Neue PoxApp bietet schnelle Hilfe an Studie aus London belegt besondere Gefahr für Menschen mit HIV
Die Deutsche Aidshilfe drückte es in einem ihrer letzten Statements passend aus: Die Affenpocken sind gekommen, um zu bleiben. Auch wenn die Fallzahlen dank des umsichtigen Verhaltens der Gay-Community und aufgrund der Impfungen schrittweise seit August letzten Jahres zurückgegangen sind, kommt es trotzdem immer wieder zu neuen Übertragungen. Die gefühlte Sicherheit ist eine sehr trügerische, denn Mediziner wie auch Experten beispielsweise vom Robert Koch-Institut sind sich sicher, dass Mpox uns als sexuell übertragbare Erkrankung erhalten bleiben kann. Eine Zweifach-Impfung auch jetzt noch vor der Pride-Saison 2023 und den sexpositiven Festivals und Events in diesem Sommer ist also durchaus weiterhin sinnvoll.
Die Impfung ist dabei mehr als eine reine Präventivmaßnahme, um ein paar Hautausschlägen zu entgehen; das Virus ist keineswegs so harmlos, wie einige in der Gay-Community offensichtlich bis heute denken. Die Impfung kann Leben retten! Die neusten Daten dazu kommen in diesen Tagen aus London: Die Affenpocken sind für Menschen mit einer fortgeschrittenen HIV-Infektion oder der Diagnose AIDS „sehr tödlich“, so die neusten Studienergebnisse. Es ist die erste große Studie zum Thema Mpox und HIV; demnach liegt die Sterblichkeitsrate bei 15 Prozent bei Menschen mit HIV und CD4-Zahlen, die niedrig genug für eine AIDS-Diagnose sind. Die Rede ist zudem auch von „verheerenden Auswirkungen“ wie beispielsweise schweren Haut- und Genitalverletzungen. Bei bis zu einem Viertel der Menschen mit einem stark geschwächten Immunsystem können Affenpocken zum Tod führen. Bei Menschen mit HIV gilt eine CD4-Zahl von 500 oder mehr als gesund. Unbehandelt baut das Virus das Immunsystem ab und führt zu einer fortgeschrittenen HIV-Erkrankung – eine antiretrovirale Behandlung kann dies allerdings wieder ausgleichen. Bei einer CD4-Zahl unter 200 wird die Diagnose AIDS gestellt, was bedeutet, dass ein HIV-positiver Mensch ein erhebliches Risiko für über ein Dutzend schwere und teils tödliche Infektionen hat.
Die neusten Daten wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht. Die Analyse umfasste rund 380 Personen aus 28 Ländern, die alle HIV-positiv waren und eine Anzahl von weniger als 350 der als CD4-Zellen bezeichneten Schlüsselimmunzellen aufwiesen, die zur Abwehr von Infektionen beitragen. Siebenundzwanzig dieser Personen starben. „Die Daten sind für Menschen mit fortgeschrittenem HIV erschreckend. Es ist wirklich erschütternd!“, so Dr. Chloe Orkin, Expertin für Infektionskrankheiten an der Queen Mary Universität in London gegenüber NBC News. Sie ist auch die Hauptautorin der Studie. Orkin drängt darauf, dass Menschen mit fortgeschrittenem HIV weltweit vorrangig gegen Mpox geimpft werden sollten. Sie und ihre Co-Autoren setzen sich zudem dafür ein, dass die weltweiten Fachstellen im Bereich Gesundheit wie die CDC (Center for Disease Control and Prevention) in den USA und die WHO (Weltgesundheitsorganisation) die Affenpocken als „AIDS-definierenden Zustand“ einstufen, wenn die Infektion bei HIV-positiven Menschen zu Nekrose oder zum Absterben von Gewebe führt. Ein Grund, warum die WHO bis heute die Notstands-Einstufung für Mpox beibehält und, ähnlich wie die Deutsche Aidshilfe, erneut zu Impfungen aufruft.
