Im Interview Michael Cretu
Am 11. November 2016 erschien das achte Album „The Fall Of A Rebel“ von ENIGMA. Hinter dem Projekt verbirgt sich einer der größten Musiker der Gegenwart: Michael Cretu.
Michael, du wolltest als Mann im Hintergrund von ENIGMA nicht erkannt werden. Warum dann doch mit richtigem Namen?
Schon kurz nach Erscheinen des ersten Albums kam heraus, dass ich dahinter stand und da war es albern, sich weiter zu verstecken. Ich wollte anfangs herausfinden, ob Musik alleine erfolgreich sein kann, ohne dass man weiß, wer dahintersteckt. Es hat funktioniert. Mir ging es nicht um Visualisierung, sondern ich habe immer gesagt, dass ich nicht wichtig bin, lediglich die Arbeit sollte im Vordergrund stehen. Ich mag keinen Personenkult, so etwas ist mir vollkommen fremd.
Zwischen E1 bis E7 lagen immer ca. drei bis vier Jahre, seit E8 sind acht Jahre vergangen. Womit hast du dich in der Zeit beschäftigt?
Nach E7 war ich wirklich leer und ausgelaugt. Es gab nichts mehr, was ich – ENIGMA betreffend – zu sagen hatte. Ich hatte das dringende Bedürfnis nach Abwechslung. Da kam mir gelegen, dass mein guter Freund Michael Kunze anrief und mir mitteilte, dass er die Rechte des alten Fritz-Lang-Films „Metropolis“ gekauft hätte und daraus ein Musical machen wollte. Er wollte mich für die Musik dabei haben. Das fand ich wunderbar und ich sagte zu.
Es ist also nicht die erste Zusammenarbeit mit Michael Kunze. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Michael kenne ich schon sehr lange. Ich habe früher für Peter Cornelius produziert, hatte mit ca. 20 meinen ersten Hit, eine goldene Schallplatte und war in den TOP 5. Dann kam die Anfrage für einen Grand-Prix-Titel für Peter Cornelius, mit Michael als Texter; seitdem kennen wir uns. Nach der ersten Etappe unseres Musical-Projektes rief ich bei Michael an, ob er vielleicht auch Lust hätte, bei E8 mitzumachen, wozu er sehr gerne bereit war. Es war das erste Mal, dass ich bei einem Enigma-Album die Texte aus der Hand gab. Im Album werden keine Texte abgedruckt, sondern es gibt zu jedem Titel eine Geschichte.
Der dritte Künstler, der an diesem Album beteiligt ist, Wolfgang Beltracchi, hat zu jedem Titel ein Bild beigetragen.
Ich wollte mit E8 eine Weiterentwicklung vollziehen und mehr als nur Musik machen. Instinktiv fühlte ich, dass mir noch ein Puzzleteil fehlte. Da habe ich vor etwa einem Jahr eine Talkshow gesehen, in der Wolfgang Beltracchi zu Gast war. Bis dahin wusste ich nicht, wer das ist, war aber nach wenigen Minuten total von ihm begeistert. Seine malerischen Fähigkeiten sind außergewöhnlich, für mich stand sofort fest, dieser Mann muss mein Cover malen. Wir kamen in Kontakt und als er den Titel des Albums hörte, war er sofort dabei. Meine Idee, zu jedem Titel ein Bild zu malen, fand er spontan sehr gut; das Hauptmotiv seiner Malerei sind ja Engel.
Die Titel von E8 heißen „The Fall Of A Rebel Angel“, „Agnus Dei“, „Confession Of The Mind“, „Absolvo“ und „Amen“. Bist du ein religiöser Mensch?
Ich nehme es mal so wie Steven Hawkins, der über mehrere Jahrzehnte ein hundertprozentiger Atheist war. Er ist jetzt zur Erkenntnis gekommen, dass es einen Schöpfer geben muss, weil sogar die Materie, die zum Urknall führte, ja irgendwoher kommen muss. Wenn du diese Art von Spiritualität als Basis nimmst, bin ich ein gläubiger Mensch. Ich bin sicher, es gibt eine übergeordnete Dimension, die wir nicht erklären können. Ich habe nichts gegen Glauben, der ist wichtig im Leben eines Menschen. Aber diese Institutionen, die daraus entstehen, haben für mich nichts mit dem Sinn der Religion zu tun.
Wo liegen deine musikalischen Wurzeln?
Als andere Popmusik und Beatles hörten, habe ich als Zwölfjähriger die Spätromantiker Anton Bruckner und Richard Wagner gehört. Das hat mich geprägt, denn wenn es die Gelegenheit gibt, mit meiner Musik bombastisch oder episch zu wirken, tue ich das mit größter Freude. Die Kontakte zur Rock- und Popmusik gingen über „Yes“, weil es alles andere als kommerzielle Musik ist. Schon damals habe ich Rick Wakeman als Keyboarder geliebt; danach Vangelis, den ich großartig finde. Ich versuche, zwischen Kraftwerk, Vangelis und Alan Parsons Project irgendwie meine eigene Musik zu machen.
Ist die technische Entwicklung der musikalischen Vervielfältigung „von der Schallplatte zum Download“ ein Fluch oder Segen?
Ich liebe technische Geräte und gehe mit der Zeit, ohne meine Identität und Ideale zu verraten. Ohne diese Entwicklung wäre es mir nie möglich gewesen, Musik so zu machen, wie ich sie mache. Ich finde auch positiv, dass du auf deiner Playlist alles haben kannst, was du willst; die Musik wird dadurch mehr denn je konsumiert; weil sie zugänglicher ist. Die Kehrseite der Medaille aber: Jeder Mensch, der etwas leistet und arbeitet, verdient auch eine Vergütung. Diese ganzen Raubkopierereien finde ich ethisch und moralisch unanständig. Die Menschen sind nun mal so, das wird sich auch nicht ändern.
