Vorgestellt KUNTERGRAU
Die Premiere der 2. Staffel von „KUNTERGRAU“ war am 1. April im Kölner Cinedom im vollbesetzten Saal mit 700 Plätzen, ca. 100 Personen fanden gar keinen Platz mehr. Am 23. April erschien die erste Folge online auf YouTube. Wir sprachen mit einem der Hauptdarsteller.
Mousti, erklär doch mit kurzen Worten, was genau ist „KUNTERGRAU“?
Das ist eine schwule Webserie, die sich mit Themen beschäftigt, die nach dem Coming Out auftreten. Dabei geht es wie im alltäglichen Leben um Beziehungen, Liebe, Sex, Familie und HIV.
Spielst du als Mousti dich selbst?
Nein, ich spiele mich nicht selber, sondern die Rolle des Marcel, einen umtriebigen Partygänger, der sehr oberflächlich und HIV positiv ist. In der Serie wird gezeigt, wie er mit seiner Krankheit umgeht und wie andere darauf reagieren.
Aber irgendwie sind Mousti und Marcel beides Großstadtschwule; bis auf die Erkrankung war ich auch ein wenig wie Marcel. Als ich nach Köln kam, habe ich ähnlich gelebt: habe Parties besucht und ganz viel oberflächlichen schnellen Sex genossen. Was die Liebe im Film betrifft, klappt dass nicht so gut, weil ich mich als Marcel in Philipp verliebe, der das nicht erwidert. In meinem Privatleben bin ich allerdings schon seit 1 ½ Jahren in einer sehr glücklichen Beziehung.
In der aktuellen Umfrage haben wir gefragt, was eine gute Beziehung ausmacht?
Ich denke, Ehrlichkeit macht eine Beziehung aus. Egal ob es um Treue geht, oder um andere Themen. Solange man ehrlich zu einander ist, kann eine Beziehung funktionieren. Man muss nur über alles reden.
Wie hast du dich auf die Rolle des HIV-Kranken vorbereitet?
Ich bemerkte schnell, dass ich mir darüber Wissen aneignen muss und habe mir viel über das Thema angelesen und Gespräche mit der Aids-Hilfe und dem Checkpoint geführt, was mir sehr geholfen hat. Gerade was das Hintergrundwissen und die Gefühlsebene angeht, welche Ängste da im Umgang mit der Gesellschaft in einem stecken, haben mir beim Umsetzten der Rolle geholfen.
Richtet sich die Serie gezielt an das schwule Publikum?
Ja, definitiv. Die Problematik in der Serie beschäftigt sich mit den Fragen: Wie geht es nach dem Coming Out weiter und welche Probleme tauchen für heranwachsende schwule junge Männer auf?
Wie bist du an die Rolle gekommen?
Ich bin zufällig zum Casting gekommen, hatte eigentlich nicht viel erwartet, denn in meinem Kopf steckten zu der Zeit viele familiäre Probleme, da ich selbst gerade im eigenen Coming-Out-Prozess steckte. Ich musste zwei Texte auswendig lernen und vor einer Jury vortragen, in der u.a. auch der Regisseur und der Drehbuchautor saßen. Zwei Wochen später wurde ich angerufen und mir wurde die Rolle des Marcel angeboten.
Das Ganze ist ein Projekt vom Jugendzentrum anyway. Die gesamte Crew besteht aus jungen Menschen, die eine wirklich perfekte und professionelle Arbeit abgeliefert haben.
Das stimmt. Alle im Team haben viel Zeit und Herzblut in das Projekt gesteckt und dafür über sechs Monate alles liegen und stehen lassen und sich nur mit diesem Projekt beschäftigt. Insgesamt sind vier Episoden von jeweils 20 Minuten entstanden. Die erscheinen vom 23. April jeweils sonntags ab 19.00 auf YouTube und sind danach jederzeit abrufbar. Nach jeder Folge machen wir einen Lifestream, wo wir als Darsteller dabei sind, um mögliche Fragen zu beantworten.
Fühlt man sich nach so einer Resonanz als Star?
