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Hexenjagd auf Alice Schwarzer
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Kommentar: Hexenjagd auf Schwarzer? Wie erreichen wir Fortschritte durch Sprachverbote?

ms - 24.01.2022 - 15:30 Uhr

Das Thema ist hitzig, extrem aufgeladen und erhält in diesen Tagen abermals mehr Zündstoff. Die Herausgeberin der Zeitschrift Emma, Alice Schwarzer, veröffentlichte online einen Artikel, in dem es inhaltlich um die trans-Frau und Politikerin Tessa Ganserer geht. (SCHWULISSIMO berichtete) Sie ist die erste trans-Frau der Grünen, die auf einem Frauenquotenplatz im Bundestag sitzt. Genau diesen Aspekt kritisiert die Emma, denn Ganserer definiert sich zwar selbst als Frau, ist formal juristisch aber noch ein Mann, denn eine rechtliche Geschlechtsanpassung verweigert Ganserer mit Blick auf das veraltete, langwierige und kostenintensive Transsexuellengesetz. Die Ampel-Koalition will dem ein neues Selbstbestimmungsgesetz entgegenstellen, das laut Queer-Beauftragten Sven Lehmann bis zum Ende der Legislaturperiode in Kraft getreten sein soll.

An dieser Ausgangslage knüpft Schwarzer nun die Frage, wie wir künftig Geschlecht definieren. Natürlich ist der gesamte Artikel aus Sicht vieler trans-Menschen sehr einseitig formuliert, zudem wird mehrfach der frühere männliche Vorname von Ganserer genannt, das sogenannte Deadnaming, welches trans-Personen als herabsetzend und verletzend empfinden. Alice Schwarzer gehört dabei wohl zur Gilde jener Frauen wie auch Harry-Potter-Autorin JK Rowling, die aus ihrer Sicht den Schutz des biologischen weiblichen Geschlechts für elementar erachten – gerade in einer Zeit, in der Geschlecht sich künftig per einfacher Selbstdefinition einmal im Jahr wird ändern lassen können. Diese sogenannten TERFs (steht für Trans-Exclusionary Radical Feminism, also etwa Trans-ausschließender radikaler Feminismus) berichten dann von Schutzräumen wie beispielsweise Frauenhäusern, die ad absurdum geführt würden, wenn sich gewalttätige Männer via einfacher Selbstdefinition von einem Tag auf den anderen als Frau umdefinieren können und man ihnen Einlass gewähren müsste. Oder sie fragen danach, wie man künftig beispielsweise mit einem inhaftierten Verbrecher umgeht, der sich als Frau umdefiniert – rein rechtlich müsste er dann in ein Frauengefängnis verlegt werden. Natürlich gibt es diese Fälle, doch trans-Befürworter werfen den TERFs vor, dass diese hier Einzelfälle hochstilisieren würden.

MdB TessaGanserer © Grüne im Bundestag, S. Kaminski
MdB TessaGanserer © Grüne im Bundestag, S. Kaminski

Der wesentliche Aspekt in diesen Tagen wird einmal mehr vergessen – die Umgangsformen einer Debattenkultur. Nicht aus purer Höflichkeit heraus, sondern um am Ende vielleicht tatsächlich zu einer gemeinsamen besseren Lösung zu finden. Oder einfach nur, um die Ängste und kritischen Punkte des Gegenübers besser zu verstehen. Da hilft es sicherlich nicht, auf der einen Seite jede Kritik wie aktuell von Schwarzer oder gerne auch von Zeitungen wie der NZZ per se als menschenverachtend und transphob abzustempeln und auf der anderen Seite aber auch bewusst und gezielt einzelne Personen mit Aspekten wie dem mehrfachen Deadnaming anzugreifen. Es bedürfte mehr Respekt auf beiden Seiten und dem Willen, ehrlich, vernünftig, sachlich und ruhig der anderen Seite zuzuhören. Im Falle von Schwarzer oder Rowling reden wir hier von Personen, die sich anderweitig immer wieder für die queere Community eingesetzt haben – ihnen ist also nicht ein grundsätzlicher Hass gegenüber allen LGBTI*-Personen vorzuwerfen wie beispielsweise rechtsradikalen Politikern und homophoben Aktivisten.

