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Professor Jürgen Terhag // © vvg

Im Interview Professor Jürgen Terhag

vvg - 09.03.2017 - 10:00 Uhr

Professor Jürgen Terhag ist Professor für Musikpädagogik an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz; außerdem Gründer und Leiter beim Schwullesbischen Chor Köln und Ehrenpräsident im Bundesverband Musikunterricht.

Du bist auch „Privat- & Gerichtsgutachter für musikalisches Urheberecht“, was heißt das?
Da geht es beispielsweise darum, zu untersuchen, ob ein Songschreiber bei einem anderen „geklaut“ hat. Ich habe da schon Kraftwerk, Udo Jürgens, Cher und Richard Clydermann vertreten.

Dann frage ich direkt: Hat Cascada ihren ESC-Song „Glorious“ denn nun von Loreens Siegertitel „Euphoria“ abgekupfert?
Wenn das so einfach wäre, gäbe es keine Musik-Gutachter. Der Cascada-Song klingt ähnlich wie „Euphoria“, das muss aber urheberrechtlich nichts bedeuten. Das müsste man sehr genau untersuchen! Ichh persönlich finde „Glorious“ hatte im Vergleich durchaus die richtige Platzierung.

Seit wann gibt es deinen Chor und wie kam es dazu?
Ich habe den Chor 2010 sozusagen während des Rahmenprogramms der Gay Games ins Leben gerufen. Ich leitete damals einen Workshop, an dem viele internationale Gäste teilnahmen. Daraus entstand die Idee, einen festen Chor zu gründen. Später habe ich Flyer verteilt mit dem Text „Lust auf Singen, aber keinen Bock auf Kirchenchor?“ und daraufhin meldeten sich viele Interessierte.

Aus wie vielen SängerInnen besteht ihr und muss man auch schwul / lesbisch sein?
Wir sind knapp 30 SängerInnen von Anfang 20 bis Mitte 60, je 50% Männer und Frauen. Bei den Frauen sind auch ein paar Heteras dabei, denn wir diskriminieren natürlich niemanden. Dass wir mit einem sehr eindeutigen Namen überregional auf der Bühne stehen, ist für Frauen anscheinend weniger ein Problem als für Männer ...

Was ist euer Repertoire und wer entscheidet, was gesungen wird?
Wichtig ist uns ein möglichst breitgefächertes musikalisches Spektrum, ich habe das mal als „groove-orientierte Musik aus fünf Jahrhunderten“ bezeichnet. Dazu gehören vor allem Pop und Jazz, aber genauso auch Volkslieder, Schlagerparodien und kölsche Tön. Ich schreibe auch eigene Songs und inzwischen haben wir Leute im Chor, die das tun. Die meisten Vorschläge kommen aus dem Chor. Ich schaue dann, ob man daraus ein Live-Arrangement entwickeln kann, das sich ohne Noten improvisieren lässt und das wird dann bei den Proben bis zur Bühnenreife weiterentwickelt. An diesem Prozess sind alle beteiligt.

In Köln gibt es viele Chöre aus dem lesbisch-schwulen Bereich. Wie versteht ihr euch untereinander?
Köln ist sozusagen die Hauptstadt der Szenechöre. Die „Kölner Stimmfusion“ umfasst zurzeit neun Ensembles, die alle auch immer wieder gemeinsame Auftritte haben. Da gibt es regen Austausch und eine sehr gesunde Konkurrenz; letztlich machen wir alle dasselbe, nämlich im Chor singen. Nur präsentiert sich jeder anders, dadurch wird es schön bunt. Manche singen acapella, andere mit Klavier oder Band, wieder andere haben einen außermusikalischen roten Faden, machen Kabarett usw..

Ihr setzt euch optisch ab ...
… weil wir immer aussehen wie das Kirchenfenster von Richter; also sehr farbenfroh. Wenn alle das gleiche Outfit tragen, besteht schnell die Gefahr, dass jemand „das falsche Blau“ trägt. Bei uns ist das Gesamtbild so bunt, dass es praktisch nie falsch sein kann, wir sehen immer aus wie ein „betrunkener Regenbogen“ ...

