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Vorgestellt BISS

vvg - 15.08.2018 - 07:00 Uhr

BISS = Bundes-Interessenvertretung Schwuler Senioren e.V.
Unsere Redakteure Viktor und Volker sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden Georg Roth (r.) (Jahrgang 1949) und Vorstandsmitglied Reinhard Klenke (2.v.r.) (Jahrgang 1953).

Was sind die Ziele und Aufgaben eures Vereins, die ihr voranstellt?
G: Wir haben den Verein gegründet, um die Interessen von älteren schwulen Männern in der Politik auf Bundesebene deutlich zu machen. Wir sind ein Lobbyverband. Wir sind auch ein Fachverband, der inhaltlich arbeitet. Drei wichtige Themen haben wir uns für die ersten Jahre vorgenommen: 1.) Aufhebung der §175-Urteile und Rehabilitierung, 2.) Die offene Senior*innen-Arbeit - wo findet man als Schwuler oder Lesbe im Alter Gleichgesinnte und 3.) Pflege und Versorgung - wie sensibel sind die Pflegeangebote für unsere Lebenslage.
R: BISS ist ein eingetragener Verein. Wir richten uns in erster Linie an Verbände und Vereine, wie z.B. die Deutsche Aidshilfe, der LSVD, kleine Aidshilfen oder Lesben und Schwulenberatungstellen. Wir haben ein deutschlandweites Netz von Mitgliedern. Unsere Vision ist eine Gesellschaft der Vielfalt, in der ältere, schwule Männer selbstbestimmt und selbstbewusst ihr Leben gestalten und durch bürgerschaftliches Engagement zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft beitragen.


Kann man sagen, BISS ist für Senioren das, was anyway für Junioren ist?
G: Das kann man so sagen, allerdings arbeitete BISS auf Bundesebene.. Es gibt schon ein gutes Netz in der Jugendarbeit. Wir Älteren sind da etwas später dran, aber wir können von der Arbeit im Jugendbereich lernen.

Ihr habt eine Würdigung durch den ehemaligen Justizminister und heutigen Außenminister erfahren?
R: Die Aidshilfe Köln hat BISS den Jean-Claude Letist-Preis verliehen für unser Engagement besonders im Bereich §175 Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Rehabilitation. Das hat uns sehr gefreut. Übergeben hat ihn der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas.

BISS bietet allen, die zwischen 1945 - 1994 nach dem § 175 StGB und 151 StGB-DDR verurteilt wurden, nun rehabilitiert und entschädigt werden, unter der kostenlosen Hotline-Nummer 0800 175 2017 eine umfassende Beratung an. Die Entschuldigung des Bundespräsidenten an homosexuelle Opfer der Nachkriegszeit ist leider etwas untergegangen. Habt ihr daran einen Anteil gehabt?
R: Nicht unmittelbar, aber wir haben im Vorfeld mit dafür gesorgt, dass das Thema wieder auf die Tagesordnung kam. Hätte der Bundestag nicht in der letzten Legislaturperiode den Beschluss der Rehabilitation beschlossen, wäre dieses Thema nicht mehr auf der politischen Agenda gewesen. Der ehemalige Justizminister Heiko Mass und auch die jetzige Justizministern Katarina Barley haben sich dafür sehr engagiert. Unsere Forderung besteht aber weiter, dass der Bundestag auch der Opfergruppe der Homosexuellen offiziell gedenkt.

„Biss haben" bedeutet, Mut zu haben, etwas anzugehen. Wie viel Biss muss ein schwuler Senior haben, um mit BISS in Kontakt zu treten?
R: Viele ältere Schwule, die verurteilt wurden oder ein Ermittlungsverfahren hatten, scheuen sich die Rehabilitierung und Entschädigung anzunehmen. Dabei können uns eure Leser helfen: jede und jeder kann einmal überlegen, ob nicht ein Bekannter oder Nachbar Zuspruch braucht, um den Mut zu fassen, seine Ansprüche zu realisieren. Es gab auch viele Fälle von Diskriminierung ohne Ermittlungsverfahren oder Verurteilung. Leute sind aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden; haben ihre bürgerliche Existenz verloren. Da sind wir gerade dabei für diese Menschen eine Entschädigung im Härtefall zu ermöglichen.