Was hättest du gemacht, wenn du 100 Jahre früher – als es noch keine elektronische Musik gab – geboren wärest?
Wahrscheinlich das gleiche, was Leute wie Wagner gemacht haben: Ich hätte mir irgendeinen Instrumentenbauer gesucht, der nach meinen Soundvorstellungen irgendwelche Instrumente gebaut hätte. Ich versuche, auch für meine Arbeitsbedürfnisse bestimmte Sonderanfertigungen für mein Studio Equipment herstellen zu lassen, damit ich besser, schneller und effektiver arbeiten kann. Ich habe schon seit meiner klassischen Ausbildung zum Konzertpianisten immer versucht, anders zu sein. Als man sagte, Bach-Stücke kann man nicht mit Pedal spielen, weil es zu J. S. Bachs Zeiten kein Pedal am Klavier gab, habe ich auf diese Meinung gepfiffen.
Wir sind ja auch anders…
Ich weiß, ihr seid ein schwul-lesbisches Magazin, da müsstet ihr mich eigentlich besser verstehen als jeder andere. Ich habe damit absolut keine Berührungspunkte. Ich muss sagen, einige der charmantesten und nettesten Menschen, die mir in meinem Leben begegnet sind, waren Schwule und ich habe mich immer blendend mit ihnen verstanden. Ich hatte auch einen sehr guten schwulen Freund, der leider vor ein paar Jahren verstarb. Ich bin ein absolut liberaler und toleranter Mensch, in jeder Richtung. Das ist auch der Grund, warum ich gegen die Religion in dem Sinne bin, wie sie heute praktiziert wird. Es macht mich wütend, wie viel Unheil und Kriege es gibt und wie viele Menschen im Namen von irgendwelchen Interpretationen religiöser Werke sterben müssen. Das ist weder zeitgemäß noch human.
Du hast als Rumäne seit 1975 die deutsche Staatsbürgerschaft. Was denkst du, wenn du heute die politische Lage betrachtest?
Ich bin kein politischer Mensch. Ich als staatenloser Aussiedler, der nur mit einem Koffer – halbvoll mit Partituren – nach Deutschland kam, kann aber sehr gut nachempfinden, wie es den Flüchtlingen geht. Deutschland ist ein reiches, sicheres Land; wenn man Leuten, die aus der Not zu uns kommen, helfen kann, sollte man das tun.
Siehst du dich als Rumäne, Deutscher oder als Kosmopolit?
Ich bin von Geburt aus halb Rumäne und halb Österreicher. Ich bin mit der deutschen Sprache aufgewachsen, habe mich als Kind aber immer als „Mischling“ betrachtet. Ich besitze deutsche Papiere und bin deutscher Staatsbürger, aber im Grunde genommen fühle ich mich in meiner Lebensweise wie ein absolut überzeugter Südeuropäer mit preußischer Disziplin. Wie für alle Südeuropäer ist für mich der schönste Moment am Tag das Abendessen, wenn man sich mit Freunden trifft, redet und genießt.
Darf man dich nach Sandra fragen?
Du darfst fragen, aber so spannend ist das nicht. Wir haben einen guten Kontakt, telefonieren hin und wieder und sprechen über die Kinder. Wir haben eine gute Verbindung und keine Anfeindung.
Du bist vom Konzert-Pianisten, über den Dirigenten und mehrere musikalische Kooperationen zum musikalischen Einzelkünstler geworden. Ist deine Musik allein durch dich und deine Kreativität entstanden oder gibt es da doch noch Mitarbeiter, die versteckt bleiben?
Ich mache bis auf Gastsänger und ab und zu mal einen Gitarristen alles alleine. Ich übe sozusagen sieben Jobs aus: Produzent, Arrangeur, Toningenieur, Sänger, Komponist, Textdichter und Keyboarder. Ich bin einfach besser, wenn ich alleine arbeite. Manchmal würde ich mir in einigen Situationen wünschen, dass mir Leute zur Seite stehen, aber ich habe festgestellt, dass das Ergebnis dann leicht verfälscht ist.
Fehlt dir als ein 1-Mann-Studio-Orchester nicht der direkte Kontakt zu den Hörern?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich immer als ein musikalischer Alchimist beschrieben: Ich sitze allein in meinem Labor mit meinen Pülverchen und Chemikalien und versuche, die so zu mischen, dass eine neue Substanz dabei herauskommt. Das ist, was mich mit Glück erfüllt. Ich muss nicht auf der Bühne bejubelt und von zehntausenden Fans angehimmelt werden. Das ist einfach nicht meine Welt.
Gibt es einen musikalischen Traum, den du noch verwirklichen möchtest?
Ja, dieses Musical. Vom Genre her ist „Metropolis“ eigentlich sehr interessant und etwas wirklich Außergewöhnliches. Vielleicht gelingt es Michael und mir, dass „Metropolis“ nun im 21. Jahrhundert ankommt. Schauen wir mal. Im nächsten Jahr setzten wir uns dran, es 100% fertig zu machen.
Wir wünschen dir für E8 viel Erfolg, obwohl der Tag der Veröffentlichung am 11.11. im Rheinland etwas ungünstig lag.
Ach du Sch****, da begann bei euch ja der Karneval. Ich selbst bin kein Freund vom Karneval. Dass genau an dem Tag die Platte veröffentlicht wurde, ist ja echt verrückt. Aber wie gesagt: Jedem sei es gegönnt, Hauptsache man ist glücklich und zufrieden.