Du bist hier in Köln Vorsitzender von „Jugend musiziert“, interessieren sich junge Leute heute überhaupt noch für Musik - wollen die nicht gleich Superstar werden?
Ich arbeite seit über 30 Jahren im Musikbereich und habe noch nie einen solchen Andrang erlebt wie heute: Wir haben in Deutschland tausende von Chören, Bands und Big Bands, die Laienmusikszene blüht wie nie zuvor. Zu verdanken haben wir das Mr. Bohlen, der etwas geschafft hat, was die Musikpädagogik jahrzehntelang vergeblich versucht hat: zu vermitteln, dass Singen cool ist. Als ich jung war, hatte Chorsingen etwas total Spießiges. Wenn man mir damals gesagt hätte, dass ich mal Chorleiter würde, hätte ich mich sofort erschossen.

Du bietest wie bei «The Voice of Germany» VocalJams an ...
An jedem ersten Freitag im Monat in der Musikhochschule. Da geht es nicht nur ums Singen, sondern auch um Bodypercussion, Beatboxing, intensives Hören, Rhythmusgefühl und Fantasie. Viele unserer Mitglieder haben durchs VocalJam zum Chor gefunden. Die Gruppe wird durch diese völlig freie Art des Singen ganz schnell zu einem Organismus, in dem alle ein gleichwertiger Teil des Ganzen sind. Das funktioniert hervorragend, auch zwischen Lesben und Schwulen, die ja oft nur durch ihre Diskriminierung verbunden sind.

Kommen wir zum Wochenende im März, an dem sich Musikfreunde aus ganz Deutschland treffen.
Du sprichst den Männerchor „HeartChor“ an. Dieses Projekt ist aus meinen Chorkursen im Göttinger Waldschlösschen entstanden, bei denen sich ganz viele wünschten, dass wir weiterhin miteinander arbeiten. So kommen die Jungs jetzt auf eigene Initiative aus ganz Deutschland, proben mit uns in der Hochschule, haben eine Bettenbörse organisiert und wir stellen in gut zwei Tagen ein fast einstündiges Programm auf die Beine, welches Samstagabend in der Szene vorgestellt wird. Das Treffen in diesem Jahr findet vom 22. bis zum 25. März statt; wer mitmachen will kann mich gerne kontaktieren.

Wann hört und sieht man euch noch?
Am 21. Mai singen wir gemeinsam mit den „Leineperlen“ im Schaupielhaus Hannover und vom 22. bis 25. Juni sind wir in den Kölner Sartory-Sälen beim lesbisch-schwulen Festival „Nordakkord“ dabei, bei dem insgesamt 16 Chöre mit 350 Sänger/innen die gesamte LGBTI-Welt zum Klingen bringen werden. Im nächsten Jahr vom 09. bis 13. Mai findet im Münchner Gasteig das europäische Chorfestival „Various Voices“ statt, bei dem wir erstmals dabeisein werden, gemeinsam mit rund 2.500 SängerInnen aus ganz Europa. Die vielen kleinen Konzerttermine findet man auf unserer HP.

Wie gehst du persönlich mit einem schwul-lesbischen Chor um, den du ja leitest?
Ich lebe offen schwul. Alle, die es interessiert, wissen dass ich seit 20 Jahren mit meinem Mann zusammenlebe und seit drei Jahren mit ihm verheiratet bin. Der Chor tritt ja auch oft hier in der Hochschule auf, ich hatte glücklicherweise noch nie Schwierigkeiten mit meinem Schwulsein, natürlich auch, weil ich im künstlerischen Bereich in einer Großstadt arbeite und nicht als Fußballtrainer auf dem Lande J

Wie kann man Kontakt zu dir bekommen?
Am besten über www.slc-koeln.de oder über Facebook und youtube, direkt unter info@slc-koeln.de. Es gibt auf youtube jede Menge Videos von uns, die findet man unter „slc köln“. Wir nehmen sehr gerne noch SängerInnen auf, die musikalisch ambitioniert und fantasievoll sind.
 

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Professor Jürgen Terhag im Februar 2017 geführt.

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