Mario Adrion Ein neues Bild von Männlichkeit
Wer Mario Adrion noch nicht kennt, hat etwas verpasst – das deutsche Multitalent macht seit einigen Jahren Karriere in den USA. Einen richtigen Kick verschaffte ihm dabei ein Auftritt bei American Idol, wo er neben US-Superstar Katy Perry in einer Badehose auftrat – das wurde zu seinem besonderen Markenzeichen.
Mario, du bist in den USA als YouTuber, Model und Stand-Up-Comedian sehr erfolgreich, kommst aber eigentlich aus einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg. Wie kam es dazu?
Als ich in Deutschland aufwuchs, gab es niemanden, der etwas Kreatives oder Außergewöhnliches tat. Obwohl ich es liebte, kreativ zu sein, habe ich studiert, um Ingenieur zu werden, weil ich in der Schule gut war und einen immensen Druck verspürte, mich anzupassen. Als ich dann mit meinen ersten Modeljobs um die Welt reiste, merkte ich, wie lohnend es ist, seinen Impulsen zu folgen und aus seiner Komfortzone herauszukommen.
Die Bühne ist für dich zur Welt geworden, was reizt dich daran besonders?
Ich liebe es einfach, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ein einziges YouTube-Video kann zwar Millionen von Aufrufen erhalten, aber es ist nie so wirkungsvoll wie Stand-up-Comedy, wenn du physisch in einem Raum stehst – und sei es nur zusammen mit fünfzig anderen Leuten. Da entsteht eine magische Verbindung.
In deinem Podcast UNCENSORED sprichst du mit bekannten US-Showgrößen. Was ist dir dabei besonders wichtig?
Eine meiner wichtigsten Botschaften ist es, neu zu definieren, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Als Europäer möchte ich viele Blockaden überwinden, die Männer haben, wenn es darum geht, über ihre Sexualität oder ihre Verletzlichkeit zu sprechen. Ich möchte meine Gäste unterhalten und von ihnen lernen, während ich gleichzeitig viele der engstirnigen Vorstellungen, die viele Amerikaner noch immer von Männlichkeit haben, in Frage stelle.
Du bist vielen Menschen auch aufgrund deiner oftmals spärlichen Bekleidung in Erinnerung. Hattest du jemals bedenken, so freimütig aufzutreten?
Ich bin als Unterwäschemodel aufgewachsen. Ich fühlte mich also von klein auf wohl dabei, meinen Körper zu zeigen. Indem ich sexy posiere, möchte ich mit dem Klischee brechen, dass es Männern nicht erlaubt ist, sexy zu sein. Jeder Mann kann Speedos tragen, egal ob er schwul oder hetero ist. Früher habe ich allerdings immer einen immensen Druck verspürt, stets in perfekter Form zu bleiben, das sehe ich heute entspannter.
Mit deiner Öffentlichkeitspräsenz zeigst du auch Missstände auf, beispielsweise Missbrauchsvorfälle zwischen Models und Fotografen.
Ich wurde als männliches Model sexuell belästigt. Leider ist es nicht ungewöhnlich, dass Männer in der Modelbranche Opfer von Übergriffen und Belästigungen werden. Viele von uns wollen jedoch nicht darüber sprechen, weil wir denken, dass wir keine Opfer sein dürfen. Vor allem Heteromodels haben schnell Angst, als schwul dazustehen. Ich habe selbst lange gebraucht, mich diesem schwierigen Thema zu öffnen, mein bester Freund hat mir dabei geholfen. Uns verbindet ein hohes Maß an Liebe und Intimität, das die meisten Menschen wohl nur in einer romantischen Beziehung erleben. Für Frauen ist es normal, über ihre Ängste und Unsicherheiten zu sprechen. Viele Männer verpassen die Liebe ihrer Freunde, weil sie Angst haben, dass sie schwul werden könnten. Ich möchte alle Arten von männlicher Liebe normalisieren, weil wir sie alle brauchen.
Es gibt ja das Klischee, dass der größte Clown privat oftmals ein trauriger Melancholiker ist, denken wir nur an den Schauspieler Robin Williams. Wie ist das bei dir?
In meinem Privatleben bin ich viel ernster als auf der Bühne, ich fühle mich aber gut und arbeite ständig an meiner geistigen Gesundheit. Ich habe kürzlich einen guten Freund und großartigen Komiker namens Neel Nanda verloren. Wenn wir Männern erlauben würden, verletzlicher zu sein und offen zu reden, würden die Selbstmordraten sinken und Männer würden sich weniger hoffnungslos fühlen.
Du lebst heute in Los Angeles. Gibt es ein paar Dinge, die du aus Deutschland vermisst?
Ich vermisse deutsche Musik! Ich habe früher in Berlin gelebt und bin ein großer Fan von Techno-Musik. Ich fahre etwa zweimal im Jahr zurück, um meine Familie zu sehen und die Ruhe in Süddeutschland zu genießen. Wenn ich keine Stand-up-Comedy machen würde, würde ich vielleicht sogar wieder in Deutschland leben. Die Lebensqualität und das Essen sind im Allgemeinen besser als in den USA.
Wie blickst du auf deine zahlreichen schwulen Fans?
Ich liebe meine schwulen Fans. In meiner Modelzeit waren die meisten meiner Freunde schwul. Das hat mir erlaubt, echter und verletzlicher zu sein. Es ist viel schwieriger für mich, mit meinen heterosexuellen Freunden auf einer emotionalen Ebene eine intime Verbindung aufzubauen. Ich glaube, wenn alle Männer nur ein bisschen mehr schwul wären, wäre die Welt ein besserer Ort.