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50 Jahre Stonewall - CSD heute // © OlegAlbinsky

Leserumfrage 50 Jahre Stonewall - CSD heute

vvg - 21.07.2019 - 07:00 Uhr
Brigitte // © vvg

1990 befand sich in NRW die CSD Demonstration in einem Dornröschenschlaf, und wir, Aktivisten aus der Kölner Lesben und Schwulen Community, wollten ihn wieder wachküssen. Ich war gerne bereit mitzumachen, denn nur gemeinsam, so meine Überzeugung, konnten wir politisch und gesellschaftlich was verändern. Uns fehlte damals noch ein passendes Konzept. Die CSDs in New York und San Francisco in den USA, groß, bunt und lebensfroh, wurden zu unserem Vorbild. Polit-Parade und Straßenfest. 1991 feierten wir, die Community, zwei Tage lang in der Kölner Altstadt unseren ersten CSD mit neuem Konzept. Damals noch als „Cologne Lesbian and Gay Freedom Day“ ein Jahr später als „Kölner Lesben und Schwulentag“ (KluST). Zu unserer ersten Demo, auf dem Alter Markt, kamen etwa 250 TeilnehmerInnen und zum Straßenfest rund 2.500 Gäste. Heute ist der CSD in Köln die zweitgrößte Veranstaltung der Stadt mit rund einer Millionen Zuschauern. Wir waren also, vor rund 30 Jahren auf dem richtigen Weg. Gesellschaftspolitisch haben wir zusammen viel bewegt. Die Gesellschaft und die Politik sind in vielen Bereichen liberaler geworden, die 'sexuelle Orientierung' ist ins Grundgesetz (Artikel 3 GG) aufgenommen, wir haben das Antidiskriminierungsgesetz, die 'Ehe für Alle' ist seit 2017 gesetzlich verankert. Und sexuelle Identität und Selbstbestimmung wird heute auf einem anderen Niveau diskutiert. Sicherlich, wir haben viel erreicht, aber wir haben auch noch viel vor uns, denn wir spüren heute öffentlich einen immer stärkeren Gegenwind. Diffamierungen, Pöbeleien, Ausgrenzung und Gewalt gegen Schwule, Leben und Transgender nehmen deutlich zu. Diskriminierung wird zunehmend wieder hoffähig. Deshalb ist es für mich wichtig, dass wir jeden Tag für unsere Rechte eintreten, das wir repressionsfrei unser selbstbestimmtes Leben leben können. Niemand hat das Recht, egal ob in der Gesellschaft, der Politik oder vonseiten der Religionen, mir vorzuschreiben, wie ich zu leben habe, solange ich damit niemanden schädige.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ Artikel 1 GG, war für mich der Motor, mich in der CSD-, Bürger- und Menschrechtsbewegung zu engagieren. Denn 'die Würde des Menschen' ist nach wie vor antastbar. Und deshalb gehe ich mit Stolz zum CSD, um für unsere Menschenrechte zu demonstrieren.
Brigitte Maser, Köln

