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Stonewall: Die anhaltende Revolution // © vivalapenler
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Stonewall Die anhaltende Revolution

km - 18.08.2019 - 07:00 Uhr

Ein Verbot für LGBTI* sich zu versammeln und als sie sich dessen widersetzten kommt es zu Ausschreitungen. Die Polizei benutzt Tränengas und Gummigeschosse. Chaos auf den Straßen. Protestrufe hallen durch die Straßen. Bewaffnete und gepanzerte Polizisten in schwarz gekleidet. Die Gegenseite im völligen Kontrast. Was klingt wie der Beginn von Stonewall vor 50 Jahren ist die traurige Wahrheit im Jahre 2019. Denn selbst ein halbes Jahrhundert nach dem revolutionären Aufstand am 28. Juni 1969, ist die Akzeptanz und Normalität von LGBTI* nicht erreicht und der Kampf, ob in den Straßen oder in den Köpfen der Menschen, ist noch immer nicht beendet.

Doch was hat es mit Stonewall auf sich, was hat sich bisher getan und was muss noch alles passieren?

Vor fünf Jahrzehnten gab es nicht so viele Schwulenbars und Clubs wie heute. Hinzu kam, dass „The American Psychiatric Association“ homosexuelle als geistig krank einstufte. Wer einer solchen Person ein alkoholisches Getränk verkaufte, konnte seine Lizenz verlieren. Im „liberalen“ New York herrschte Polizeibrutalität gegen LGBTI*. Wer homosexuelles Verhalten an den Tag legte konnte und wurde festgenommen.
In der Christopher Street gab es eine Schwulen-Bar, die später auch Lesben und Drags einen Ort der Zugehörigkeit und Gemeinschaft geschaffen hat: Das Stonewall Inn. Wie so oft kam die Polizei am Freitagabend den 28. Juni 1969 in die Bar, um die Zusammenkunft zu beenden. Zeitzeugen berichten, dass „Menschen von der Bar weggezogen wurden. Drag-Queens wurden festgenommen und in große Polizeiwagen gesteckt. Der Frust und die Unterdrückung waren so groß, dass eine verhaftete und rumgeschubste Drag einen Polizisten getreten hat. Er prügelte auf sie ein und man hörte Metall gegen Knochen
schlagen. Danach drehte er sich zur Menge und sagte: „So ihr Schwuchteln, ihr habt gesehen was ihr wolltet. Die Show ist vorbei und jetzt verpisst euch!“ Dieser Moment war der Tropfen, der das sich über Jahre füllende Fass schlussendlich zum Überlaufen gebracht hat“. Die Polizei war zahlreich, aber die LGBTI*-Community wehrte sich zum ersten Mal. Aus dem Christopher Street Park bekamen sie Verstärkung, da der Park ein Zuhause für diese Menschen war und schnell von dem Aufstand mitbekamen. Bis um 4 Uhr morgens hielt dieser Protest an, danach ging es zurück in den Park und damit wurde Geschichte geschrieben.
Ein Jahr später feierte man am 28. Juni den ersten Jahrestag: „The Christopher Street Liberation March“ war geboren. Er führte von der gleichnamigen Straße bis zum Central Park. Dort wurde gefeiert, es gab politische Reden und alle sollten sich frei Fühlen. Es war eine Revolution.

Eine Revolution die in Vergessenheit gerät. In der Schule lernt man alles über den Weber-Aufstand, die deutsche- und französische Revolution, sowie die Boston Tea Party. Alle zeigen uns Missstände der Vergangenheit auf. Der CSD und seine Geschichte hingegen werden im Lehrplan ausgelassen und das, obwohl es umso wichtiger ist darüber Bescheid zu wissen, da es Missstände aufzeigt, die aktueller nicht sein könnten. Schottland ist das erste Land welches ihre Schüler über die Geschichte die LGBTI*-Gleichstellung und- Bewegungen, über den Kampf gegen Homophobie und Transphobie sowie über die Erforschung der LGBTI*-Identität unterrichtet. Die Grünen stellten im Mai einen Antrag gegen LGBTI* Diskriminierung, in dem auch die Rede von einer „ Stärkung des Themas „Vielfalt sexueller Identitäten" in den Lehrplänen“ ist.

