ weiter, müssen die „Verpartnerten“ jetzt erneut „heiraten“? Was passiert?
Vermutlich können ab Oktober oder November die ersten Hochzeitsglocken läuten. Zuerst muss das Gesetz noch vom Bundespräsidenten unterschrieben werden. Danach kann es im Bundesgesetzesblatt verkündet werden und drei Monate später tritt es in Kraft. In dieser Zeit können sich die Standesämter auch entsprechend vorbereiten, zum Beispiel Eheurkunden und Formulare ändern. Ab dann kann nicht nur geheiratet werden, sondern es können auch Lebenspartnerschaften in Ehen umgewandelt werden. Das ist freiwillig und geht über eine persönliche Erklärung beim Standesamt. Darauf kann man dann noch einmal anstoßen und feiern, muss es aber natürlich nicht.

Viele Promis sagten, wir heiraten erst, wenn wir komplett gleichgestellt sind. Erfolgt jetzt der Promi-Run auf das Standesamt?
Ob es einen großen Andrang geben wird, wer weiß das schon. Wer heiraten will, kann das tun. Aber jeder Jeck' ist anders und die Ehe ist nur ein Modell zum Zusammenleben von Vielen. Allen, die jetzt Heiraten wollen, wünsche ich alles erdenklich Gute und ein glückliches Händchen bei der Partner*innenwahl. Es prüfe, wer sich ewig bindet.

Angela Merkel macht das Thema zur Gewissensentscheidung jedes Einzelnen, wie denkt du als religions- und migrationspolitischer Sprecher, wie die multikulturelle Bevölkerung über die „Ehe für Alle“ denkt.
Die Bertelsmann-Stiftung hat vor einigen Jahren mal erhoben, dass etwa die Hälfte aller in Deutschland lebenden Muslime für die Ehe-Öffnung für Schwule und Lesben sind. Kürzlich hat der Liberal-Islamischen Bund sich mit einem offenen Brief für die Ehe-Öffnung ausgesprochen. Ich weiß, dass ist nicht die Haltung von allen Muslimen und soll nicht die Notwendigkeit von Aufklärungsarbeit kleinreden. Aber alle muslimischen und alevitischen Abgeordneten haben mit Ja gestimmt, was man von den christlichen nicht sagen kann.

Du und viele andere haben 20 Jahre lang gekämpft und dann ist nach wenigen Tagen alles „Holter die Polter“ geregelt. Ging jetzt nicht alles viel zu schnell?
Das ist ja ein putziges Zeitgefühl. Bei knapp 30 Jahren Diskussionen und über 30 Sitzungen, bei der das Thema auf der Rechtsausschusstagesordnung stand, kann man kaum von Eile sprechen. 1991 haben Manfred Bruns ich und in der "Monatsschrift für Deutsches Recht" einen Aufsatz über "Das Eheverbot bei Gleichgeschlechtlichkeit“ veröffentlicht. Im August 1992 gab es die „Aktion Standesamt“, bei der hunderte von Lesben und Schwulen Standesämter „stürmten“, um dort symbolisch einen Eheantrag zu stellen. Im Bundestag haben wir das Thema rauf- und runterdiskutiert, bis 2001 nach langem Kampf endlich das Lebenspartnerschaftsgesetz eingeführt wurde. Ich habe von Anfang an gesagt, das kann nur eine rechtspolitische Übergangstechnologie bis zur Ehe-Öffnung sein. In dieser Legislatur wurde das Thema immer wieder besprochen und immer wieder haben wir Grünen die Blockade des Gesetzentwurfes im Rechtsausschuss kritisiert, es sogar mit einer Organklage versucht die Blockade zu brechen. Zu schnell ging es wirklich nicht – weder für die Lesben und Schwulen, die seit Jahrzehnten auf ihre Gleichstellung warten, noch für die Abgeordneten des Bundestages, denen ja monatelang mehrere Gesetzentwürfe vorlagen. Und für die Bevölkerung sowieso nicht, denn da sind ja über 83 Prozent schon längst für die Ehe-Öffnung.

Welche Ereignisse in der Politik beschäftigen dich momentan?
Mich besorgt die erstarkende gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Das sieht man an brennenden Asylunterkünften, an zunehmendem Antisemitismus, an Ausgrenzung von Muslimen oder Rassismus gegen Sinti und Roma. Wir als Lesben und Schwule haben auch die Aufgabe unsere Erfahrung als Jahrhunderte lang verfolgte und Jahrzehnte lang diskriminierte Minderheit nicht zu vergessen und uns vor andere diskriminierte Minderheiten zu stellen: Gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, gegen Ausgrenzung von Sinti und Roma, gegen Rassismus und für die Rechte von Flüchtlingen. In Zeiten, in denen jüdische und muslimische Religionspraxis wie bei Beschneidung und rituellem Schlachten von Rechtspopulisten wieder angegriffen wird, müssen wir wachsam und solidarisch sein.

Danke Volker Beck // © vvg

Hast du Abschieds-Gefühle – vom Bundestag?
Wahlen kann man gewinnen oder verlieren. Auf ein Mandat hat man keinen Anspruch. Ich bin dankbar, dass mir Die Grünen und unsere Wähler*innen über 20 Jahre lang die Chance gegeben haben, im Bundestag für Menschenrechte zu kämpfen und jetzt geht es eben weiter, zu einem neuen Kapitel.