Natürlich kenne ich den Ursprung des CSD. Vor 50 Jahren wehrten sich Schwule, Lesben und Transsexuelle gegen eine polizeiliche Razzia im Stonewall Inn, einer Bar in der Christopher Street. Zur Erinnerung an diesen Aufstand feiern wir jedes Jahr weltweit den Christopher Street Day. In diesem Jahr freue ich mich besonders darauf, dass ich persönlich beim 50. Stonewall-Pride in New York dabei sein kann. Ich habe schon im letzten Jahr mit meinem Freund festgelegt, dass wir dieses großartige Event am 29. Juni live miterleben wollen. Schließlich fing dort vor 50 Jahren alles an und seitdem haben wir Jahr um Jahr für unsere Rechte gekämpft und es mittlerweile sogar bis zur Ehe geschafft. Ob man damals davon geträumt hätte? Die Szene heute erlebe ich unheimlich vorteilhaft. Es ist aber wahnsinnig wichtig, dass wir den Christopher Street Day haben und daran teilnehmen, um damit auf zu zeigen, dass wir präsent sind. Das bleibt immer wichtig, auch wenn der CSD heute eher als große Party in Erscheinung tritt. WIR sind da und in weiten Teilen der Gesellschaft angekommen und WIR wollen diesen unseren Platz behalten. Ich hoffe nicht, dass es wieder Zeiten geben wird, wo wir uns gegen irgendwelche homophoben Personen oder Gesetze wehren müssen. Die Szene darf auch nie nur auf die Bars und Clubs reduziert werden, die Szene sind Menschen und heute kann man fast überall in Westeuropa offen schwul, lesbisch, trans* sein. Ich arbeite in einer Firma, wo es vollkommen egal ist, welche Sexualität ich lebe. Ich mache meinen Job und jeder akzeptiert mich. Ich werde zu allen Firmenfesten mit meinem Partner eingeladen. Und diese Selbstverständlichkeit müssen wir bewahren.
Natürlich hat sich auch die Szene in München verändert und vor allem die Gastro-Szene hat sich verkleinert; aber man hat heute auch nicht mehr die Notwendigkeit, nur schwul ausgehen zu müssen. Eigentlich brauchen wir die Treffpunkte fast nicht mehr, man kann überall in der Gesellschaft schwule Männer kennen lernen, selbst auf dem Viktualienmarkt. Das Wichtigste ist aber, immer präsent und sichtbar zu sein und zu zeigen, wir sind ein Teil der Gesellschaft – und zwar ein sehr großer.
Christian aus München
 

Den ersten CSD habe ich 2010 in Duisburg erlebt. Vorher hatte ich keine Berührung mit der Szene. Im Jahr 2012 bin ich durch Zufall dazu gekommen, mit Kollegen einen Verein zu gründen, um den CSD stattfinden zu lassen, was damals auf der Kippe stand. Erst da wurde mir klar, was man durch Engagement erreichen kann. Von „Stonewall“ habe ich erst durch meine Arbeit in der Szene erfahren. Der CSD ist heute umso wichtiger, da leider der eigentlich Gedanke hinter Stonewall in Vergessenheit gerät. Ein CSD ist natürlich auch Feiern der eigenen Lebensweise und das Zeigen in der Öffentlichkeit. Für einige ist es leider „nur Party“, was ich schade finde, da wir versuchen, den Info-Charakter und das Öffnen nach Außen und Sichtbarwerden in den Vordergrund zu stellen. Bemerkungen, dass zu wenig gefeiert wird, dass das Bühnenprogramm zu politisch sei und der Alkohol und der Kommerz zu kurz kommt, ärgern mich. In Duisburg gibt es seit 2016 eine Demonstration. Die erste Demo war „recht schwul“. Heute freue ich mich, dass wir es geschafft haben, auch Lesben und Trans-Menschen für unsere Demo zu gewinnen. Ich finde es wichtig, dass wir durch unsere Arbeit das „schwule, lesbische und transsexuelle Leben“ für die Gesellschaft sichtbar machen und uns nicht mehr verstecken. Dazu gehört, dass wir zuallererst Menschen sind und dann erst schwul oder lesbisch oder trans*. Dieses Bild soll in den Köpfen hängen bleiben. Nicht jeder kann oder will so selbstverständlich mit seiner Sexualität umgehen, wie ich es tue. Früher habe ich mir auch zu viele Gedanken gemacht, was andere über mich denken. Heute weiß ich, dass ich mir keine Schuld geben muss, wenn andere ein Problem damit haben. Das ist deren Problem. Ich sehe in meinem Beruf als Lehrer, dass der Schritt des Outings vielen schwer fällt. Ich möchte dafür sorgen, dass es leichter wird, diesen Schritt zu tun. Ich bemerke aber auch, dass ein "Rollback" gibt. Es kommt immer häufiger vor, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden und Gewalt erfahren. Negative Erlebnisse hatte ich persönlich nie. Ich finde das "Kämpfen" hat sich gelohnt. Heute kann viel offener in der Gesellschaft und im Beruf mit der eigenen Sexualität umgegangen werden. Aber wir sollten es nicht übertreiben und bei jeder Gelegenheit die "Homo-Keule" rausholen.
Christian Karus, Duisburg

