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Pierre Sanoussi-Bliss // © vvg

Im Interview Pierre Sanoussi-Bliss

vvg - 20.02.2017 - 07:00 Uhr

Er ist Schauspieler, Regisseur, Autor und erlangte seine deutschlandweite Bekanntheit durch „Der Alte“, sowie zahl­reiche Spiel- und Fernseh­filme. Derzeit steht er als „Chauffeur von Miss Daisy“ auf deutschen Bühnen.

Du hast 18 Jahre in „Der Alte“ den Kommissar Axel Richter gespielt und Mörder gejagt; dann hat man dich selber gekillt. Du hast in einem Video das ZDF kritisiert und den Verantwortlichten Verjüngungswahn vorgeworfen. Stimmt es: „Wenn eine Tür zufällt, öffnet sich eine neue!“
Ich habe die Art und Weise des Rauswurfs kritisiert und dass man so nicht mit Menschen umgehen kann. Mein Kollege Markus Böttcher und ich wurden mit einer Lüge nach München zitiert und dann vor vollendete Tatsachen gestellt. 6 Wochen später standen wir nach 28, bzw. 18 Jahren auf der Strasse. Ich wurde durch eine junge, weiße Kollegin ersetzt, was trotzdem keine jüngere Zielgruppe gebracht hat. Es gucken jedenfalls nicht Jüngere „Der Alte“, weil zwei jüngere Kommissare dabei sind. Es gibt verrückterweise ausgerechnet unter zdf.de einen Artikel, warum „Der Alte“ eine Kultsendung geworden ist, nämlich, weil das Ermittlerteam nicht wechselte und das Zielpublikum mit uns älter werden konnte. Und dann passiert genau das Gegenteil. Das hat schon weh getan, aber inzwischen ist die Wut verraucht. Und Türen öffnen sich auch nur dadurch, dass man entweder daran zieht oder drückt. Und das habe ich gemacht.

Du hast gesagt: „Ich habe den Eindruck, dass das deutsche Fernsehen immer noch wie mit Persil gewaschen ist: rein weiß. Wenn im Drehbuch hinter einer Rolle nicht „ein Schwarzer“ steht, kommt niemand auf die Idee, uns zu besetzen.“
Ich saß im letzten Jahr u. a. mit Maren Kroymann in der Jury für den Deutschen Schauspielerpreis, wo wir ca. 300 Filme sichteten. Schwarz waren nur Eugene Boateng in „Becks letzter Sommer“ und Thelma Boabeng in „Heil“, ansonsten war niemand mit meiner Hautfarbe dabei. Es gibt in Deutschland aber ca. 50 schwarze Schauspieler jeglichen Alters mit Ausbildung. Schauspieler werden heute größtenteils leider nicht von Regisseuren, sondern von allmächtigen Redakteuren besetzt. So lange sich der Anteil der Migranten bei Redakteuren nicht ändert, wird sich auch sonst nichts ändern. Bei inzwischen 23 Tatort-Teams, gibt es keinen einzigen Schwarzen dabei; das ist schon heftig.

Im gerade erschienenen Hör-Buch „Der Nix“ geht es ums Anderssein, Vorurteile und Schubladendenken: „Egal wie anders man ist, es gibt immer auch andere, die genauso anders sind!“ Sind die Kaulquappe Kauli und der Bäckerjunge Paul dein Alter Ego?
Das hat sicher etwas damit zu tun, aber Alter Ego würde ich nicht sagen, denn Paul ist weiß, was mir lustigerweise auch von Einigen in der „Black Comunity“ vorgeworfen wurde. Die kleine schwarze Kaulquappe ist mir schon eher näher. Ich wollte als Kind allerdings keine Nixe, sondern lieber eine Prinzessin sein, was ich aber heute mit 54 immer noch nicht geschafft habe. Irgendwas lief schief...

