Ausgequetscht Shary Reeves
ist eine deutsche Moderatorin, Journalistin und Autorin, sie war Sängerin und spielte Fußball in der Bundesliga der Frauen. Zu ausgewählten Schlagworten gab sie uns Antworten aus ihrer Biografie.
Fußball
Ich habe die Frauen-Fußball-WM in Australien/Neuseeland verfolgt und war als Kolumnistin für eine Tageszeitung aktiv. Das Ausscheiden hat mich nicht geschockt, da wir durch Verletzungen von Spielerinnen ein großes Defizit in der Defensive hatten. Andere Mannschaften spielen inzwischen auf Augenhöhe und kämpfen für Siege, weil gerade Mannschaften aus Afrika und Südamerika viel mehr gewinnen können, als nur ein Spiel. Dieser Siegeswille geht leider in einer kommerzialisierten Wohlstandsgesellschaft verloren. In meiner Regional- und Bundesligazeit hatten wir auch noch diesen Spirit.
Kindheit
Meine Mutter kam aus Tansania nach Deutschland und lernte hier meinen Vater aus Kenia kennen. Nach der Trennung kamen wir Kinder in verschiedene Pflegefamilien. Bei mir wurden es mehrere Pflegefamilien. In den ersten Monaten lag ich meist im Kinderwagen, meistens feucht, da man meine Windel nur selten wechselte.
Als ich mit Andrew zu gemeinsamen Pflegeeltern kam, die ich liebevoll Oma und Opa nannte, hat man uns von Anfang an als eigene Kinder behandelt. Ich wusste, dass ich noch mehr Geschwister hatte, selten. Mit sechs Jahren holte mich meine leibliche Mutter unangekündigt dort ab und ich kam auf direktem Wege ins Internat.
Dort erlebte ich wegen meiner Hautfarbe Rassismus pur. Ich saß immer in der letzten Reihe und zu Kindergeburtstagen wurde ich nicht eingeladen. Aber ich hatte Glück, sehr sportlich zu sein, habe fast jede Jugendmeisterschaft gewonnen und durch den Sport Anerkennung gefunden.
Beruf
Ich wollte Schauspielerin werden oder auf jeden Fall irgendwas mit Medien. Das hat mein Opa angeregt, der mit einer 8mm-Kamera alles filmte. Mein Bio-Lehrer erkannte das und schickte mich in den Schulferien sechs Wochen mit dem Zirkus Krone durch die Gegend. Und meine Französischlehrerin brachte mich in die Theatergruppe. Hier wurde ich wahrgenommen.
4Reeves
Mein Bruder Jim absolvierte an der Schauspielschule in HH eine Ausbildung, die ich eigentlich machen wollte. Wir wohnten damals zusammen und ich hatte davon erzählt. Er schnappte das auf und war wie bei allem schneller, im ständigen Konkurrenzkampf mit mir. Er sagte mal, er wäre gerne ich. So habe ich mir immer neue Wege gesucht. In HH lernte er den Produzenten Franz Blaser kennen, der ihm eine RAP-Gruppe vorschlug. Jim wollte es nicht alleine machen und so holte er uns drei Geschwister Terry, Andrew und mich dazu.
Wir hatten bis dahin wenig miteinander zu tun und keine gemeinsamen Interessen. Die Gruppe war für uns Versuch, die verlorene gemeinsame Kindheit irgendwie aufzuarbeiten als Familienprojekt. Nach Außen haben wir das gut gespielt, in der Gruppe hat es aber nicht funktioniert. Jim war egoistisch, er sah nur seine Vorteile darin. Er versuchte immer im Rampenlicht zu stehen und wir wurden in den Background „gedrängt“.
Es war trotzdem eine tolle Zeit, wir hatten Unmengen von Auftritten und wir konnten das Thema „Rassismus“ bei den Leuten anstoßen. Unser größter Auftritt war bei „Wetten, dass …?“ mit der Fußball-Nationalmannschaft zur WM‘94.
