Marina and the Diamonds Froot
Wenn man darüber spricht, ein neues Kapitel im Leben oder der Karriere aufzuschlagen, dann klingt das bei vielen zunächst nach einer küchenpsychologischen Erkenntnis. Und es gibt auch tatsächlich kaum jemanden, der dies überzeugend genug umsetzen kann, es sei denn, man ist vorher gestorben.
So nämlich hat es Marina Lambrina Diamandis gemacht, die besser bekannt ist unter ihrem Künstlernamen „Marina and the Diamonds“. Doch halt: Ist Marina tot?
Ein Blick zurück. Vor etwa drei Jahren veröffentliche Marina Diamandis ihr zweites Album unter dem Namen „Electra Heart“. Dies enterte die Albumcharts zahlreicher europäischer Länder, erreichte Top-Positionen und wurde auch in Amerika ein Hit. „Electra Heart“ war gleichzeitig auch der Name des fiktiven Charakters, um den sich das Album wie eine Art Erzählung rankte. Vermutete man noch zu Beginn, der Charakter wäre so etwas wie ein „Alter Ego“ von Marina, legte diese überzeugend dar, spielerisch den amerikanischen Traum zu zerlegen und mit Bildern der griechischen Tragödie darzustellen. Begleitet wurde das Erzählwerk mit der Veröffentlichung von elf Videos zu den einzelnen Songs, die in einem Zeitraum von zwei Jahren erschienen. Ein wahres Kunstwerk, das aber irgendwann einmal ein Ende finden musste. Und so ließ Marina „Electra Heart“ sterben.
Allem Ende wohnt ein Anfang bei – eine abgedroschene Phrase irgendwie, doch passt sie aktuell nur zu gut auf das inzwischen dritte Album der Ausnahmekünstlerin, dem sie den Namen „Foot“ gab. Marina and the Diamonds klingt, als wäre sie von einer Last befreit, als wäre sie neu geboren. Voller Energie und Selbstbewusstsein. Und wenn man sich bei dieser Künstlerin auf eines verlassen kann, dann darauf, dass man das Unerwartete erwarten darf. Und daher ist „Froot“ komplett anders als sein Vorgänger, obwohl die Arbeiten am neuen Songmaterial zeitnah nach dem Ende von „Electra Heart“ begannen. „Froot“ präsentiert den Optimismus neu definiert, oder, wie Marina selbst sagen würde, eine große Portion Frieden, Geborgenheit und Ehrlichkeit. Elektronische Disco-Sounds und fast schon verträumt klingende Vocals geben den Ton an und dem Zuhörer das Gefühl, dass sich die Sängerin noch nie so wohl gefühlt hat wie gerade jetzt an diesem Zeitpunkt. Und es zeigt sich auch in der Herangehensweise an das neue Material: Marina hörte auf, allzu sehr auf andere zu hören, sondern ging mehr eigenen Impulsen nach, fand den inneren Antrieb, die eigene Kreativität mehr zu nutzen und auszuleben.
Vielleicht ist es die Art und Weise, wie Marina Diamandis an „Froot“ herangegangen ist. Vielleicht war es nötig, für eine gewisse Zeit eine komplett andere Person in einem komplett anderen Zeitgefüge zu sein. Sich ganz dem hinzugeben, was man erschaffen hat, jenen fiktiven Charakter Electra Heart und jene Erzählung auszuleben, die im Kopf schwebten.
Um schlussendlich mit dem Tod von Electra nicht nur den fiktiven Ballast loslassen zu können, sondern auch den eigenen, der einen schon so viele Jahre begleitet hat. Alles wegzugeben, das sich aufgestaut hat, das Positive genauso wie das Negative. Um frei zu sein für neue Eindrücke, für das eigene Selbstbewusstsein. „Froot“ ist daher nicht einfach nur ein neues Meisterwerk der Göttin Diamandis, eine Sezierung ihrer eigenen Ängste und Schwächen der Vergangenheit oder eine musikalische Chronik – „Froot“ ist ein Hoffnungsträger für all diejenigen, die Kraft brauchen, um den Blick wieder nach vorn richten zu können.