Stonewall ist Geschichte, ganz klar, aber damit hat es ja nicht angefangen, sondern mit dem Mut, sich gegen all die Diskriminierungen zu stellen – auch in Deutschland. Die Menschen, die für unsere Rechte auf die Straße gingen und gekämpft haben, waren in erster Linie ältere Schwule. Das war eine schwere Zeit, denn damals wurden die noch verprügelt, bestraft, eingesperrt und vergewaltigt, weil sie der heterosexuellen Norm nicht entsprachen. Der §175 wurde ja auch erst vor 25 Jahren 1994 in Gesamtdeutschland abgeschafft.
Heutzutage ist leider wieder eine Homophobie im Wachsen begriffen, was sicherlich mit der Vermischung der Religionen zu tun hat. Jetzt geht es zurück zu gewissen konservativen Werten. Hinzu kommt, dass es viel Neid gegenüber Homosexuellen gibt: wir haben etwas erreicht, haben Geschmack, verdienen gut, brauchen keine Kinder großzuziehen und leben freier, als es sich eine Familie mit Kindern erlauben kann. Im Alltag ist das sichtbare schwule Leben stark geschrumpft: Die neuen Medien haben viel verändert. Überall, auch in Hamburg, sind viele Clubs und Kneipen nicht mehr vorhanden, weil die Jungs lieber zu Hause vor ihren PCs und Handys hängen. Sie schreien zwar, dass alles öde ist und langweilig, suchen alle nach Liebe und wollen Beziehungen führen, sind aber nicht in der Lage, etwas dafür zu tun.
Ob sich das alles gelohnt hat? Ich denke, der CSD ist zum Karneval geworden; Politdemo ist es irgendwie nicht mehr. Bunt und laut ist ok, ist ja auch Partystimmung. Man kann nicht weglügen, dass wir Aufmerksamkeit haben, und es ist natürlich wichtig, präsent und sichtbar zu sein. Ich selbst muss nicht mehr dabei sein. Ich brauche das nicht, wenn sich Leute halbnackt auf dem CSD präsentieren. Oft machen ?bertriebene "Klischee-Homosexuelle" mit. Wenn Heten auf uns zeigen und ihren Nachwuchs vor uns warnen - schon erlebt -, möchte ich mich nicht mit einreihen. Ich steh für mich selbst, bin geoutet und lebe offen schwul. Früher war ich regelmäßig beim Hamburger Umzug dabei, heute nicht mehr. Warum soll ich im Kostüm mir meine Füße in Stöckeln kaputt laufen, nur dass irgendein Chinese in Hongkong der Oma bunte Bildchen zeigen kann. Trotzdem finde ich den CSD wichtig. Besonders in den kleinen Städten und Orten leben viele Jugendliche, die ihre sexuelle Identität noch nicht gefunden haben und dafür Unterstützung brauchen.
Ginger aus Hamburg, Entertainer und Impersinator

