Im Interview Martin Zingsheim
Martin schnupperte von 2006 bis 2010 Kabarettluft beim "Das Bundeskabarett". Mit seinem erstem Programm stand er 2011 auf der Bühne und erhielt dafür 3 Kleinkunst-Preise. Der Kabarettist und Autor arbeitet derzeit am 7. Programm und wird im Mai seine eigene Radioshow im Deutschlandfunk moderieren.
Du bist 1984 geboren, als Teil einer Generation, die sich für nichts interessiert. Du hast trotzdem Musik-, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft sowie Philosophie studiert und bist Doktor der Musikwissenschaft. Haben dich die „Neinties“ geprägt?
Das war ja ein Plastikjahrzehnt, musikalisch als auch politisch. Ich war ein Klassik- und Neue-Musik-Freak, der freiwillig viel Zeit im Schauspielhaus, in Oper und Philharmonie verbrachte. Ich dachte immer, dass ich mal ein sehr seriöser Komponist würde und schrecklich schwierige Werke komponiere, die niemand aufführt. Zur Comedy kam ich durch das Impro-Theater „Springmaus“, wo ich neben meinem Studium am Klavier von Bach bis Udo Jürgens, über die Beatles rückwärts bis Abba spielen konnte. Musik hatte ich schon immer gemacht, obwohl ich aus einem nicht musikalischen Haushalt komme. Ich bin da eher aus der Art geschlagen. Die Hits aus meinem Lied „Die Neinties“ habe ich damals gehasst und erst 20 Jahre später wiederentdeckt. Es ist wohl eine Mischung aus Faszination und Grauen. In der Zeit, als ich sie hören sollte, habe ich mich eher für Stockhausen interessiert. Irgendwann lernte ich Sebastian Pufpaff kennen, der mich mit dem Kaberett- und Comedy-Gen infizierte und später in sein Ensemble „Das Bundeskabarett“ holte. So rutschte ich in die Comedy-Szene ab, wie andere in die Drogen-Szene.
Du hast inzwischen unzählige Preise für deine Performances eingeheimst. Kann man davon leben?
Glücklicherweise ja, ich war im letzten Jahr so viel on Tour, dass es gereicht hat, die stetig wachsende Familie zu ernähren. Ich hoffe, dass es so weitergeht und ich irgendwann mal sagen kann: „Opa hat nie etwas anderes gemacht als Quatsch!“ Ich habe ja drei Söhne und im Mai kommt unsere Tochter zur Welt.
Unterscheidet sich der Spaßfaktor in Städten wo man „Moin-Moin“ sagt, zu den Städten wo es „Servus“ heißt?
Ich halte das für ein Klischee dass es Nord, Süd oder West-Unterschiede gibt. Jeder Abend ist ein neues Abenteuer. Man kann dreimal in einer Stadt spielen und jeder Abend ist anders. Oder man hat heute einen exstatischen Abend und morgen eine Niederlage. Jeder Abend ist wie eine neue Katze im Sack, er wird von Beginn an bis zum letzten Wort vom anwesendem Publikum geprägt.
Hast du vorher noch Lampenfieber?
Nicht mehr. Lampenfieber taucht häufig nur auf, wenn man sich selbst zu wichtig nimmt. Meine Mutter sagte mal: „Du machst das doch gerne. Dann mach es doch einfach!“ Es ist eine völlige Selbstüberschätzung, wenn man vorher hysterisch wird.
Wo liegt der Unterschied zwischen gutgemachtem intellektuellem Witz und Spaßmachern, die nur Schoten bringen?
Ich wähle für mein Programm überhaupt nicht taktisch aus. Ich wähle, was ich selber verwundernswert, albern, urkomisch oder des Aufregens wert finde. Ich habe gar keinen missionarischen Anspruch und will zunächst einmal unterhalten. Es ist ein Problem der Comedy-Szene, dass sie die Klischees und Vorurteile immer wieder auf die Bühne bringt, anstatt sie zu kritisieren oder zu entlarven. In meinem Programm versuche ich, die Subjektivität unserer alltäglichen Wahrnehmungen in Frage zu stellen und zu entlarven. Und es lohnt sich immer, sich selbst zu hinterfragen.
Gibt es Tabus im Comedy-Bereich, die du nicht überschreiten würdest?
Es gibt keine universellen, die liegen auch für jeden Comedian woanders. Man findet mit der Zeit heraus, wobei man kompetent ist, um darüber zu sprechen. Mein einziges Tabu ist, wenn ich nicht hinter den Aussagen und Pointen stehen kann.
Warst du als Kind schon ein Klassen-Clown?
Nein, überhaupt nicht. Ich war ein fröhliches Sonnenscheinkind in der Kategorie: Musterschüler. Ich habe nie etwas machen müssen. Mir ist bis auf Mathe alles zugeflogen, sodass ich mich immer mit Musik und Theater beschäftigen konnte. Die Schule lief nebenher, ich habe dort eher andere Kinder getroffen.
Du erzeugst Lachen, kannst du auch Weinen?
Sehr gut sogar. Ich habe eine pathologische Schwäche für alte Reinhard May Aufnahmen. Wenn ich die auf der Autobahn höre, kommt es vor, dass ich tränenüberströmt geblitzt werde, weil ich die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht gesehen habe. Auch diverse Passagen aus den letzten Büchern von Roger Willemsen werfen mich kurzfristig aus der Bahn. Aber Weinen ist doch eine absolute Form der Psycho-Hygiene; danach geht es einem meistens besser.
Du hast mit Sebastian Pufpaff & Henry Schumann im „Bundeskabarett“ politisches Kabarett gemacht. Was würdest du (ver)ändern, wenn du im Bundeskabinett wärst?