In den folgenden Fragen haben wir deine Filme eingebaut: In „Coming Out“ geht es auch um das Thema; wann hast du dein Anderssein bemerkt und dich geoutet?
Ich glaube, ich bin schon mit Pumps auf die Welt gekommen. Es gab keinen bestimmten Zeitpunkt für mich, dass ich mich hätte outen müssen. Meine Mutter hat mich unvermittelt irgendwann einmal gefragt: „Stehst du eigentlich auf Mädchen oder Jungs?“ Da habe ich kurz überlegt und geantwortet: „Auf Jungs.“. Damit war das Thema gegessen.

„Verflixtes Missgeschick“ - Welches Ereignis in deiner Karriere nennst du ein verflixtes Missgeschick?
Der Rausschmiss beim „Alten“, obwohl ich nichts dafür konnte. Ein Missgeschick, dass ich selber verursacht habe? Vielleicht war es nicht klug, meine Meinung zum Rausschmiss öffentlich zu machen, denn seit knapp 3 Jahren habe ich keine TV-Rolle mehr angeboten bekommen. Man kritisiert die Öffentlich-Rechtlichen nicht ohne Konsequenzen. Aber das musste damals raus, sonst wäre ich geplatzt. Ich denke, ich bin damit auf einer „schwarzen“ Liste gelandet.
 

Pierre Sanoussi-Bliss // © vvg

„Keiner liebt mich“ – Wird man weniger geliebt, wenn man alt, dunkelhäutig und schwul ist?
Ich denke, ich werde für meine Arbeit gemocht und es ist den Leuten schnuppe, ob ich schwarz, alt und schwul bin. Das Publikum hat sich nach meinem Rausschmiss sehr für mich eingesetzt, aber das interessierte beim ZDF niemanden. Da saß irgendwo ein Praktikant im Keller, der verschickte auf die Emails eine vorgefertigte Antwort, das war’s. Solange die öffentlich-rechtlichen Sender vom Publikum zwangsfinanziert werden, wird sich am Programm nichts verbessern, denn egal, was sie machen, das Geld kommt eh` rein.

Unsere Monatsfrage heißt „Erleben wir eine neue Prüderie“?
Ich glaube, es kommt einem so vor, weil die Möglichkeiten sich zu äußern, in Zeiten von Internet größer geworden sind. Vielleicht hat es auch mit einem Rückzug ins Private, dem Cocooning zu tun. Man wünscht sich eine heile Welt, die im allgemeinen übrigens höchst selten Homosexualität mit einschließt. Und bei aller Aufklärung bleibt jeglicher Sexualität leider immer noch das Attribut „schmuddelig“ anhängen.

„Alles wird gut“ – Kann man das auch sagen, wenn man sich politisch weltweit umsieht?
Da wird nichts gut. Ich hoffe nur, dass sich alles die Waage hält und nicht kippt. Allerdings ist es sehr heilsam, wie ich es derzeit auf meiner Theatertour mache, mal 3 Wochen kein fern zu sehen. Die Hysterie in einem legt sich. Was ich aber nicht bestreite ist, dass momentan viele „Wutbürger“, die Menschen mit ihren rechten Parolen einfangen. Dabei gebe ich nicht diesen rechten Populisten die Schuld, sondern dem Versagen unserer amtierenden Politiker und etablierten Parteien, die solche Leute haben erstarken lassen.

1998 hieß deine Film-Frage „Bin ich schön?“ Würdest du dich - wenn nötig - unters Messer legen?
Ich habe schon eine OP machen lassen. Seit meiner Jugend störte mich mein Doppelkinn, was dazu führte, dass ich immer meinen Kopf etwas nach vorne schob, um es zu kaschieren. Irgendwann bekam ich Nackenschmerzen, so dass ich mich zu dieser OP entschlossen habe und seitdem geht es mir körperlich und mental wieder sehr gut. Allerdings wundere ich mich oft über Leute, die es in keinster Weise nötig hätten, dass sie sich z.B. Lippen machen lassen, die nicht zum Gesicht passen.

