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Leserumfrage // © Angelafoto

Leserumfrage Schwule in der Provinz

vvg - 19.07.2017 - 10:00 Uhr

Wir sind seit 10½ Jahren zusammen, seit acht Jahren verpartnert und leben aus unserer Sicht sehr „normal“! Wir haben alles, was wir brauchen: ein Haus mit Garten und ein gutes soziales Umfeld, dass zu 90% aus Heteros besteht. Für einen junger Mann, der gerade feststellt, dass er auf Männer steht, ist das Leben in der Provinz schon schwieriger. Cafes, Bars, Restaurant oder eine Sauna für schwule Männer gibt es nicht. Es existiert ein Pornokino, wo hin und wieder was abgeht und es gibt an der Autobahn ein Cruisinggebiet. Früher gab es noch am Wasser- und Schifffahrtsamt einen Cruisingpark, aber der ist Vergangenheit. Einmal im Quartal lädt die „Rosa Engel Reloaded Party“ in die Zeche Radbod. Uns fehlt die Großstadt nicht, wenn wir ausgehen wollen fahren wir nach Dortmund, Essen, Bochum oder Köln. Wir können selbst mit den Nahverkehrsmittel alles gut erreichen; auch nachts. Negative Erlebnisse haben wir nie gemacht. Einmal hat man uns ein Phallussymbol ans Haus gemalt. Das hatte wohl keinen politischen Hintergrund, sondern war ein Dummer-Jungen-Streich. Wir leben offen und erleben immer positive Reaktionen.

Wir sind übrigens seit 4 Jahren in einem der 37 Schützenvereine in Hamm;  Ralf wollte unbedingt Schützenkönig werden und hat am ersten Juni-Wochenende endlich den Vogel abgeschossen, Bernd hat auch nichts dagegen, die „First Lady“ zu sein. J Unser Verein ist damit der erste „Hammer“-Verein“, der ein gleichgeschlechtliches Paar als Königspaar vorweisen kann. Wir wissen zwar, dass Schützen-Vereine als spießig gelten; aber das passt zu uns. Wir haben eine Zugehfrau, die seit Jahren von Gran Canaria schwärmt. Wenn wir dann stattdessen in den Bayrischen Wald fahren, verdreht sie die Augen und sagt: „Wie kann man als schwuler Mann bloß so spießig sein?“ Zumindest sorgen wir aber im Verein für Aufklärung. Im Gegensatz zum Landtagskandidaten hier im Ort, der offen schwul lebt, aber keine schwulen Themen in seiner Politik thematisiert.
Bernd & Ralf leben in Hamm

Bernd & Ralf // © vvg

Ich habe meine Jugend in Eisenach verbracht und lebe heute aus beruflichen Gründen in einer Großstadt. Geoutet habe ich mich mit 18 bei meiner Mutter (mein Vater war schon verstorben) und zwei auserwählten Freunden. Meine Mutter reagierte mit Angst vor der Zukunft ihres Kindes und um eventuell auftretende beruflichen Nachteile. Die beiden Freunde haben das mehr oder weniger hingenommen. Mit 19 habe ich meiner Geburtstadt den Rücken gekehrt, aber eben aus beruflichen Gründen und nicht, um der Provinz zu entfliehen. Ob ich heute noch in Eisenach leben könnte, kann ich nicht sagen. Ich war, seit ich meinen Führerschein hatte, schon immer in ganz Deutschland unterwegs und hatte Freunde in Hamburg, Bremen, Lübeck. Mein Alternativplan beinhaltete auch ein Studium und die Städte, die in Frage gekommen wären, waren Leipzig und Dresden oder im Westen Düsseldorf und Köln. Ich gehe mal davon aus, dass man auch heute noch im ländlichen Raum schief angeschaut wird, wenn man anders ist, als die anderen. Ich kenne auch einige, die Angst hatten, sich zu outen. Szenemäßig in Eisenach ausgehen, war nicht möglich. Es gibt da nichts. Junge Leute, die ihr selbstgewähltes Leben kennen lernen möchten, müssen schon in die nächstgrößeren Städte wie Erfurt und Kassel fahren oder in die Metropolen Leipzig und Frankfurt.