Nebst der eigenen Sicherheit geht es natürlich auch darum, eine erneute Pandemie zu vermeiden – genau aus diesem Grund ist ab sofort die neue kostenlose PoxApp der Berliner Charité verfügbar, deren Ziel die Früherkennung einer möglichen Virusinfektion ist. Anwender werden in einem kostenlosen und einfach verständlichen kurzen Fragebogen in fünf Minuten durch das Programm geführt. Zu Beginn werden dabei klassische Abbilder von möglichen Hautläsionen gezeigt – sind diese mit jenen ähnlich oder identisch, die man an seinem eigenen Körper entdeckt hat, bittet einen die PoxApp im nächsten Schritt, ein gut ausgeleuchtetes, nahes und zentriertes Bild seines eigenen Hautausschlages zu übermitteln. Eine künstliche Intelligenz analysiert das Bild daraufhin und errechnet dann das persönliche Erkrankungsrisiko anhand des Fotos. Wichtig dabei: Das übermittelte Foto wird anonym auf dem eigenen Smartphone oder Computer analysiert und nicht auf einen externen Server hochgeladen. Begleitend dazu wird auch ein kurzer Fragenkatalog zu den Symptomen und Kontakten ausgewertet. Das ganze Verfahren dauert gerade einmal ein paar Minuten. Am Ende bietet die App den Nutzern alle relevanten Informationen über das Affenpockenvirus, weitere Kontaktinformationen und zudem auch medizinische Angebote in der Nähe der User. Zudem lässt sich die App auch als ein Dokumentationstool für die eigenen Daten nutzen, um sich so besser auf einen möglichen Arztbesuch vorbereiten zu können.
Dem Forscherteam des Digital Clinician Scientist Programms der Berliner Charité ist dabei durchaus etwas Besonderes gelungen – die PoxApp ist die erste Applikation weltweit, die mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz (KI) in Kombination mit dem gesammelten medizinischen Fachwissen sachlich fundiert eine Risikoabschätzung vornimmt. Dabei ist laut dem Expertenteam allerdings trotzdem klar: „Die App erbringt keine diagnostischen Leistungen und dient nicht der Überwachung oder Behandlung von Erkrankungen. Diese App ersetzt keine ärztliche Beratung oder Behandlung.“ Bis heute gehen Fachärzte von Schwerpunktpraxen davon aus, dass die tatsächliche Anzahl der Fälle von Affenpocken in Deutschland deutlich höher liegen könnte, denn oftmals könne es vorkommen, dass infizierte Männer sich lieber drei Wochen aus einem anderen Grund heraus krankschreiben lassen und einfach zu Hause bleiben, anstatt die Diagnose beim Hausarzt und gegebenenfalls beim Arbeitgeber öffentlich zu machen – letzteres ist natürlich keine Verpflichtung, ganz im Gegenteil sogar. Trotzdem fürchten manche schwulen Männer eine Stigmatisierung gleich in mehrfacher Hinsicht: Die einen könnten fälschlicherweise als stark promiskuitiv eingestuft werden, bei anderen käme die Wahrheit einem Zwangsouting gleich, denn bis heute sind und waren größtenteils nur schwule und bisexuelle Männer von den Affenpocken betroffen, die ebenso in überwiegender Weise diese durch einen Sexualkontakt erhalten haben. Ähnlich problematisch kann eine solche Diagnose auch in einer monogamen Beziehung sein, wenn einer der Partner doch jenseits der Zweisamkeit Sex hatte. Wieder andere schwule Männer schämten sich ganz generell bei der Diagnose Mpox, auch im schwulen Freundeskreis, und verheimlichten deswegen bestmöglich die Erkrankung. Kurzum, die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen und auch ganz aktuell steht zu befürchten, dass schwule Männer infiziert sind, ohne dass zuständige Fachstellen dies registriert haben.
Das Robert Koch-Institut geht derzeit offiziell von rund 3.700 Fällen von Affenpocken in Deutschland seit dem Ausbruch der Pandemie vor fast einem Jahr aus. Die ersten Fälle in Europa waren im April 2022 in London aufgetreten; das Virus hatte sich daraufhin ab Mai binnen kürzester Zeit weltweit außerhalb des Ursprungslandes Afrika ausgebreitet. Zu den Epizentren in Europa gehörten nebst Großbritannien und Spanien auch Deutschland. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass auch einige sexpositive Events und Fetisch-Festivals zur Verbreitung von Mpox in nicht unerheblichem Maße beigetragen haben. Nach Angaben der CDC gab es weltweit bisher rund 86.000 Fälle in 110 Ländern – 96 Menschen starben durch Mpox. Betroffen von der Viruserkrankung waren beinahe ausschließlich schwule und bisexuelle Männer. Nach Angaben der CDC geht die Studienlage zudem davon aus, dass zwischen 38 und 50 Prozent der, mit Mpox diagnostizierten Personen auch HIV-positiv waren.
