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Der lange Schatten von Bulgariens politischer Krise
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„Homosexuelle im Schraubstock“ Der lange Schatten von Bulgariens politischer Krise

ms - 02.07.2023 - 17:00 Uhr

Bulgariens Politik steckt in der Krise – Ende Mai haben sich die beiden größten Parteien zähneknirschend aus grundsätzlich gegensätzlichen Lagern auf eine Regierungskoalition geeinigt. Das Amts des Ministerpräsidenten soll zur Halbzeit gewechselt werden. Dagegen scheinen die Machtkämpfe zwischen Grünen und FDP in Deutschland beinahe wie ein Sonntagspicknick im Park zu wirken. Für die Gay-Community in Bulgarien indes bedeutet die politisch angespannte Situation eine dramatische Verschlechterung. Sie befindet sich sozusagen im Schraubstock unterschiedlicher politischer Interessen und Strömungen.  

Die Regierungsbildung im Land gleicht dabei derzeit einem Versuchslabor und trotzdem ist es die bisher beste Lösung, zu der das Land nach fünf gescheiterten Parlamentswahlen in zwei Jahren überhaupt noch in der Lage war. Inhaltlich herrscht indes weiter verbaler Krieg an verschiedenen Fronten, so wirft beispielsweise die eine Regierungspartei der anderen vor, sie hätten aus Bulgarien einen „korrupten Mafiastaat“ gemacht. Es darf abgewartet werden, wie lange diese Regierung überhaupt nun Bestand haben wird. Unter die Räder scheint dabei immer mehr die Gay-Community zu kommen. Bereits im Vorfeld des Sofia Pride Mitte Juni hatte es massive Probleme gegeben. So kam es im Rahmen des Sofia Pride Film Festivals zum Eklat, vorgeführt werden sollte der Film „Close“. Die Veranstalter hatten dazu um Schutz seitens der Polizei gebeten – diese kam auch, doch als Mitglieder der homophoben Partei EKR (Europäische Konservative und Reformisten) vor Ort eintrafen, gelangten sie ungehindert in den Kinosaal, attackierten die Besucher und versuchten, Fotos von ihren Gesichtern zu schießen. Denitsa Lyubenova, Rechtsanwältin und Mitorganisatorin des Sofia Pride, dazu: „Es war furchtbar. Als ich sah, wie die Polizei diese riesigen Hooligans die Hand schüttelte, wusste ich, dass wir nicht mehr sicher sind. Alles, woran ich dann noch denken konnte, war, alle sicher da raus zu bringen. Anstatt einen sicheren Raum für unsere Gemeinschaft zu schaffen, werden wir von rechten Politikern als Schachfiguren benutzt. So kann es nicht mehr weitergehen. Wir brauchen Schutz, jetzt!“
 

Hasserfüllt Schmierereien gegen Homosexuelle sind Alltag in Bulgarien. © Sofia Pride

Bereits Stunden vor der Veranstaltung hatten Mitglieder online gegen den preisgekrönten Spielfilm gehetzt und ihn als „Werbung für Pädophilie“ verunglimpft. In dem Drama geht es um die besondere Freundschaft zwischen zwei 13-jährigen Jungs. Der Film gewann mehrere hochdekorierte Preise, darunter den großen Preis der Jury beim Filmfestival in Cannes. Das interessierte die Gruppe der Ultranationalisten vor Ort allerdings nicht, wie Radoslav Stoyanov, Mitorganisator des Sofia Prides, berichtet. Im Kinosaal selbst beschimpften die Hooligans die anwesenden Gäste direkt als „Pädophile“ und skandierten lautstark: „Wir wollen keine Schwulenparade in unserer Stadt“. Die Situation spitzte sich daraufhin auch außerhalb des Veranstaltungshauses immer weiter zu, viele Menschen trugen Plakate mit Aufschriften wie „Stoppt den LGBT Virus“. Schlussendlich wurde aus Sicherheitsbedenken das gesamte Festival abgesagt. Wenige Tage später beim eigentlichen Sofia Pride kamen so mutmaßlich aus Angst auch nur noch rund 7.000 Teilnehmer, im Jahr zuvor waren es fast doppelt so viele gewesen. Die große Eskalation blieb zwar glücklicherweise aus, aber: „Eine Gruppe von Frauen wurde nach der Pride angegriffen, einige Jugendliche haben Steine auf sie geworfen. Glücklicherweise ist niemand ernsthaft verletzt worden. Es gab jedoch eine sehr große Gegendemonstration, die von parteiunabhängigen konservativen Kräften organisiert wurde. Eine der Hauptbotschaften ihrer Kampagne war erneut, dass Homosexuelle pädophil seien und eine Gefahr für Kinder darstellen würden“, so Stoyanov weiter.  

Schon lange handelt es sich in Bulgarien dabei um keine Einzelfälle mehr, immer wieder werden Veranstaltungen sowie Homosexuelle ganz direkt angegriffen, vor allem schwule Männer. Zwar wurde Homosexualität bereits 1968 entkriminalisiert und seit 2003 gibt es offiziell sogar einen Diskriminierungsschutz, doch sieht die tatsächliche Lage im Land anders aus – eine Community gibt es sowieso größtenteils nur in Sofia, hier fand 2008 auch erstmals der Gay-Pride statt. Beinahe jedes Jahr kommt es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen seitens nationalistischer und rechtsradikaler Gegendemonstranten, gerne heizt auch die katholische Kirche die Situation seit Jahren weiter an. Von gleichen Rechten wie beispielsweise einer gleichgeschlechtlichen Ehe ist das Land noch immer weit entfernt. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht so auch erst einmal die Gewährleistung des grundsätzlichen Schutzes der Gay-Community. Der Sofia Pride forderte dies zusammen mit der internationalen LGBTI*-Organisation All-Out. Doch es darf stark bezweifelt werden, dass die Stimmen in dieser politischen Lage überhaupt vernommen werden.  

„Wir brauchen internationale Unterstützung. Bulgarien ist Teil der Europäischen Union und des Europarates. Wir müssen wissen, dass wir durch die gemeinsamen Werte und Menschenrechtsverpflichtungen, die wir nach dem Beitritt eingegangen sind, geschützt sind“, so  Stoyanov, der mit Bedauern zudem erklärt, dass die bulgarische Bevölkerung bis heute gerade für russische Verschwörungstheorien besonders aufgeschlossen sei.  Das Narrativ, Schwule seinen eine generelle Gefahr für Kinder, halte sich dabei leider immer noch hartnäckig.

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