Beneiden die Senioren eigentlich die jüngeren Schwulen, wegen ihrer grenzenlosen Freiheiten?
G: Alle Älteren, die ich kenne, freuen sich eigentlich darüber, welche Freiheiten die Jugendlichen und wir ja auch haben. Schließlich ist das der Erfolg unserer Kämpfe für gleiche Rechte
R: Einen Punkt diesbezüglich möchte ich noch herausstellen: Mein Engagement bei BISS hängt damit zusammen, dass ich einerseits ein älterer Schwuler bin - andererseits habe ich aus meiner Vergangenheit und aus der Beobachtung der heutigen schwulen Jugendlichen gemerkt, dass Ältere eher abgelehnt werden. Man nimmt ihre Geschichte, die der Verfolgung, des Verstecktlebens erst wahr, wenn man mit ihnen ins Gespräch kommt. Unser Engagement will eine Wiedergutmachung auch innerhalb der Community herstellen. Ich wünschte, dass der Dialog, der damals nicht stattgefunden hat, heute zwischen Alten und Jungen endlich stattfindet.
G: Wenn ich die engagierten Jugendlichen beobachte u.a. bei SCHLAU.NRW, da denke ich manchmal: das sind doch tolle Enkel, die wir da haben.


Norbert Reicherts und Christoph Schmidt (im Bild links) haben bei ihrer Hochzeit auf die obligatorischen Geschenke verzichtet und stattdessen die stattliche Summe von 1.200 € an Spenden für BISS gesammelt.
R: Das war eine wunderbare Aktion. Sie wollten einfach Danke sagen, für das, was die Älteren erkämpft haben und worauf sie oft selbst verzichten mussten. Da wünsche ich mir gern Nachahmer.

Wie finanziert ihr euch? Seid ihr grundsätzlich auf Spenden angewiesen?
G: Wir werden von der Bundesregierung gefördert, für einzelne Projekt auch von Stiftungen. Weitere Spenden sind immer willkommen, sie machen uns in der Arbeit unabhängiger. Die Aidshilfe NRW hat uns von Anfang an praktisch unterstützt. Ein großes Dankeschön dafür an den Vorstand und die Menschen in der Geschäftsstelle.

Wofür wird das Geld eingesetzt?
G: Wir haben Facharbeitskreise, wir bieten das Beratungstelefon für Rehabilitierte an, wir arbeiten mit in Fachgremien der Seniorenverbände, wir waren aktiv auf dem deutschen Seniorentag in Dortmund. Auch haben wir Workshops gemeinsam mit Mitgliedsorganisationen vor Ort durchgeführt und eine Handreichung für die Arbeit in den schwulen Seniorengruppen herausgegeben.
R: Wenn wir Veranstaltungen durchführen, gibt es viele Ältere, die sich gar nicht die Fahrtkosten leisten könnten und da sollten wir endlich einmal mit dem Vorurteil aufräumen, Homosexuellen wären alle wohlhabend. Ich bin inzwischen zu der Einschätzung gekommen, dass gerade die Homosexuellen in Armut leben, die unter dem §175 gelebt haben und die, die die AIDS-Krise überlebt haben.


Was ist euch noch wichtig zu sagen, was wir nicht gefragt haben?
G: Die LGBTI*s sollten sich frühzeitig Gedanken über ihr Alter machen und sich heute noch engagieren, damit sie später einmal sorgenfreier alt werden können.
R: Die Szene sollte die ältere Generation nicht vergessen. Vereine sollten auch alte Menschen im Vorstand haben, damit nicht Teile der Community übersehen werden. Die Sichtbarkeit der homosexuellen SeniorInnen muss größer werden.
G: Im nächsten Jahr ist der 50ste Jahrestag von Stonewall. Da sollten wir Älteren auf den CSDs und bei den Demos vorne dabei sein, in der ersten Reihe! - und nicht nur die Prominenten.

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