Die Szene hat sich aber in den letzten Jahren stark verändert durch das Internet. Die sogenannte digitale Szene hat die reale Szene in der Provinz etwas verdrängt. Wenn ich in meinem Beuteschema um Eisenach gesucht habe, gab es da nur 3 bis 4 Männer im Umkreis von 100 km, die mich interessiert hätten. Das ist heute auch dort anders. Dennoch, schwule Provinz, wird auch weiterhin Provinz bleiben. Die Rolle der schwulen Hotspots, die Großstädte Berlin, Köln Hamburg wird in Zukunft noch mehr wachsen.
Björn stammt aus Eisenach

Björn // © vvg

Ich bin in Essen geboren und als 13-jähriger mit meinen Eltern ins Sauerland nach Meschede/Grevenstein gezogen. Ich habe dort vier Jahre gelebt und bin wegen der Ausbildung wieder zurück nach Essen gegangen. Mein Outing hatte ich also voll während der Provinz-Zeit im Sauerland. Ich habe schon mit 13 Jahren bemerkt, dass ich männliche Körper anziehender finde, als die der Mädchen. In der Schule wurden - wie überall - Schimpfworte wie "Schwuchtel" oder "schwul" verwendet. Als ich mich jedoch in der Klasse outete, habe ich viel Verständnis und keinerlei Ablehnung erhalten. Das lag sicher auch daran, dass ich zu den beliebten Schülern der Klasse gehörte und nie als Aussenseiter dastand. Ich habe es auch nicht an die große Glocke gehängt und wenn mir jemand doof kam, habe ich schon gezeigt, das man mir nichts anhaben kann. Allerdings hat mein (griechischer) Vater bis heute das Problem, dass ich als sein einziger Sohn schwul bin, obwohl er sonst sehr offen und tolerant ist. Das Thema wird in der Familie totgeschwiegen.

Meine ersten praktischen Erfahrungen hatte ich mit 15. Einen Freund habe ich über die Plattform ICQ kennengelernt. Ein Freund hat mir dann von "Gayromeo" erzählt und da habe ich mich angemeldet, natürlich als volljährig :-).  Mein erstes Date kam dann wenig später mit dem Auto aus Dortmund.

Die Schwulen, die ich im Sauerland kannte, konnten mir nur Tipps in den umliegenden Großstädten wie Essen, Köln und Dortmund geben. Außer dem Internet gab es im Sauerland gar keine Treff- oder Anlaufpunkte. Es ist halt alles sehr ländlich. Man verabredet sich im Internet und trifft sich. Gäbe es kein Internet, wäre man da ganz schön am A****. Allerdings: was man nicht kennt, kann man auch nur schwer vermissen. Ich konnte mir auch gar nicht vorstellen, was es alles für Möglichkeiten und Anlaufpunkte in Städten gibt.
Joe, ist in Essen und dem Sauerland großgeworden

Joe // © vvg

Ich habe zuerst in Eberswalde gelebt, einer Provinzstadt 70 km NÖ von Berlin und bin mit 14 Jahren nach Osnabrück gezogen; erneut in die Provinz. Schon in Eberswalde hatte ich durch einen öffentlichen Zugang zu einem Internet –Terminal in einer Sparkasse den ersten Kontakt zu anderen Schwulen. Als ich dann in Osnabrück ins „Bivaland“ kam, wo man beim Einlass nach Klingeln und Öffnung des Sichtfensters eingelassen wurde, hatte ich als sogenanntes Frischfleisch sofort einen Freund an der Backe. Immerhin waren wir gut 3 ½ Jahre zusammen. Heute ist in der Stadt für schwule Männer "Tote Hose". Es gibt zwar noch eine Erotikkette, wo man hingehen könnte, aber das ist eher was für Heteros. Und wo man früher am Präriesee cruisen konnte, befindet sich heute ein Anglerverein. Wo fährt man hin, wenn man Szene erleben möchte, man fährt - wie ich es mache - am besten nach Hannover, Münster, Bielefeld oder Köln. Ich bin da eher ein „sexueller Flüchtling“ und immer unterwegs. Alle vierzehn Tage startet allerdings eine GayParty im „Nice“, oder man geht ins noch einzigst etablierte „Confusion“. “Theos“ eine ehemalige Institution gibt es leider nicht mehr. Obwohl wir in Osnabrück auch einen CSD haben (an dem ca. 50 Personen teilnehmen) lebt man hier doch teilweise eher versteckt, verschlossen und geheim; dass man schwul ist, muss eher diskret bleiben. Auf Parties oder "dunklen Ecken" wird man natürlich gerne gesehen, trifft man aber die selben Leute auf offener Straße, wird man ignoriert. Ich bin schon küssend und Hand in Hand durch andere Städten gezogen; Dinge, die man in Osnabrück nicht mal denken darf. Ich würde mir wünschen, dass die Schwulen generell mehr für sich einstehen; teilweise sind wir nämlich intoleranter als die Heteros. Und wir sollten einfach mehr Präsenz zeigen. Sobald sich für mich die Chance zu Job und Wohnung in einer Großstadt bietet, werde ich der Provinz den Rücken zu kehren.
Marcel aus Osnabrück