Wir veröffentlichten ein Album und vier Singles. Leider blieb die Musik nicht in den Köpfen, aber die Assoziation von 4Reeves und Rassismus in Deutschland besteht bis heute.
TV-Moderation
Nach dem Ende von 4Reeves habe ich mich der Moderation zugewandt und hatte mit „Wissen macht Ah“ eine erfolgreiche Sendung. Obwohl sie eher als Jugendsendung angelegt war, guckten es überwiegend die 26 bis 35jährigen. Und es gab eine „Brennpunkt“-Sendung, die ich als Co-Moderatorin gemeinsam mit Carolin Kebekus gemacht habe. Dafür gab es sogar den Bayrischen Fernsehpreis, der aber bis heute irgendwo auf dem Postweg verschollen ist.
Bruder-Mord + Rassismus
2016 wurde mein Bruder Jim in Berlin aus rassistischen und homophoben Gründen ermordet. Ich kann dazu nichts sagen, weil ich die Beziehung zu meinem Bruder abgeschlossen hatte, als er noch gelebt hat. Alles was danach passiert ist, weiß ich nicht. Wir waren Fremde füreinander; aber natürlich hat mich der Mord emotional berührt.
Was mich und uns als Familie entsetzt hat, war das milde Urteil. In heutigen Zeiten, wo das Roll-Back sehr deutlich spürbar ist, wäre ein anderes Urteil gefällt worden.
Ich erlebe Rassismus heute wieder öfter: Kürzlich rempelte mich im Supermarkt ein Mann mit dem Ellenbogen schmerzlich an. Und letztens in Düsseldorf rief ein Pärchen meiner Schwester Terry und mir zu: „In Deutschland geht man auf der rechten Seite!“ Im Alltag ist der Rassismus wieder angekommen ganz klar mit PEGIDA. Die besorgten Bürger haben es salonfähig gemacht, weil sie sich stark in der Masse fühlten. Die Regierung hat zu wenig dagegen unternommen und die Medien schüren die Ängste und verschlimmern es.
Homophobie
Homophobie habe ich tatsächlich noch nie in der Öffentlichkeit gespürt. Was man hinter vorgehaltener Hand sagt, kann ich natürlich nicht beurteilen.
Outing + Liebe
Ich hatte nie ein Outing, weil ich mich immer in den Menschen verliebe. Meine Frau Linda und ich kennen uns schon aus der Schulzeit am Ursulinen-Gymnasium, einer Mädchenschule. Ich habe sie nicht wahrgenommen, sie mich schon, weil es nur zwei dunkelhäutige Mitschülerinnen gab. Wieder getroffen haben wir uns zum 25. Jubiläum unseres Abiturs. Sie fiel mir auf, als sie hereinkam, weil die anderen alle so viel „weniger spannend aussahen“ aussahen und sie setzte sich neben mich und wir haben uns den ganzen Abend angeregt unterhalten. Wir waren beide nicht auf der Suche nach einem Lieblingsmenschen und haben uns angefreundet. Linda war derzeit in einer Beziehung und hatte zwei Kinder im Teenageralter. Die kannten mich aus der Sendung „Wissen macht Ah“ und Linda hatte erzählt, dass sie mit mir auf einer Schule war. Über die Zeit haben wir uns oft getroffen und festgestellt, dass wir ineinander unsere Seelenverwandte gefunden haben und so ist die Beziehung in eine Liebe gewachsen. Die Kinder waren hautnah dabei und haben unsere Liebe wachsen sehen.
Am 16. Dezember 2021 haben wir geheiratet. Mitten in der Pandemie wurde es nur eine kleine Feier, aber wir haben das große Fest später mit einer freien Trauung nachgeholt.