Wer ist denn für dich schön?
Ich habe mich „schockverliebt“ in Louis Hofmann im Film „Die Mitte der Welt“. Den finde ich wirklich schön. Bei den Frauen ist es z.B. Anna Mateur; sie ist keine klassische Schönheit, wird aber schön, wenn man sie kennt und auf der Bühne erlebt. Was heißt überhaupt schön? Ist Frau Streisand schön? Bestimmt nicht im klassischen Sinne, aber sie sieht trotzdem großartig aus. Leute werden doch erst durch ihre Ausstrahlung schön.

„Zurück auf Los“ Alles noch mal von vorne: was würdest du heute anders machen?
Bisher hat eigentlich alles Spaß gemacht. Ich bin mit mir zufrieden, ich habe auch keine Leichen im Keller. Aber bevor ich überhaupt daran dachte, Schauspieler zu werden, wollte ich in die Gastronomie. Ich wollte immer in dem großen Hotel am Alexanderplatz Küchenchef werden, höher hinaus ging es in der DDR ja nicht.Aber frag mich das noch mal, nachdem ich im Dschungelcamp gelandet bin. Angefragt wurde ich dafür jetzt schon das zweite Jahr in Folge. Mein Mann meint allerdings, das wäre ein Scheidungsgrund...

„Angst isst Seele auf“ Was macht deiner Seele zu schaffen?
Dass ich vielleicht irgendwann nicht mehr auf dem Level bin, auf dem ich meinen Beruf ausüben kann. Theater spielen und Drehen strengt enorm an. Bis jetzt hält mich mein Hausarzt aber noch für Anfang 40, was den körperlichen Zustand angeht. 54 ist eben das neue 14 .......J

Du bist mit Till Kaposty-Bliss zusammen, Liebe „Auf den 2. Blick“?
Till und ich haben uns durch Zufall kennen gelernt. Wir hatten beide keine Lust auszugehen, wurden aber von Freunden mitgeschleppt. Da trafen wir aufeinander. Am „Morgen danach“ bin ich in Urlaub auf die Insel Hiddensee gefahren. Als ich am 3. Tag so alleine am Meer saß, dachte ich, dass es doch schön wäre, wenn er dabei wäre. Ich schickte eine SMS „Kuss vom Meer, Pierre!“ und er kam übers Wochenende. Und blieb. Ich habe ihn kurz vor meinem 39. Geburtstag kennen gelernt und am 40. Geburtstag haben wir geheiratet.

Was liebst du an ihm?
Alles! So groß wie er mit seinen 205 cm ist, so groß ist auch sein Herz. Er hat auf mich eine beruhigende und ausgleichende Wirkung, was ich sehr schätze.

„Der Tropfen“ – Wann läuft bei dir das Fass über?
Dann, wenn Kollegen unkollegial sind. Bei Unpünktlichkeit, nicht nur auf beruflicher Ebene. Und wenn Leute keine Distanz halten können und sich durch mich einen Vorteil versprechen, dann werde ich krötig. Übrigens Tropfen: Ich trinke seit 5 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr. Mir fehlt aber nichts und ich bin dadurch nicht ungeselliger. Ich habe einfach den Appetit verloren. Wahrscheinlich die Wechseljahre ...

