Leserumfrage Welt-Aids-Tag
Mit gerade 19 Jahren war ich in den frühen 1980ern gleichzeitig mit meinen Schwierigkeiten beim Coming-Out auch noch mit dieser neuen, tödlichen „Schwulenseuche“ konfrontiert. Zwei Jahre zuvor hätte die Benutzung von Kondomen beim schwulen Sex Heiterkeitsstürme provoziert und nun waren sie plötzlich die einzige Waffe gegen Aids. Ich sah, wie enge Freunde in ihren 20ern starben, zitterte zwei Wochen lang vor dem ersten Testergebnis und bewunderte, wie bereits HIV-Infizierte ihr damals unabänderliches Schicksal trugen. Es war ungeheures Engagement und große Solidarität in der Community. Mutige Menschen entzogen gewissen Tendenzen zur Isolierung und Ausgrenzung den Nährboden und man überbrückte die Zeit mit massiven Aufklärungskampagnen und der bestmöglichen medizinischen Versorgung, bis 1996 endlich die ersten voll wirksamen Therapien verfügbar waren.
Ich werde an diesem Montag mit meiner Kollegin in der Praxis Menschen mit HIV/Aids medizinisch betreuen und danach mein Ehrenamt beim Testangebot von Pudelwohl für MSM in Dortmund wahrnehmen. Das Gedenken an die, die den heutigen Tag nicht mehr erleben können, bleibt in mir immer lebendig, und dies nicht nur an einem Tag im Jahr. Ich finde es absolut wichtig, dass es diesen Tag gibt und er vor allen Dingen weltweit gleichzeitig begangen wird; er ist in keiner Weise überflüssig. Gerade, weil ich Menschen mit schweren Erkrankungen aufgrund einer späten Diagnose sehe, finde ich es wichtig, die Möglichkeit einer Infektion nicht unter „kann doch gut behandelt werden“ zu verdrängen und dies anlässlich des Welt-Aids-Tages wenigstens einmal im Jahr der ganzen Welt zu Gehör zu bringen. Ich denke da vor allem an die Menschen, die HIV (bereits) verdrängt haben und auf deren (politischer) Agenda mittlerweile andere Sachen stehen. Aids geht nach wie vor uns alle an! Insofern ist für mich dieser Tag ein Symbol für Erinnerung, Nicht-Vergessen und Solidarität.
Dr. med. Andreas Bellmunt, Dortmund
Der Welt-Aids-Tag ist für mich ein besonderer Tag aus vielerlei Gründen. Zum einen, weil mich das Thema beruflich betrifft und die Tage um den WAT mit viel Arbeit und Aktionen verbunden sind; zum anderen, weil es ein Tag ist, der für Solidarität steht. Solidarität mit Menschen, die eine Infektion oder Krankheit haben, die von vielen heute noch immer in die Schmuddelecke gedrängt wird. Für mich persönlich ist dieser Tag, aus welchem Grund auch immer, ein wichtiger in meinem Leben. Vielleicht, weil ich als Kind großer Queen-Fan war, vielleicht, weil ich später oftmals, zuerst zufällig, dann gezielt, in Aktionen zu diesem Tag eingebunden war. Später hat er für mich hohe Relevanz gewonnen, da ich durch meine Arbeit in der HIV-Prävention viel Kontakt zum Thema und mit betroffenen Menschen bekommen habe. Innerhalb der Community kriege ich unterschiedlichste Sichtweisen auf das Thema HIV/Aids zu hören. Meine Erfahrung ist, dass es zwei Lager gibt: Da gibt es die einen, die seit Jahren sehr gut informiert sind und für die das Leben mit HIV bzw. die sexuelle Gesundheit ein Teil des Lebens geworden ist. Dann wiederum die anderen, für die HIV/Aids eher ein Relikt der 1980er Jahre ist, das nicht mehr so viel Aufmerksamkeit braucht; oftmals ist das eher die jüngere Generation. Hier herrschen noch immer veraltete Schreckensbilder vor. Deshalb gilt es nach wie vor, zu informieren und Brücken zu bauen. Ich denke, der 1. Dezember ist dazu eine gute Gelegenheit und hat sich als Symbol, ebenso wie die rote Schleife, mittlerweile im Bewusstsein etabliert.
