Ist Monogamie sinnlos? Beziehungsexpertin betont Vorreiterrolle von schwulen Männern
Das Thema Monogamie in Beziehungen ist bis heute ein umstrittener Punkt in der Community – eine renommierte amerikanische Beziehungsexpertin legte jetzt erneut den Finger in die Wunde und betonte, dass Monogamie rein wissenschaftlich gesehen vollkommen sinnlos sei.
Schwule Männer als Vorreiter
Mehrere nationale wie internationale Studien der letzten Jahre legten nahe, dass sich über 90 Prozent der jungen schwulen Männer eine monogame Beziehung wünschen. Tatsächlich sind dann aber offenbar je nach Befragung zwischen 35 und 42 Prozent der Partnerschaften zwischen zwei Männern in diversen Varianten und Abstufungen offen. Eine australische Meta-Studie von 2025, die die Ergebnisse von 35 Untersuchungen zusammenfasste, stellte dabei fest, dass Menschen in nicht-monogamen Beziehungen nicht weniger glücklich sind als jene in monogamen Partnermodellen.
Die bekannte Psychotherapeutin, Beziehungsexpertin und Bestsellerautorin Jessica Fern hat in den USA nun die Debatte von neuem entfacht – in einem Interview mit dem queeren Portal Uncloseted Media erklärte sie, dass Monogamie wissenschaftlich keinen Sinn macht und plädierte dafür, alte Rollenmodelle hinter sich zu lassen. Zudem betonte sie die besondere Rolle der schwulen Community: „Ich denke, schwule Männer sind hier Vorreiter oder in vielerlei Hinsicht Pioniere. Meine persönliche und berufliche Erfahrung ist, dass ihr alle Sexpositivität lebt. Es gibt, wenn man eine feste Beziehung eingeht, einfach bei euch eine menschliche Akzeptanz dafür, dass die eigene Sexualität mehr als einen Menschen umfassen kann. Und deshalb finde ich, dass ihr alle wirklich gute Arbeit geleistet habt, beides zu akzeptieren.“
Offene Modellen bei jungen Menschen
Zudem betonte die Expertin weiter: „Wenn wir uns nur die Statistiken ansehen, stellen wir fest, dass ein größerer Prozentsatz der Menschen, die sich als homosexuell oder queer identifizieren, sich selbst tatsächlich irgendwann in ihrem Leben in irgendeiner Weise als nicht monogam einstufen. Und jüngere Menschen identifizieren sich derzeit eher damit, von Anfang an nicht monogam zu sein, anstatt Monogamie als Standard anzusehen. Aber was wir auch bei Menschen sehen, die sich als monogam identifizieren, sind die schrecklichen Statistiken zum Thema Untreue. Die Menschen mögen sich also zur Monogamie bekennen, aber in ihrem Verhalten entspricht das oft nicht der Norm.“
Heterosexuelle Beziehungen seien so noch stärker von Vorurteilen belastet – von dem Idealbild einer Ehe bis hin zu tief religiösen Prägungen: „Ich denke, das hat einen enormen Einfluss. Ich meine, sogar der Madonna-Huren-Komplex, bei dem man entweder die jungfräuliche Mutter oder eine Hure ist, stammt aus der Religion. Viele meiner Klienten haben mit Schamgefühlen gegenüber ihrem Körper und sexueller Beschämung zu kämpfen, die aus ihren religiösen Erfahrungen und ihrer religiösen Erziehung stammen.“
Umgang mit der Eifersucht
Homosexuell, queer oder heterosexuell, die Eifersucht spiele allerdings in vielen Beziehungen noch immer eine Rolle, dabei hält Fern fest: „Es stimmt, dass Menschen wirklich Angst vor Eifersucht haben. Doch die Nicht-Monogamie ist ein Beziehungsmodell, das Eifersucht akzeptiert. Es sagt: Ja, sie existiert, aber wir müssen keine Angst davor haben. Anstatt sie zu fürchten oder ihr zu viel Bedeutung beizumessen, akzeptieren wir sie als wichtigen Botschafter. Sie sagt uns etwas, um das wir uns kümmern müssen.“
Die Expertin hält dabei wenig von strengen Regeln, sondern betont indes einen anderen wichtigen Aspekt in offenen Beziehungen: „Wenn wir uns darauf einigen können, dass wir zwar unsere Freiheiten wollen, aber auch Rücksicht auf unseren Partner nehmen, dann ist es einfacher, Vereinbarungen zu treffen. Bei einigen geht es eher darum, dass wir unsere Handys weglegen und keine Nachrichten schreiben, wenn wir zusammen im Bett liegen, oder dass wir nicht ständig anderen Leuten Nachrichten schreiben, wenn wir unsere gemeinsame Zeit oder unser Date genießen. Es geht auch um sexuelle Vereinbarungen. Was ist erlaubt? Was ist nicht erlaubt? Was sind unsere gemeinsamen Safer-Sex-Praktiken? Wann lassen wir uns testen?“
Wiederbelebung des Sexlebens
Dabei führe der Öffnungsprozess einer Beziehung oftmals auch zu einer Wiederbelebung des Sexlebens in der ursprünglichen Partnerschaft: „Es hat etwas sehr Befreiendes, wenn man sich sagt: Moment mal, wir sind nicht verpflichtet, zusammen zu sein? Und jeder von uns hat diese Freiheit? Und sie werden für eine Weile diese gesteigerte sexuelle Phase erleben. Das hält nicht lange an, aber es ist fast wie eine neue Beziehungsenergie, die das ursprüngliche Paar hat, und sie haben in der Regel besseren, heißeren Sex. Normalerweise erkundet man im Öffnungsprozess auch seine Sexualität auf neue Weise. Ich denke also, es ist gut, wenn wir dies als Chance sehen, unsere Sexualität weiterzuentwickeln. Wenn es hingegen immer nur nur um die Angst geht, dass mein Partner mit jemand anderem besseren Sex haben könnte und er mich deswegen verlassen wird, dann kann das zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden.“
Urinstinkt schwuler Männer
Bleibt abschließend die Frage, warum vor allem schwule Männer mit einer offenen Beziehung weniger Probleme haben, während sich die Frage zum Beispiel bei lesbischen Frauen zumeist deutlich seltener stellt: „Ich denke, dass es in unserer Kultur Männern erlaubt ist, sexuell zu sein, und Männer haben einen stärkeren sexuellen Urinstinkt. Ich glaube nicht, dass das tatsächlich immer stimmt, aber das ist es, was Männern mitgegeben wird. Wenn eine Frau sexuell ist, ist sie eine Schlampe. Wenn ein Mann sexuell ist, ist er einfach ein Mann. Wenn man also zwei Männer zusammenbringt, sind sie, nun ja, sie sind Männer. Und Männer sind sexuell. Ich denke, es ist einfach so: Eins plus eins ergibt zwei.“