Umweltkatastrophen
Am 13. Juli 2021 kam die Flut. Linda hat eine Apotheke in Ahrweiler an der Stadtmauer direkt am Ahrtor. Wir hatten das Glück, dass wir zum Zeitpunkt der Katastrophe in Köln waren und per SMS durch den Vermieter informiert wurden, dass das Erdgeschoss mit der Apotheke nicht mehr zu retten sei. Die Apotheke war unser gemeinsames Projekt, da die Apotheke erst 2019 umgebaut wurde und wir alles gemeinsam geplant und umgesetzt hatten. In der Corona-Pandemie hatte ich Linda auch bei einigen Einsätzen in einem Heim mit besonderen Kindern unterstützt.
Als dass Wasser zurückgegangen war, haben wir uns die schreckliche Szenerie angeschaut. Zum Glück hatten wir nur einen hohen Sachschaden und alle Bekannten im nahen Umfeld hatten das Unglück unverletzt überstanden.
Wir haben uns beide schon immer mit Umweltschutz beschäftigt, nicht erst nach der Flutkatastrophe. Ich weiß nicht, warum viele Kids heute denken, dass alle unserer Generation den Klimawandel verursacht haben.
Engagements + Arsch huh
Ich habe mich in meinem Leben echt viel engagiert, was das soziale Tun betrifft. Ich finde, wir sind auf der Welt, um Menschen, die nach uns kommen, etwas nachhaltig zu hinterlassen. Das wurde auch anerkannt, indem ich dafür den Verdienstorden bekam.
Begonnen hat es mehr oder weniger mit der Veranstaltung „Arsch huh!“ gegen Rassismus, begründet von u.a. Karl-Heinz Pütz, die von bekannten Kölner Musikern (u.a. Niedecken, Bläckföös, Höhner, Brings) getragen wurde. Da waren wir mit 4Reeves dabei, denn es ging ja um uns. „Arsch huh“ verdient heute ein richtiges Comeback mit allen Gesellschaftsschichten, jeder Generation und allen Gendern.
Szene
Ich habe nicht viel mit der Szene zu tun. Ich war früher ab und an mal in der Schaafenstrasse. Seitdem wir zusammen sind, waren wir nicht mehr da, aber das ist doch normal, oder? Dennoch werde ich nach wie vor beim Fußballturnier Come-together-Cup dabei sein. Das macht Spaß, es ist eine schöne Veranstaltung, ich mag die Menschen vor Ort und es hat was Ehrliches. Und ich hatte die Ehre beim ColognePride in der Demo auf einem Wagen mitfahren zu dürfen. Es war toll, großen Dank an die Macher.
Zukunft
Wir wünschen uns, dass unser Haus schnell fertig wird, welches wir gerade bauen. Dann suchen wir nach einem Arbeitskonzept, mit dem wir unabhängiger sein können, vielleicht gibt es ein Sendungsformat, das zu mir passt - in Richtung Talk ohne Publikum, damit man wirklich an die Menschen rankommt. Ähnlich wie damals bei Domian im Radio, nur eben Vis-á-vis. Ich denke, ich habe die Gabe, dass sich die Menschen bei mir öffnen.
Und wir überlegen, vielleicht mal eine Zeit ins Ausland zu gehen.
Wünsche
Linda und ich sind Gerechtigkeitsfanatiker. Jeder soll das Recht bekommen, welches ihm zusteht. Das bedeutet auch keine Kriege mehr weltweit. Alle Menschen sollten frei in einer freien Gesellschaftsform sein.
Ich wünschte mir, dass wir unsere demokratischen Regeln mehr hinterfragen, die sich eingegroovt haben. Wenn man Menschen vertraut und ihnen die Ängste nimmt vor Ausländern, vor queeren Menschen, vor Pandemien, vor schlechten Zukunftsentwicklungen und das mit Bildung einhergeht, damit die Menschen die „Helligkeit“ bekommen, hat unsere Gesellschaft von Extremisten kaum etwas zu befürchten. Demokratie muss umgedacht werden, denn zurzeit fühlt sie sich unfreier an, als in den 90ern.
Keine Macht den Doofen.
Resumeé
Ich würde mir niemals wünschen, eine andere Hautfarbe gehabt zu haben. Mein Leben hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
Linda: Und deswegen liebe ich dich mit deinen verworrenen und klaren Gedanken.