Marcel, Aids-Hilfe Bochum
Muss ich vor Weihnachten etwas Gutes tun und alles, was mir Spendenvereine und ähnliche andrehen wollen, annehmen oder mich bequatschen lassen? Nein, muss ich nicht und ich will auch nicht, dass mich jeder anspricht, wenn ich durch die Stadt laufe. Diese Gedanken teilen wahrscheinlich viele Menschen mit mir. Trotzdem stehe ich selbst, wie viele andere auch in der Innenstadt oder bin auf Partys zu finden und versuche auf Themen wie HIV/Aids und andere STIs aufmerksam zu machen. Natürlich habe ich auch im Hinterkopf, was die Leute denken mögen, doch ich denke mir wie z.B. zum Welt-Aids-Tag, dass ich nicht nur für den guten Zweck oder für andere Menschen hier stehe oder weil es mein Job ist, sondern auch aus Gründen meiner Überzeugung. Ich finde es wichtig, dass Menschen mit HIV/Aids nicht in Vergessenheit geraten. Bevor ich anfing, im Aids-Hilfe-Kontext zu arbeiten, hatte ich keine Berührungspunkte zu HIV/ Aids. Weder habe ich Menschen an Aids verloren, noch hatte ich die Zeit von damals miterlebt, da ich einfach zu jung bin. Doch mit der Zeit habe ich viele Geschichten von Zeitzeugen gehört, habe bei Veranstaltungen oder Schweigeminuten die Emotionen von Angehörigen oder Betroffenen spüren können. Solange es Menschen gibt, die Menschen aufgrund ihrer Infektion stigmatisieren oder diskriminieren, kann es nicht sein, dass dieses Thema in Vergessenheit gerät. In meinen Augen ist es ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die mit ihrem Herzblut dabei sind, schon so lange kämpfen und engste Vertraute verloren haben. Inzwischen habe ich viele Berührungspunkte mit HIV und denke, dass Aids im Wandel der Zeit jeden angeht. Trotz der guten medizinischen Möglichkeiten der heutigen Zeit gibt es noch eine Menge zu tun. Leider hilft das auch noch nicht jedem. Was sie alle gemeinsam haben: die gesellschaftliche Diskriminierung und Stigmatisierung. Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Aber reicht das aus?
Martin Ocepek, Aids-Hilfe Essen
Zuerst war ich irritiert, als mich meine Mutter im Rahmen meiner Erzählungen über Stress in der Arbeit plötzlich fragte, wann denn der Welt-Aids-Tag sei. Nachdem ich darüber nachgedacht habe, wurde mir etwas sehr deutlich. Der Welt-Aids-Tag ist – wie die meisten Gedenktage – etwas für Menschen, die sich bestimmter Sachverhalte nicht bewusst sind, diese verdrängen oder schlicht vergessen. Insofern ist es klar, dass meine Mutter, die sehr selbstverständlich mit dem Thema HIV und Aids und auch mit Aidshilfe umgeht, diesen Tag eigentlich auch nicht „auf dem Schirm“ zu haben braucht. Wer sich viele Tage im Jahr mit den Themen rund um HIV und Aids beschäftigt, braucht in der Regel auch keinen Anstoß mehr. Da die Beschäftigung mit diesen Themen aber nicht in der gesamten Allgemeinbevölkerung üblich ist, bleibt der Welt-Aids-Tag wichtig. Gerade heute, wo viele glauben, dass die medizinische Behandelbarkeit einer HIV-Infektion eine Heilung sei und sich der bestehenden Diskriminierung und Stigmatisierung HIV-positiver Menschen nicht bewusst sind. Der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember ist wichtig! Wichtig, um die Solidarität mit HIV-positiven Menschen darzustellen, einzufordern oder anzumahnen. Außerdem auch, um auf die dringende Notwendigkeit von Spenden für die Angebote der Aidshilfe Köln hinzuweisen, die ohne dieses Geld nicht existieren kann. Und es ist nicht nur legitim, sondern ein äußerst positives Zeichen, wenn viele Hundert Schülerinnen und Schüler an diesem Tag aus Solidarität mit HIV-positiven Menschen in der ganzen Stadt um Geld bitten. Es gibt viele Möglichkeiten, am Welt-Aids-Tag aber auch das ganze Jahr über die Aidshilfe zu unterstützen und damit im Abseits stehenden Menschen unserer Gesellschaft zu helfen.