Ich würde wohl schnellsten den Ausgang suchen, wie ich da wieder herauskomme. Als Hobbyveganer würden mich Verbraucherschutz und Landwirtschaft interessieren. Da traue ich mir zu, Richtlinien in der Tierhaltung neu zu setzen und mir dabei nicht von der Wirtschaft die Agenda diktieren zu lassen.
Eins deiner Solos heißt: „Heteros sind gefährlich“…
Das ist aber ein YouTube Video und wurde von Nightwash so betitelt. Ich bin gespannt, vielleicht ist das ja ein Titel, der zieht. Interessant, weil es in der Comedy-Szene etwas entlarvt: So antwortete einer auf den Kommentar „Der ist ja aufgeregt.“ mit dem Satz „Nein, der ist nur gay!“ Wenn man das Wort mit dem Thema als Person identifiziert, wird klar, dass die Türken in der Regel über ihr Türkisch-Sein sprechen, die Schwulen über ihr Schwul-Sein und die Frauen über das Frau-Sein. Jeder kümmert sich um seins, man ist es kaum gewohnt, dass man für andere spricht. Wenn ich das Thema Homosexualität anspreche, gucken besonders männliche Zuschauer skeptisch, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Sie werden erst wieder locker, wenn ich über meine Kinder erzähle; dann wissen sie: Aha, doch eine Hete.
Wie haben deine Eltern reagiert, als du dich als heterosexuell geoutet hast?
Ich komme aus einer gutbürgerlichen, nicht konservativen, sehr freien und aufgeschlossenen Familie. Ich glaube, weder meine Mutter noch mein Vater hätten damit weiterführende Probleme gehabt, wenn ich mich als homosexuell geoutet hätte. Ich selbst hatte immer schon schwule Freunde; ich bin seit über zehn Jahren in der Kleinkunstszene unterwegs, da ist ja eh' die gesellschaftliche Realität eine extrem durchmischte; somit gibt es auch einen hohen schwul-lesbischen Anteil in unserer Branche.
Wie ist dein Verhältnis zur schwul-lesbischen Szene?
Ich war oft mit meinem schwulen Kumpel Ingo - Heidi Stern im Fummel - in entsprechenden Locations. Am Ende war ich so die männliche Ausgabe seiner „Gaby“, habe das aber extrem unaufgeregt wahrgenommen.
Bist du nie angemacht worden?
Nein, ich hatte ja Ingo dabei, der hat auf mich aufgepasst. Man hat mir wohl sofort die Quotenhete angesehen oder ich hatte vielleicht nur die falschfarbigen Taschentücher in der Hosentasche? Als ich Ingo übrigens kennen lernte, fragte er mich direkt, ob ich schwul sei. Als ich das mit „Nein“ beantwortete, konterte er: „Dann, pass ja auf, denn ich bin nur eine Illusion.“
Wie reagierst du, wenn einer deiner Söhne homosexuell wird?
Bei drei Jungen, die wir haben, rechne ich fest damit. Im Ernst, statistisch bei Dreien wird das in Köln einen davon treffen.
Tourneen, Beziehung und Kinder - geht das zusammen?
Für Beziehungen ist das goldrichtig. Man muß es mögen und auch das Glück haben, dass die Partnerin dies entspannter sieht, als in einen „9 to 5 Job“ zu arbeiten. Ich habe von meinen Kindern wesentlich mehr, als ein Büro-Papi, der dann nach Hause kommt, wenn die Kids ins Bett müssen. Häufig bin ich auch mal bis 16 Uhr zu Hause und fahre nach den Shows wieder zurück. Wenn ich wirklich mal ein paar Tage unterwegs bin, vermisst man sich extrem und merkt, wie viel weniger lustig das ohne einander ist. Ab und an nehmen wir die Kids auch mal mit. Und ich habe meine Auftritte den Kinder zuliebe von 180 pro Jahr auf 120 reduziert.
Hast du ein Lebensmotto?
Ja: Alles wurde schon einmal gesagt, aber noch nicht von mir.
Wenn dir nicht zum Lachen ist, was bringt dich auf die Palme?
Ich habe ein großes Gerechtigkeitsgefühl im positiven Sinne und kann ganz deplaziert unsachlich werden, wenn ich merke, dass man mich oder andere Menschen ungerecht behandelt. Dann kommt meine versteckte cholerische Seite auch mal zum Vorschein.
Was steht in diesem Jahr noch an?
Privat: keine weiteren Kinder! Nach der Tochter, die im Mai auf die Welt kommt, ist die Zielgerade erreicht. Beruflich bin ich beim 7. Kölner Festival des politischen Kabaretts „Streithähne“ vom 19. bis 25. Mai dabei. Danach bekomme ich im altehrwürdigen Deutschlandfunk meine eigene Radioshow mit dem Titel: „Zingsheim braucht Gesellschaft!“. Ich durfte meine Lieblingskollegen Timo Wopp, Christian Schiffer, Friedemann Weise, Hazel Brugger und Till Reiners einladen und wir haben künstlerische Freiheit. Wir werden am 23. Mai in der Comedia eine verrückte aber auch relevante Show auf die Beine stellen, die am 24. und 31. Mai jeweils um 21.05 Uhr in der DLF-Sendung „Querköpfe“ übertragen wird. Außerdem schreibe ich gerade am neuen Solo: „aber bitte mit ohne“, ein reines Wortprogramm mit dem Untertitel: „Warum Verzicht der neue Luxus ist“. Ab September laufen ca. 12 Vorpremieren in verschiedenen Städten, bevor die eigentliche Premiere am 15. Oktober in Kölner „Senftöpfchen“ stattfindet.
Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Martin Zingsheim im April 2017 geführt.