Ich weiß von Stonewall aus dem Internet, was man so recherchiert, wenn man als Jugendlicher heranwächst und wissen möchte, warum gibt es eigentlich CSD und Pride. Das sind also Wikipedia-Informationen, die ich habe. Ich gehe nicht auf jeden CSD, aber 1-2 im Jahr suche ich mir schon gezielt aus. Ich war im letzten Jahr beim Kölner CSD und auch dieses Jahr werde ich wieder da sein. München ist eine Art Heimspiel für mich. Da habe ich eine zeitlang gelebt, kenne dadurch viel Leute und man trifft sich natürlich. Ich war aber auch schon in Würzburg, Nürnberg und Mannheim auf dem CSD. In Bamberg selbst gibt es keinen CSD, aber einen CSD-Tag mit einem Stand vom Verein UFERLOS. Das ist die Comunity von Bamberg, die sich da engagiert und die interessierte Bürger informiert. Da bin ich auch immer mit dabei. Auch wenn in Deutschland schon viel erreicht ist, bleibt für mich der CSD wichtig als eine politische Veranstaltung. In großen Teilen der Welt wird man als Homosexueller noch diskrimiert, kriminalisiert oder ermordet und auch bei uns nimmt die Diskriminierung wieder zu. Ein Herr Trump in Amerika trägt als Weltpolizist nicht zu einer Verbesserung bei und Herr Putin erst recht nicht. Aber ich bin froh, dass wir in Deutschland so gut vorangekommen sind. Ich bin auch verheiratet, seitdem man heiraten kann. Ich wollte nicht nur verpartnert sein. Was ich schade finde, dass die jungen Schwulen um die 20 Jahre nicht mehr zu schätzen wissen, dass man auch mal gezielt schwul oder in Fetisch ausgehen kann. Die schauen mich an, als hätten sie nie von solchen Lokalen gehört. Und sie meinen es nicht zu brauchen, weil man überall hingehen kann. Es ist auf der einen Seite gut, dass es so ist, aber wir dürfen nicht vergessen, wie wir dahin gekommen sind, eben durch Lokale wie das Stonewall Inn oder ähnliche Treffpunkte auch in Deutschland. Ich finde wichtig, dass diese Art Gastro-Kultur nicht untergeht, dass es vielerorts Treffpunkte nur für Schwule geben sollte.
Heiko aus Bamberg

50 Jahre Stonewall und wir sind in Bielefeld seit 25 Jahren dabei; wobei sich mein Mann und ich nicht einig sind, ob wir seit dem ersten, oder dem zweiten Mal dabei sind. Das war damals nicht selbstverständlich, mit einem Transparent auf die Straße zu gehen, um für „schwule und lesbische Liebe“ deren Gleichstellung einzufordern; weil man sich durch so eine Demonstrationsteilnahme ja outete. Ich habe mich das auch nur getraut, weil mein Mann Tom dabei war. Als wir 1994 mit dem CSD starteten, kandidierte ich für den Stadtrat. Das war schon ein Hingucker, denn auf meinem Kandidatenflyer war zu lesen, dass ich mit meinem Mann zusammen lebe. Mich haben auch in späteren Wahlkämpfen noch Menschen darauf angesprochen und ich habe erleben müssen, dass einige Leute vor mir ausgespuckt haben. Es gibt ja selbst heute noch in unserer Gesellschaft Menschen, die dieser Liebe nicht mit Respekt begegnen. Und die werden wieder lauter mit ihrer Feindseligkeit. Diese Vorbehalte werden offen diskutiert und scheinen wieder salonfähig zu sein. In sofern ist der CSD auch in seiner politischen Dimension unglaublich wichtig. Es ist nicht nur Party und auch nicht nur Erinnerung an Stonewall, sondern es ist eine Haltung und ein politisches Statement dafür, wie wir uns unsere Gesellschaft jetzt und in Zukunft wünschen: Eine Gesellschaft, in der jede Art von Liebe von jedem respektiert wird. Respekt dürfen wir nicht nur einfordern, den müssen wir einfordern. Wir dürfen stolz auf unsere Liebe sein und diese auch öffentlich zeigen. Stonewall ist ja zum weltweiten Symbol der schwul-lesbischen Emanzipation geworden. Es ist wichtig, die Geschichte zu kennen; als sich die Dragqueens mit ihren Pumps gegen die Polizei gewehrt haben, damit man sich in Erinnerung ruft, wie viel wir bisher erreicht haben – aber immer noch nicht durch sind. Solange es Leute gibt, die behaupten, Aufklärungsunterricht in Schulen sei falsch verstandene Sexualisierung von Jugendlichen, die dadurch fehlgeleitet werden – und solange wir noch eine hohe Selbstmordrate bei Schwulen und Lesben haben – solange müssen wir weiter um Respekt und Haltung im Umgang mit Menschen unserer sexuellen Identität kämpfen.
Pit Clausen (l.), seit 2009 Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld, mit seinem Mann Tom

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