Ich glaube, mit dieser Resonanz hatte niemand gerechnet. Ich hatte bei der Premiere noch Angst, es würden zu wenige Leute kommen - plötzlich wurde es überdimensional. Aber ja, man ist schon sehr stolz, dabei sein zu dürfen. Es ist schön, wenn so viele Augen auf einen gerichtet sind. Ich habe ja als Frischling in der Schauspielszene angefangen, habe aber nach dieser Staffel gemerkt, dass ich Lust hätte, später auch mal als Schauspieler zu arbeiten. Momentan studiere ich Sozialarbeit, das ist mein Berufsziel; aber auf Projekte bezogen, könnte ich mir das auch in der Zukunft gut vorstellen.
Erzähl mal von dem privaten Mousti.
Ich bin 27 Jahre alt und komme aus dem Libanon. Als ich ca. 1 ½ Jahre alt war sind meine Eltern während des Bürgerkrieges als Flüchtlinge nach Europa geflohen. 1991 kamen wir nach Deutschland. Ich selbst lebe seit 20012 nun in Köln, wo ich mich sehr wohl fühle. Nach meinem Coming Out wollte ich mit der ersten Staffel „KUNTERGRAU“ meinen Eltern zeigen, dass ich schwul bin. Da meine Familie aber sehr fundamentalistisch ist, war die Reaktion vor 1 ½ Jahren, dass sie den Kontakt zu mir vollkommen abgebrochen hat. Das tat zwar weh, aber es ist nicht meine Entscheidung. Ich selbst musste mich für einen Weg entscheiden: entweder meinen Eltern zu gefallen oder frei leben zu können. Ich habe mich für die Freiheit entschieden. Ich bin ja auch Moslem, da konnten anfangs viele Menschen nicht verstehen, wie das mit Homosexualität funktionieren kann. Ich selbst komme damit zurecht: ich habe einen Weg gefunden, mit meinem Glauben so zu leben, wie es für mich richtig ist.
Hattest du nie Angst vor Gewalt?
Ich hatte große Angst, weil es nur ganz wenig Menschen gibt, die offen darüber sprechen. Dadurch dass ich da so offen mit umgegangen bin, habe ich mir eine Basis, eine Art neue Familie aus vielen Freunden geschaffen, so dass ich heute keine Angst mehr habe. Im Gegenteil, ich nutze jede Chance, darüber zu sprechen, weil das wichtig ist. Aus dem Grunde beteilige ich mich auch beim Projekt SCHLAU-Köln. Wir gehen mit verschiedenen Teams in Schulklassen, wo wir über LGBT-Themen berichten und Aufklärung betreiben. Da spreche ich auch ganz offen über meine Situation.
Bist du diskriminiert worden?
Viel und oft. Zuerst wegen meiner Herkunft, anschließend wegen meiner Sexualität; also praktisch doppelt. Und das bekomme ich teilweise auch heute noch mit.
Und du spielst einen HIV-Kranken. Woher nimmst du deinen ganzen Mut?
Ich möchte einfach viele Menschen erreichen, um ihnen zu vermitteln: je länger man sich versteckt, umso schwerer wird es, sich irgendwann sich zu öffnen. Überraschenderweise sind die arabischen Staaten unser drittstärkstes Zuschauerland. Deswegen werden wir die neuen Staffeln in verschiedenen Sprachen übersetzen. Wenn also jemand eine Sprache beherrscht und Lust hat, unsere Texte zu übersetzen, der soll sich bei „KUNTERGRAU“ melden. Ich mache momentan die Untertitel für die arabischen Länder.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Mehr Offenheit und Toleranz. Man kann sich schlecht vorstellen, wie schwer man es einem Menschen machen kann, seinen Weg zu finden. Ich habe es erlebt und überstanden – hoffentlich! Und da wünsche ich mir, dass auch andere Menschen mehr Toleranz erfahren. Ich bin sicherlich an meinen Problemen und den Schwierigkeiten, die mir andere gemacht haben, gewachsen und wäre heute nicht der Mensch, der ich ohne diese Probleme geworden wäre. Trotzdem wünsche ich jedem ein möglichst unkompliziertes Coming out und setzte mich deshalb dafür ein.
Gibt es eventuell irgendwann eine 3. Staffel?
Das kann ich nicht beantworten. Aber die 2. Staffel endet zumindest so, dass sich eine Fortsetzung anbieten würde…