Olaf Lonczewski, Aids-Hilfe Köln
Als Geschäftsführer einer örtlichen Aids-Hilfe stehen für mich HIV und Aids und die Menschen mit HIV und Aids das ganze Jahr über im Mittelpunkt. Wir leben jedoch in einer Welt, die täglich von neuen Informationen, Krisen und Sensationsmeldungen überflutet wird. Der Welt-Aids-Tag bietet die Möglichkeit, dem Thema HIV und Aids am 1. Dezember weltweit die notwendige konzentrierte öffentliche Aufmerksamkeit zu schenken. Wir nutzen ihn, um die Bielefelder BürgerInnen und die Menschen, die von AIDS besonders betroffenen sind, über neue Entwicklungen und Projekte zu informieren. Außerdem werben wir für Solidarität mit Menschen mit HIV und Aids und sammeln Spenden. Dabei greifen wir die bundesweite Kampagne zum Welt-Aids-Tag „Positiv zusammen Leben“ auf. In diesem Jahr stehen die unbegründeten Infektionsängste im Vordergrund. Menschen mit HIV und Aids sind auch heute noch von Diskriminierung bedroht, sei es beim Zahnarztbesuch, am Arbeitsplatz oder im Alltag. Irrationale Infektionsängste sind eine Ursache für Ausgrenzung. Am Welt-Aids-Tag haben wir eine größere Medienaufmerksamkeit für unsere Forderungen. In diesem Jahr richten wir unseren Blick auch auf weltweite Herausforderungen und rufen zur Beteiligung an unserer Strickgraffiti-Aktion zum Welt-Aids-Tag auf. Wir verfolgen das ehrgeizige Ziel, eine etwa 4 m hohe Informationssäule auf dem Milleniumsradweg des Bielefelder Welthauses mit einem gestrickten Kondom einzuhüllen. Die Stele informiert über das Milleniumsentwicklungsziel der Weltgesundheitsorganisation, HIV/Aids und andere schwere Krankheiten zum Stillstand zu bringen. Für die Verwirklichung der Idee wird jetzt eifrig gestrickt. Obwohl ich nicht religiös bin, ist für mich der jährliche Gottesdienst zum Welt-Aids-Tag ein wichtiges Ritual, um gemeinsam mit anderen der vielen an Aids verstorbenen FreundInnen zu gedenken. Engagement und Solidarität dürfen sich aber nicht auf den 1. Dezember beschränken, sondern müssen an jedem Tag des Jahres gelebt werden.
Peter Struck, Aids-Hilfe Bielefeld
Ich habe bei einem Jugendverband (JV) ehrenamtlich gearbeitet und dort u.a. eine Kooperation mit einem JV in Sambia auf- und ausgebaut. Es wurden Projekte gefördert und ich bin 1999 selbst dort gewesen und habe Menschen liebgewonnen, die ich nachher in Deutschland wiedergetroffen habe. Viele von diesen leben nicht mehr, denn Sambia gehört zu den Ländern mit der höchsten HIV-Infektionsrate. Deshalb finde ich es schade, dass in Deutschland, obwohl wir so privilegiert sind, immer noch Menschen leben, die nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind und somit keine Medikamente nehmen. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, Menschen zu motivieren, sich testen zu lassen, wenn sie Risiken eingehen. Dafür ist der Welt-Aids-Tag ein guter Anlass. Jeder sexuell aktive Mensch sollte sich die Frage stellen, ob, wann und wie viel Risiko er in der einen oder anderen Situation eingegangen ist.
Ich selbst gehe durchaus Risiken ein, das gehört zum Leben. Gleich mein erstes Date nach dem Coming-Out war ein Mann mit HIV. Für mich damals kein Problem, obwohl ich noch nicht so gut informiert war wie heute, etwa darüber, dass eine wirksame HIV-Therapie genauso zuverlässig vor der Übertragung von HIV schützt wie Kondome. Ich hätte gern mehr aus der einen Nacht gemacht, aber er konnte sich eine Partnerschaft nicht vorstellen – nicht zuletzt, weil er selbst Probleme mit seiner Infektion und dem Risiko für mich hatte. Das hat mich so sehr bedrückt, dass ich mich in diesem Bereich mehr engagieren wollte. Heute darf ich das als hauptberuflicher Mitarbeiter der AH Paderborn. Deshalb ist jeder Welt-Aids-Tag für mich der stressigste und wichtigste Arbeitstag im Jahr. In Paderborn haben wir unter anderem einen Infostand in der Innenstadt geplant, feiern einen ökumenischen Gottesdienst, an den sich ein Fackelzug anschließt und werden zusätzlich am 6. Dezember eine große Sammelaktion mit vielen Ehrenamtlichen starten. Ein Tag, auf den ich trotz Stress nicht verzichten möchte und auf den ich mich immer wieder freue.
Thorsten Driller, Aids-Hilfe Paderborn