Was hat sich ansonsten politisch getan? Wie steht es um die Rechte und LGBTI* und wie sieht es mit Diskriminierungen aus?

In 72 Ländern der Welt ist Homosexualität noch immer illegal, dabei ist Afrika Spitzenreiter mit 33 Ländern und Europa mit null Ländern der fortschrittlichste Kontinent, dicht gefolgt von Südamerika. Dort ist es in Guyana für Männer strafbar homosexuell zu sein. Allerdings gibt es nicht in allen Ländern dieser beiden Kontinente Anti-Diskriminierungs-Gesetze.
Noch immer ist die Suizidrate bei jungen Homosexuellen höher als bei den Heteros, das ist ein Indiz für die fehlende Akzeptanz und die allgegenwärtig herrschende Diskriminierung. Dazu gehören auch Verbote Blut zu spenden, weil automatisch davon ausgegangen wird, dass alle Schwulen ein risikoreiches Sexualleben führen. Dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst dieses Jahr entschieden hat das trans*-Menschen nicht unter einer psychischen Störung leiden, zeigt die Rückständigkeit im 21. Jahrhundert auf. Besonders weil diese Änderung erst Anfang 2022 in Kraft tritt.

Die Hochzeit zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren wurde in Deutschland erst vor zwei Jahren erlaubt und das ist im so „fortschrittlichen“ Europa noch lange keine Selbstverständlichkeit. Mit der Hochzeit kam auch die Erlaubnis ein Kind zu adoptieren. Zusammen mit viel Gegenwind von Menschen, die der Meinung waren es wäre ungesund für das Kind, trotz Studien die das Gegenteil bewiesen haben.

Die Alternative zur Adoption ist die Leihmutterschaft. Diese ist in knapp der Hälfte aller EU-Staaten verboten, darunter auch Deutschland. In manchen Ländern wie zum Beispiel Israel ist es rechtmäßig, allerdings nur für heterosexuelle Paare. In Ländern wie Indien und Neuseeland ist die kommerzielle Leihmutterschaft, also wenn die austragende Mutter dafür finanzielle Entschädigung enthält verboten. Die altruistische, ohne Bezahlung, ist hingegen erlaubt, wobei in Indien zukünftig nur noch einheimischen, verheirateten Paaren ermöglicht wird.
 

Straight Pride?

Für Aufsehen sorgte die Gruppierung „Super Happy Fun America“ die eine Straight Pride organisieren. Am 31.08.2019 wird die „Boston Straight Pride Parade“ stattfinden, um so sagen sie: „alle zu ermutigen, die vielfältige Geschichte, Kultur und Identität der heterosexuellen Gemeinschaft unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung zu akzeptieren.“
Es ist, als würde sich ein gesunder Mensch bei einem Querschnittsgelähmten beschweren, warum er denn einen Rollstuhl hat und er nicht und dann Rollstühle für gesunde Menschen verlangen. Oder um es mit den Worten von Anthony Venn-Brown zu sagen: „ Gay Pride entstand nicht aus dem Bedürfnis heraus, Schwulsein zu feiern, sondern aus unserem Recht, ohne Verfolgung zu existieren. Sei also dankbar, dass du keine brauchst, anstatt dich zu fragen, warum es keine direkte Hetero Pride Bewegung gibt und feiere mit uns.“

Es war ein langer Weg zurückgelegt worden, aber es ist noch immer ein langer Weg zu gehen. Es braucht mehr Aufklärung, mehr Verständnis und weniger Hass und Diskriminierung. Die herrschende Toleranz muss umgewandelt werden zu selbstverständlicher Akzeptanz. Auf die nächsten 50 Jahre Stonewall.

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