Hast du Angst vor dem Alter?
Die Alternative zum Älterwerden ist auch nicht verlockend.

Was bleibt in positiver, was in negativer Erinnerung?
Ehe-Öffnung, Gleichbehandlungsgesetz, Lebenspartnerschaft, Entschädigung für NS-Verfolgte oder Zuwanderungsgesetz waren Meilensteine meiner parlamentarischen Arbeit. Alles schöne Erfolge, aber hart erkämpft, nichts fiel in den Schoß. Ekelhaft fand ich die Reaktionen auf meinen Einsatz für die jüdische und muslimische Religion bei der Beschneidungsfrage, welch ein Hass und was für eine Ignoranz. Das war einfach fürchterlich.

Deine Prognose zum kommenden Bundestagswahl
Niemand weiß, wie die Karten nach der Wahl neu gemischt werden. Wichtig ist, dass alle Demokrat*innen wählen gehen, damit die Stimmen für die antidemokratischen Rechtspopulisten nicht so sehr ins Gewicht fallen. Ich werde dann nicht mehr im Bundestag sein, aber ich vertraue, dass „meine“ Themen bei meinen Grünen Parteifreund*innen in guten parlamentarischen Händen liegen und hoffe auf ein starkes Grünes Ergebnis.

Wie vergleichst du die ersten C S D `s mit dem heutigen – was ist anders – verändert?
CSD und Prides waren und sind ein wichtiger Ort des Kampfes für Respekt und gleiche Rechte. Die Debatten und Probleme ändern sich, aber das Streiten für Respekt steht im Mittelpunkt, egal, ob wir für die Rehabilitierung der Opfer von § 175 kämpfen oder für die Eheöffnung. Dass die Schwerpunkte sich verändern, sieht man auch an den Motti: in den 90ern hatte der Kölner CSD mal das Motto „Freie Fahrt für Homoehe" oder  „Ob Homoehe oder keine, entscheiden wir alleine!“. Das war eben das, was die Community damals diskutiert hat. Wenig später hieß es dann „Im Namen des Volkes: Traut Euch!“ oder auch „Ja, ich will!“ oder in einem anderen forderte das Motto ganz direkt: „Liebe deine Nächsten: Antidiskriminierungsgesetz jetzt!“.

Wir Schwule und Lesben sind geprägt von einer Geschichte der Verfolgung. Wenn wir auf CSDs alle zusammen feiern – ob schwul, lesbisch, trans*, inter, bi, queer – zeigen wir auch: Wir verstecken uns nicht mehr. Wir sind nicht leise. Wir fordern ein, was uns zusteht: Respekt und Menschenrechte. Das gilt früher wie heute.

Ein Sieg nach 20 Jahren – sind wir nun am Ziel unserer homosexuellen Wünsche angekommen? Wofür kämpfen wir jetzt?
Natürlich können wir auf die Öffnung der Ehe anstoßen und diesen Erfolg feiern. Aber Zeit, uns zurückzulehnen haben wir nicht. Unser Einsatz für Menschenrechte und Diskriminierung muss weiter gehen. Es ist an uns, das Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein Gesetz zur selbstbestimmten Geschlechtsidentität zu ersetzen, das Abstammungsrecht so zu ändern, das auch lesbische Co-Mütter von Anfang an rechtlich anerkannt sind, gegen Homosexuellenfeindlichkeit vorzugehen, Lehrer*innen zu sensibilisieren, Respektarbeit in den Schulen zu verankern, lesbischen, schwulen und trans* Flüchtlingen effektiven Schutz zu gewähren und uns auch international für die Menschenrechte von LGBTTI einzusetzen.

Erleben wir einen Roll-Back – Bei vielen machen sich Ängste breit?
Der Aufstieg der Rechtspopulisten in Europa, der Einzug der AfD in unsere Landtage und der Wahlerfolg von Trump haben eine tiefe Verunsicherung ausgelöst. Gleichzeitig machen besorgniserregende Eltern sich gegen Respektarbeit und Aufklärung an den Schulen Stimmung oder vernetzten sich europaweit, um gegen die Öffnung der Ehe zu demonstrieren. Der Widerstand gegen Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung ist deutlich sichtbar - aber wir sind auch mehr geworden! Er ist aber auch eine Reaktion auf unsere Erfolge. Als Demokrat*innen müssen wir uns dem selbstbewusst entgegen stellen. Aber wir sollten auch daran arbeiten, Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass unsere Gleichberechtigung kein Angriff auf die Lebenswelt Anderer ist.

Zum Schluss: Was hast du für Zukunftspläne / Wünsche?
Aktivist*innen der Schwulen- und Lesben-Bewegung, allen voran und von Anfang an der LSVD, haben jahrelang dafür gestritten, dass wir jetzt einen Schritt weiter sind und endlich, endlich heiraten darf, wer sich liebt und eine lebenslange Verantwortungsgemeinschaft anstrebt. Dabei ist die Eheöffnung nicht nur ein Sieg für alle Heiratswilligen: Sie ist ein Sieg für eine offene Gesellschaft und für die Freiheit und Gleichheit der Verschiedenen, weil Lesben und Schwule endlich die gleiche Wahl haben wie Heterosexuelle.

Volker wir danken dir für deine Antworten und wünschen dir für deine Zukunft, alles Gute.

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Volker Beck im Juli 2017 geführt.

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