Nach „Zurück auf Los!“ hast du deine 2. Filmregie mit dem Film „Weiber! – Schwester teilen. Alles.“ gemacht, der inzwischen auf 21 internationalen Filmfestivals lief und 6x ausgezeichnet wurde; u.a. mit dem „Hollywood“ und dem „Barcelona“-Award. Wann kommt der Film ins Kino?
Gute Frage, ich suche seit Monaten händeringend einen Verleih; von 27, die ich angeschrieben habe, haben 19 erst gar nicht reagiert. Dadurch, dass ich den Film am System vorbei produziert habe, ist es schwierig, ihn an den Start zu bringen. Wenn man keine Filmförderung in Anspruch genommen hat, wird es einem schwer gemacht. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf. Wenn gar nichts klappt, organisiere ich vielleicht eine Film-Vorführungs-Tour in auserwählten Kinos. Die Idee zum Film basiert auf Sabine Rückerts Buch „Tote haben keine Lobby“, in dem sie nachweist, dass jeder 2. Mord in Deutschland unentdeckt bleibt. Es haben viele Freunde über Crowdfunding in den Film investiert und es sind großartige Schauspieler dabei, die alle auf Gagen verzichteten, z.B. spielen die heterosexuellen Machos Sven Martinek (der 7 Kinder von 6 Frauen hat) und Werner Daehn ein schwules Paar. Herrlich und unbedingt sehenswert.

Pierre Sanoussi-Bliss // © VVG

In den Filmen „Coming Out“, „Zurück auf Los“, „Die Friseuse“, „Der Tropfen“ und „Weiber“ spielt auch immer Matthias Freihof mit, das sieht nach „Ziemlich beste Freunde“ aus?
Das sind wir auch. ? Matthias ist nicht nur ein grandioser Schauspieler, sondern auch mein Trauzeuge. Wir beide haben im letzten Sommer bei den Schlossfestspielen in Neersen auch „Ziemlich beste Freunde“ gespielt. Es gab tatsächlich nach jeder Vorstellung Standing Ovations und die Kritik betitelte uns als „Ziemlich beste Schauspieler“. Ging natürlich runter wie Öl. Ich kenne Matthias nun seit 34 Jahren, da wir an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in einem Studienjahr waren. Wir sind wie (warme) Brüder und wohnen auch seit über 20 Jahren im gleichen Haus.

Die nächste Frage hast du oft in „Der Alte“ gestellt: „Wo warst du gestern Abend zwischen 20 und 22 Uhr?“
Ich stand auf der Bühne in Bonn-Bad Godesberg. Ich bin momentan mit „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ auf Städtetournee. Allerdings leider nicht als Miss Daisy ? Jetzt sind wir u. a. noch in Weinheim, Haiger, 14 x in Neuwied und vom 6.-8. April in Hannover. Den Inhalt kennt man ja durch den mit 4 Oscars ausgezeichneten gleichnamigen Film mit Jessica Tandy und Morgan Freeman.

Wie sieht es mit deiner Biografie aus?
Die muss erst einmal warten, meine Biografin ist leider vor kurzem nach schwerer Krankheit verstorben, jetzt muss ein neuer Ghostwriter gefunden werden. Ich kann zwar Drehbücher schreiben, aber seltsamerweise irgendwie nicht über mein eigenes Leben.

Was steht in der Zukunft an?
Geplant ist, demnächst auf einer Berliner Bühne mit Brigitte Grothum „Miss Daisy“ zu spielen. Wir sind in Gesprächen. Und zur Zeit schreibe ich an einem neuen Drehbuch über einen 50jährigen, nicht geouteten Uni-Dozenten, der eine Nacht mit einen Flüchtling verbringt, der, um zu überleben, als Escort arbeitet. Arbeitstitel: „Carpe noctem - Nutze die Nacht“. Und in den nächsten Monaten werden auf ZDFneo sämtliche Folgen von „Der Alte“ wiederholt; vielleicht meldet sich danach auch wieder mal ein Redakteur, eine Castingagentur, Regisseur oder Produzent mit weltoffener Einstellung, für die meine Hautfarbe nicht mehr was „Exotisches“ ist. Ich bin auf jeden Fall für jedes Ensemble zu haben, was nicht schwarz-weiß denkt. Und last but not least habe ich ja noch einen Mann und einen Garten, die ich beide schön beharken kann J

Und wenn alle Stricke reißen, kannst du dich ja immer noch als Chauffeur bewerben. Pierre, vielen Dank und toi, toi, toi.

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Pierre Sanoussi-Bliss im Februar 2017 geführt

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