Verrat einer Ministerin Warum ist die Innenministerin so devot gegenüber Katar?
Kommentar
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Man muss in diesen Tagen schon immer wieder tief Luft holen, um nicht vor Wut zu explodieren, wenn wir uns das Trauerspiel anschauen, das die Bundesregierung in diesen Tagen mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft in Katar veranstaltet. Man will meinen, es sei in den vergangenen Monaten schon genug verdeutlicht worden, dass wir es hier mit einem menschenverachtenden, anti-demokratischen und islamistisch geprägten Gottesstaat zu tun haben, dem grundsätzliche Werte wie Menschenrechte oder Gleichberechtigung herzlich egal sind. Gefühlte Ewigkeiten haben wir darüber diskutiert und immer wieder haben uns Sponsoren, politische Bücklinge und Menschen, die mit dem Leid tausender anderer Personen in Katar bei der WM jetzt sehr viel Geld verdienen, erklärt, wie toll, hip und weltgewandt das Emirat doch sei.
Foltert das Emirat jetzt auf moderne Weise?
Richtiggehend modern. Wahrscheinlich wird inzwischen mit elektrisch betriebenen Peitschen gefoltert, das wird die Homosexuellen im Land sehr erfreuen. Kein Mensch mit gesundem Verstand innerhalb wie außerhalb der Community würde ernsthaft daran glauben, dass dem Emirat wirklich wichtig ist, was westliche Demokratien von ihnen denken. Jene Länder, die aus ihrer Sicht allesamt moralisch verwerflich sind und sei es nur, weil sie “perversen“ Homosexuellen gleiche Rechte eingestehen. Die queeren Reisebüros in Deutschland melden zumeist allesamt gar keine Anfragen von Reisen zur WM nach Katar – auch für ausländische LGBTI*-Menschen drohen Haftstrafen, wenn man ihnen beispielsweise ihre Homosexualität ansieht. Vor allem dann auch, wenn sie so etwas “radikal Verachtendes“ tun, wie sich in Regenbogenfarben zu zeigen.
Faesers Verrat an den Menschenrechten
Nun mag fürwahr die Weltpolitik eine komplizierte sein und nicht immer können Politiker das sagen, was sie gerne wollen. Man nennt es Diplomatie. Intelligente Politiker würden in einem so besonders drastischen Fall wie diesem, indem zwischen drohenden Todesstrafen für Homosexuelle und Tausenden von ermordeten Gastarbeitern sich die Frage nach dem Menschenrecht erübrigt, dann wenigstens schweigen. Nicht so Deutschland. Nicht so Innen- und Sportministerin Nancy Faeser, die Anfang der Woche nach Katar reiste, um genau jene Probleme anzusprechen. Passend fürs Pressebild durften noch zwei LGBTI*-Aktivisten mitfliegen, die sich während des Aufenthalts wahrscheinlich die meiste Zeit im Flugzeug der Bundesregierung verstecken mussten. Doch es kommt noch besser – kurz vor ihrer Abreise zurück nach Deutschland erklärte die deutsche Innenministerin jetzt via Twitter: „Alle Menschen, egal woher sie kommen, wen sie lieben und woran sie glauben, müssen bei der WM sicher sein. Jeder Fan muss sich frei und ohne Angst bewegen können. Diese Sicherheitsgarantie hat mir der Premierminister von Katar heute gegeben.“
Ein Hofknicks vor den Scheichs
Faeser bedient damit nicht nur das gewünschte Image des Emirats, sondern verrät alles, für das die, von ihr ebenso goutierte “feministische Außenpolitik“ steht. Als eine der mächtigsten Ministerinnen der Bundesrepublik und als Frau macht sie artig einen Hofknicks vor einem Land, das auch Frauen bis heute wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland kritisiert Faesers Ausführungen als verharmlosend. Der schwule Aktivist und bekannte Ex-Muslim Ali Utlu kommentiert das so: „Ich bin homosexuell und glaube weder Ihnen noch Katar nur ein Wort. Im Gegenteil, so viel Naivität sollte jeden Homosexuellen abschrecken!“ Erst letzte Woche war der britische schwule Aktivist Peter Tatchell vor Ort kurzzeitig verhaftet worden, weil er mit einem Transparent auf die homophoben Gesetze aufmerksam gemachte hatte. Nur seine Bekanntheit rettete ihn vermutlich vor einem längeren Gefängnisaufenthalt. Faeser ging in ihrer devoten Gesinnung dann noch einen Schritt weiter und drückte auch noch ihr Bedauern über ihre jüngsten Äußerungen zu Katar aus. Dabei ging es um ihre Aussage, dass die Lage in Katar “total schwierig“ sei, nachdem Berichte von Human Rights Watch die systematische Verfolgung und Folter von LGBTI*-Menschen publiziert hatte. Spätestens an diesem Punkt knickte Faeser nicht mehr ein, sie lag bereits inhaltlich mental nackt zu den Füßen der Scheichs.
Warum tut Faeser das nur?
Man muss es noch einmal klar sagen: Faeser hatte auch einfach nichts sagen können. Gar nicht anreisen können. Erklären können, sie fährt nicht zum ersten Spiel der Deutschen Nationalmannschaft Ende November. Sie hätte sich ein Beispiel an der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Luise Amtsberg, nehmen können, die kurz vor Abreise ihre Teilnahme zurückzog, weil sie erkannte, dass kritische Gespräche über die Menschenrechtslage gar nicht mehr möglich sind. All das tat Faeser nicht. Praktisch vollkommen unbesprochen blieb auch die Lage der einheimischen Homosexuellen vor Ort und ihr trauriges weiteres Schicksal. Faeser verriet an diesen zwei Tagen alles, wofür eine Demokratie steht und sie tat es freiwillig ohne Druck. Wenn ein Politiker in Amt und Würden die mediale Show und die eigene Selbstinszenierung für wichtiger erachtet, als grundlegende Menschenrechte und den ersten Artikel unseres Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“), dann ist es an der Zeit, zurückzutreten. Mit dieser Aktion beweist Faeser nicht nur eine unfassbare Unfähigkeit für ihr Amt und ist zudem noch eine bittere Enttäuschung für alle LGBTI*-Menschen, nein, sie beleidigt auch noch alle Frauen weltweit, die für Würde und Gleichberechtigung kämpfen, teilweise wie im Iran unter Einsatz ihres Lebens. Warum, Frau Faeser, warum nur?