Marcel // © vvg

Ich bin in Oberschlesien geboren und lebe seit 30 Jahren in Deutschland. Zuerst habe ich im Ruhrgebiet gelebt, dann vor 9 Jahren habe ich meinen Freund Torben in Dortmund auf einer Party kennen gelernt und bin aus Liebe zu ihm nach Lüdenscheid gezogen. Dort wohnen wir seit 3 Jahren in einem kleinen schnuckeligen Eigenheim und fühlen uns sehr wohl. In Lüdenscheid selbst ist primär wenig los und schwul auszugehen ist eh` schwierig. Angebote für Jugendliche gibt es kaum, die sind eher mit anderen Gruppen in anderen Städten vernetzt. Meist treffen wir uns mit Freunden privat, wenn wir Szene erleben wollen, fahren wir entweder nach Dortmund oder nach Köln.

In der Schwul-lesbische-Initiative-Merkischer Kreis – kurz SLIMK genannt  - bin ich seit 3 Jahren im Vorstand. Wir haben uns dort für die Belange der schwul-lesbischen Community eingesetzt. Bis 2015 hatten wir sogar einen eigenen CSD, das schlief dann aber durch mangelndes Interesse und das fehlende Nachrücken junger engagierte Neu-Mitglieder ein. Außerdem war der Altersdurchschnitt zu hoch, das bedeutet konkret, dass wir uns in der Auflösungsphase befinden. Ich denke, 2018 wird es den Verein nicht mehr geben.

Ich habe aber hier nie Diskriminierungen erlebt. Im Gegenteil, beruflich bin ich geoutet und da gab es nie irgendwelche Probleme. Ich bin auch verpartnert und wir haben einen wunderschönen Tag erlebt. Die Menschen, die zu unserem Freundeskreis gehören und in direkter Nähe leben sind andere Schwule, türkische und polnische Familien und wir sind Bestandteil in dieser Diversity.

Sicherlich kann es nervig sein, wenn man erst mal mit dem Auto in eine andere Stadt fahren muss, um am schwul-lesbischen Leben teilnehmen zu können, aber so eine „Provinz“ hat auch Vorteile: Wir haben uns unser Reich erschaffen, wohnen in ruhiger, idyllischer Lage und das Leben ist nicht so anonym, wie man das aus der Großstadt kennt. Dort wo wir wohnen, verbringen andere Menschen ihren Urlaub.
Peter aus Lüdenscheid

Peter // © vvg

Oberhausen bietet wenig Gaylife. Es gibt zum Cruisen den „Grillopark“, den ich nicht besuche, weil sich dort die Drogenszene aufhält und ein Porno-Kino mit einem sogenannten Bi-Tag ist auch nicht meins. Zum Glück ist Essen und Duisburg nicht allzu weit. Heute kann sich jeder überall problemlos outen. Das heutige Outing findet meiner Meinung nach über das Internet statt. Es wird immer unproblematischer und die, die sich outen immer jünger, weil man viel offener damit umgeht. Wenn man sich die richtigen Infos holt, traut man sich auch problemlos in die Szene. Ich habe mich mit 16 Jahren bei meiner Eltern geoutet, weil ich mich bei einer Kirchenfortbildung in einen Jungen verliebt hatte: der meine Liebe aber nicht erwiderte. Mit 17 hatte ich meinen ersten Freund. Meine erste Anlaufstelle war die schwule Sauna in Essen. Da bin ich nach zwei Stunden wieder raus, das war reiner Kulturschock! Dort hat mir aber ein Besucher die Party „Bang“ empfohlen, die einmal im Monat im Druckluft stattfand, und wo ich meine ersten Kontakte und Freunde kennen lernte. Darüber kam ich zur Jugendgruppe „ISIT“, die ich mitgeleitet und Jugendlichen bei ihrem Coming Out geholfen habe. Leider gibt es „Iron Signs in Triangel“ heute nicht mehr, aber es existiert eine andere Jugendgruppe.

Empfehlen würde ich heute für den Einstieg in die schwule Welt den Besuch in einem Lokal wie dem Gentle M in Essen. Ein Sauna-Besuch sollte nicht der erste Weg sein. Wenn man Erfahrungen im schwul-lesbischen Bereich gesammelt hat und neugierig auf einen Saunabesuch ist, gebe ich den Tipp: Ich arbeite in der Ruhrwellness in Mülheim und wir bieten einmal im Jahr einen „Schnuppertag“ an. Junge Leute können (angezogen oder in Badehose) sich einem Nachmittag in der Sauna umsehen und entscheiden, ob sie z.B. an den Youngster-Tagen, Gefallen daran finden und ihre Schwellenangst überwinden. Schwules Leben wird aber erst in Düsseldorf und Köln interessant.
Steven aus Oberhausen

​​​​​​​Steven // © vvg

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