Natürlich können wir die Debatte auch weiterhin zum Schweigen bringen, indem wir uns gegenseitig „immer wieder verbal auf die Palme bringen“, die altbekannten Reflexe auf der einen wie auf der anderen Seite provozieren und die Medien je nach Laune die eine oder andere Seite unterstützen beziehungsweise nivellieren. Willkommen in der Welt der schnellen Aufregungen, der persönlichen Angriffe und der medialen Shitstorms. Oder wir besinnen uns, versuchen ruhig zu werden, uns nicht sofort persönlich angegriffen zu fühlen und sind bereit, in eine Debatte zu gehen. Eine Diskussion, ohne das vorab bereits definiert wird, wer die Guten und wer die Bösen sind. Menschen wie Schwarzer werfen Fragen auf, die in einem nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft vorhanden sind. Erst im Dezember 2021 zeigte eine Umfrage von YouGov (Cambridge Globalism Project 2021), dass 52 Prozent der Deutschen der Meinung ist, dass trans-Menschen bereits zu viel oder zumindest ausreichend Rechte hätten. Man kann diese Datenlage natürlich leichtfertig zur Seite wischen, „die Deutschen“ eben als rückständig und dumm definieren, aber am Ende des Tages tut man weder sich, den Rechten queerer Menschen noch der Mehrheitsgesellschaft einen Gefallen. Wir können weiterhin stur darauf beharren, im Recht zu sein und alle, die nicht uneingeschränkt pro LGBTI* sind, abcanceln, diffamieren und wüst beschimpfen. Aber was bringt uns das?

Jede Veränderung in der Gesellschaft bedarf längerfristig einer Mehrheit, die den Nutzen und den Sinn dahinter versteht. Wir können sicherlich niemals alle davon überzeugen, dass auch trans-Rechte Menschenrechte sind, aber wenn die Mehrheit der Deutschen fundamental anderer Meinung ist, wäre es dann nicht wenigstens den Versuch wert, miteinander ins Gespräch zu kommen? Und zwar auf Augenhöhe? Welche Ängste haben Frauen, wenn Menschen künftig im Grunde mit einem Fingerschnippen ihr Geschlecht ändern können? Welche Ängste haben Eltern, wenn diese Möglichkeit nach aktuellem Plan der Ampel-Regierung bereits Kindern ab 14 Jahren offensteht? Welche alltäglichen Angriffe erleben trans-Menschen, weil sie als „Personen zweiter Klasse“ abgestempelt werden? Wie verloren können sich trans-Kinder im eigenen fremden Körper fühlen?

© Devenorr
© Devenorr

Warum tun sich einige von uns so schwer damit, Ängste, die offensichtlich in der Mehrheit vorhanden sind, ernst zu nehmen? Oder anderweitig Bedenken von Psychologen per se als lächerlich anzugreifen, die ermahnen, dass rein statistisch gesehen die immense Zunahme von trans-Menschen darauf schließen könnte, dass vielleicht bei einem Teil dieser Personen andere Gründe Ursprung des Wunsches nach einer Geschlechtsänderung sind? Man muss eine Frau wie Alice Schwarzer nicht mögen oder auch nur ihre Ansichten teilen, anerkennen muss man aber dennoch, dass sie sich seit Jahrzehnten für Frauenrechte einsetzt – ein Kampf, der immer noch nicht gewonnen ist. Welche Ängste hat Schwarzer und warum kann man mit ihr nicht sachlich und ergebnisoffen diskutieren?

Die Zeiten ändern sich – und das ist auch gut so, um den lieben Herrn Wowereit noch einmal zu bemühen. Doch wenn wir wirklich wollen, dass eine Veränderung hin zum Positiven für LGBTI*-Menschen von Dauer ist, müssen wir die Mehrheit einer Gesellschaft von der Wichtigkeit unserer Argumente überzeugen. Das geschieht durch Ruhe, Vernunft und der steten Bereitschaft, miteinander ins Gespräch zu kommen. Immer und immer wieder, auch wenn es uns an mancher Stelle mühselig erscheinen mag. Mit einer aggressiven Kultur der Diffamierung und der simplen Einteilung in Gut und Böse wird uns das auf Dauer nicht gelingen und es droht die Gefahr, dass jedes, gegen die Mehrheit der Bevölkerung errungene Recht für LGBTI* auch wieder verschwinden kann, wenn sich all die Abgecancelten und vermeintlich „Bösen“ politisch zu einer Einheit zusammen schließen. Der feuchte Traum vieler AfD-Politiker.

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