Gerade auch für schwule Männer mit HIV stellt die neue PoxApp somit definitiv eine Bereicherung dar. Nach Angaben der Charité sei ein weiteres Ziel auch, Sekundärinfektionen zu verhindern – ein besonders wichtiger Aspekt für HIV-positive Menschen, die statistisch gesehen vermehrt zu Komorbiditäten neigen und auch deutlich anfälliger für Herz- und Krebserkrankungen sind als die deutsche Durchschnittsgesellschaft. Die neue App ist dabei auch ein Pilotprojekt für Herausforderungen in der Zukunft und könnte der Ausgangspunkt für weitere KI-gestützte Frühwarnsysteme für Pandemien sein. Anhand der App wird genau mit diesem Ziel derzeit auch an der Stanford Universität geforscht. Ein umfassendes Früherkennungssystem auch für andere Viruserkrankungen oder beispielsweise auch für Geschlechtskrankheiten könnte zum Game-Changer in vielen Bereichen werden. Geschlechtskrankheiten wie Syphilis breiten sich gerade auch in der Gay-Community wieder vermehrt aus, zuletzt schwankten hier die Zahlen. Der Höhepunkt mit rund 8.000 Fällen im Jahr wurde 2019 verzeichnet, daraufhin war bis 2022 zwar ein Rückgang zu vermelden, allerdings wohlweislich auch aufgrund stark verminderter Kontaktmöglichkeiten durch die Corona-Pandemie. Die Epizentren der bakteriellen Erkrankung sind Berlin und Hamburg. Auch die Anzahl anderer übertragbarer Infektionen wie Gonorrhö (Tripper), Hepatitis B und Chlamydien nahmen stark zu, einzig die HIV-Neuinfektionen stabilisierten sich. Deutschland liegt damit im Trend wie ganz Europa, mehr als 500.000 Menschen stecken sich hier jährlich mit einer Geschlechtskrankheit (STI) an, die stärksten Zuwächse von fast 90 Prozent sind bei den 15 bis 49-jährigen Menschen zu verzeichnen. Kurzum, schnell funktionierende Frühwarnsysteme in Verbindung mit kostenfreien Apps könnten hier eine deutliche Verbesserung der Situation bringen – natürlich ersetzt dabei keine App eine ärztliche Diagnose, kann aber im Zweifelsfall zu einer schnelleren Behandlung führen. Die Affenpocken eignen sich auch deswegen in besonderer Weise dafür, weil Mpox sich bei mehr als 90 Prozent der Betroffenen in Form von charakteristischen Hautveränderungen äußert. Ein großes Plus für das Erkennungsprogramm der KI. So manche Geschlechtskrankheiten indes können auch über einen längeren Zeitraum ohne äußerlich erkennbare Symptome im Körper voranschreiten. Grundsätzlich bleibt der Einsatz von KI in diesem Bereich aber ein sinnvolles Unterfangen mit dem Potenzial für deutlich mehr, noch dazu, da im Falle der Affenpocken die KI auch dazulernt – mit jedem neuen Bild einer Hautläsion wird die Bewertungsrichtlinie genauer und besser. Wichtig ist und bleibt dabei die absolute Anonymität des Nutzers, sodass auch Skeptiker künftig vielleicht leichter für eine Erstdiagnose zu haben sind. Selbst die Eingabe der Postleitzahl dient nach der Auswertung des personalisierten Risiko-Scores nur dazu, Ansprechpartner und Fachärzte in Wohnnähe zu vermitteln. Auch diese Daten verbleiben auf dem Smartphone des Nutzers, die Betreiberfirma bekommt diese nicht zu sehen, so das Team der Berliner Charité abschließend.