Männliche Emanzipation Wie viel Maskulinität steckt im Make-up?
Als Moderatorin Barbara Schöneberger in einem Instagram-Video forderte, Männer sollten sich nicht schminken, erntete sie einen Shitstorm für diese „Argumentation“: „Männer sind Männer, und Männer sollten irgendwie auch Männer bleiben“. Ist also ein Mann, der Make-Up trägt kein Mann mehr? Was ist er dann? Warum sollte Schminke den Frauen vorbehalten sein? Kennt Make-Up überhaupt ein Geschlecht oder ist es nicht vielmehr eine Art sich und seine Persönlichkeit auszudrücken? Das Thema betrifft dabei längst nicht mehr nur Drag-Queens oder Drag-Kings, auch (heterosexuelle) Promis wie Ex-Fußballstar David Beckham zeigen sich heute ganz selbstverständlich mit Lidschatten und Make-Up und Schauspieler Ezra Miller stolziert mit Kleid und expressiver Schminke über den roten Teppich.
Dabei geht Make-Up bei Männern bis in die frühe Neuzeit zurück, da es Jugend symbolisierte und man sogar mit Färbemitteln graue Haare abdeckte. Am Hofe der alten Ägypter schminkten sich ebenfalls nicht nur die Damen, sondern auch die vornehmen Herren so genannte „Smokey Eyes“. Die griechischen Männer benutzten Augencremes und die Römer manikürten sich mit Schweineblut. Erst als Männlichkeit im 20. Jahrhundert als „hart“ und „unweiblich“ definiert wurde, markierte Make-Up eine Grenz- bzw. Genderüberschreitung. In den Achtzigerjahren spielten so vor allem Popstars wie David Bowie oder Prince mit Geschlechterrollen. Seit Jahrtausenden schminken sich Männer also schon, warum ist es dann im Jahr 2021 überhaupt noch ein Thema? Das Bild von Männlichkeit hat sich im Laufe der Geschichte stets gewandelt und so hat sich die Mehrheit der Männer in jüngerer Vergangenheit wieder vom Schminken distanziert.
Für den „Normalbürger“ lautet die Schminkdevise deshalb heute oft noch so: Als Mann sollte dein Make-Up unsichtbar und unauffällig sein. Die Geschlechterklischees sind hier immer noch präsent, in den Drogerien wechselt man von den bunten oder rosa Frauen-Regalen in die dezenten Ecken für Männer-Produkte, wo ein Shampoo nach Hopfen riechen soll, die Logos nach Handwerk aussehen und ein Abdeckstift als „praktisches, einfaches Werkzeug“ verkauft wird. Immer noch soll Männer-Make-Up lieber tarnen, anstatt schöner zu machen. Doch auch im Mainstream fängt dieses binäre Bild an zu verschwimmen und immer mehr Männer greifen bewusst und sichtbar zu Make-Up.
Dies beweist beispielsweise eine nackte Zahl: In der Corona-Krise stiegen die Internetsuchanfragen nach „male makeup looks“ um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr: Warum nicht bei Video-Meetings mit ein wenig Schminke nachhelfen, um jünger und frischer auszusehen? Die Schönheitsindustrie springt nun ebenfalls langsam auf diesen Trend an und das Segment der Männerkosmetik soll in den nächsten Jahren stetig ausgebaut werden – schließlich haben Männer im letzten Jahr fast eine Milliarde Dollar dafür ausgegeben. Das renommierte Label Chanel hat nun in seiner Marke „Boy de Chanel“ eigens für Männer hergestellte getönte Tagescremes, Lippenbalsams, Concealer und Augenbrauenstifte im Angebot.
Aber warum muss so etwas Selbstverständliches wie es Make-Up als Pflegeprodukt ist, überhaupt ein Geschlecht haben? Make-Up für alle sollte eigentlich die Devise sein! Ein Unisex-Make-Up scheint eine Generationenfrage zu sein und dies wird sichtbar in den Sozialen Medien, wo junge Männer mit Bart und lackierten Fingernägeln durch Clips tanzen und in YouTube-Videos Lidschattenfarben auf männlichen Handrücken für die männlichen Augen getestet werden. In Asien ist ein androgynes und geschminktes Männerbild seit den gigantischen Erfolgen der K-Pop-Bands ebenfalls weit verbreitet und die Jungs im Westen ahmen dies immer mehr nach. Diese geschlechtsneutrale Generation Z sieht im Thema Make-Up & Männer vor allem Potential zur Kreativität und Freiheit.
Geht also Make-Up und Maskulinität mit einer Art „männlicher Emanzipation“ einher, wo es auch für Männer selbstverständlich ist, sich zu schminken? Bislang verbindet die Gesellschaft mit geschminkten Männern Homosexuelle, für Heterosexuelle scheint das Tabu weiter zu leben: Make-Up kann also einen Beitrag dazu leisten, dass hetero-normative Standards gebrochen werden. Männliche Stereotype werden herausgefordert und das Konzept der Geschlechterfluidität sickert auch bei Unternehmen ein, so dass geschlechtsneutrale Kosmetika an Popularität gewinnen.