Im Interview Ingo Pohlmann
Ingo Pohlmann ist ein deutscher Sänger und Songwriter, der unter dem Künstlernamen Pohlmann auftritt. Im März erschien sein fünftes Album "Weggefährten".
Hast du noch Lampenfieber, bevor du eine Bühne betrittst?
Ja, habe ich. Mitunter ist das so extrem, dass ich das Gefühl habe, ich will sofort wieder ins Hotel. Tagsüber nicht, meistens so 15 Minuten vor dem Auftritt. Wenn ich dann auf der Bühne stehe, ist das sofort weg. Ich habe aber keine Angst vor dem Musik machen, den Text zu vergessen oder dass die Stimme versagen könnte. Mir ist wichtig eine private Atmosphäre zu schaffen. Dieses Miteinander und diese Nähe finde ich wichtig, habe aber auch großen Respekt davor, dass es mir entgleitet. Genau das macht es aber spannend.
Warum gibt es Pohlmann nicht mit seinem Vornamen?
Ich habe zu meinem Vornamen nie eine richtige Verbindung gehabt und fand Ingo immer etwas clownig. Bei der Frage nach einem Künstlernamen waren „Grönemeyer“ und „Madonna“ schon vergeben, also blieb nur Pohlmann. :-)
Wie würdest du dich selbst beschreiben: Singer, Songwriter, Liedermacher, Lagerfeuerromantiker, Protestsänger oder?
Mehr oder weniger: alles in einem. Ich bin nicht unbedingt der typische Protestsänger, aber ich engagiere mich für den Naturschutz. Wo man politische Songs macht, versuche ich da diplomatisch ranzugehen. Ich glaube, was wir lieben, schützen wir. Deswegen versuche ich, durch die Liebe zur Sache etwas aufzubauen. Ein Bewusstsein schaffen für das Bewusstsein. Das ist meine Art von Protest, die immer unterschwellig im Text vorkommt. Ich bin aber kein Hannes Wader der kritisiert; obwohl es genügend Gründe zum Kritisieren geben würde.
Wie kommt man vom Maurer zum Musiker?
Mit sechs Jahren habe ich schon auf einer Gitarre experimentiert, danach auf einem Klavier herumgeklimpert; immer mit gefakten englischen Texten. Mit zehn habe ich angefangen zu singen, auf dem Weg mit dem Rad zur Schule. Mit sechzehn dann habe ich täglich ein paar Stunden gesungen. Ich bin also Autodidakt, auch wenn ich später etwas Gesangsunterricht nahm, um meine Stimme besser schonen zu können. Ursprünglich also sollte ich den väterlichen Betrieb übernehmen. Ich habe auch die Maurerlehre abgeschlossen. Nachdem aber mein Bruder viel zu früh an Krebs verstarb, richtete sich das Auge Mordors auf mich; aber für den Beruf war ich doch zu sehr Träumer. Mit dreiundzwanzig bin ich dann nach Hamburg gezogen, angeblich um Bauwesen zu studieren. Ich hatte aber schnell eine Band und einen Plattenvertrag, und folglich musste mein Vater den Betrieb schweren Herzens verkaufen.
Du warst 2006 einer der ersten, der deutschsprachige Musik gemacht hat, Was glaubst du, warum erleben deutsche Texte so einen Boom?
Von Naidoo und Grönemeyer mal abgesehen, denn die waren schon eher da. Damals war ich noch mit der Band „Goldjunge“ unterwegs. Danach kamen „Mia“ und „Wir sind Helden“, die mich schnell überholt haben. Die Engländer und die Amis haben ein Verhältnis zu ihrer Sprache. Wir Deutsche mussten erst lernen eine Freizügigkeit zu unserer Sprache zu finden, ohne Angst zu haben, schlageresk zu sein und ins Fettnäpfchen zu treten. Ich glaube, im Independentbereich ist das einfacher, wo deutschsprachig richtig interessante Sachen gemacht werden. Der Hip Hop ist und war immer eine gute Schmiede von Texten. Ich habe erst mit dreiundzwanzig angefangen deutsch zu singen und gemerkt, wie nahe einem die deutsche Sprache gehen kann. Englisch war da eher eine Maskerade.
Du hast 5 Alben in 10 Jahren gemacht; welches ist dein persönlichster Song?
Jede Platte hat persönliche Titel. Vielleicht ist mein persönlichster Song „Zurück zu dir“. Das ist kein Liebeslied, sondern es geht darum, sich mit dem Thema Alkohol auseinanderzusetzen. „Von weit, weit her“, ein Song, in dem es um Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge geht, möchte ich zudem nennen. Inspiriert durch den Film „The End of the Line“, den ich ein paar Jahre zuvor gesehen hatte, hatte ich dieses Lied schon geschrieben, bevor es Hunderttausende nach Europa verschlagen hat.
Warum ist Hamburg deine Wahlheimat geworden?
Ich komme aus Rheda-Wiedenbrück. Musikalisch gab es nur die Alternativen zwischen Berlin und Hamburg. In Berlin ist es gefährlich und man kommt schneller unter die Räder. Hamburg war ein offener Arm, hat einen ruhigeren Puls, eine andere Gangart und kommt auch zu einem Ziel. Das war eher mein Rhythmus. Letztendlich wäre aber aus heutiger Sicht nur Köln oder Hamburg für mich in Frage gekommen.
Du bist zwei Mal im Bundesvision Song-Contest angetreten: 2007 mit „Mädchen und Rabauken“ und 2013 mit „Atmen“. Du bist für NRW angetreten und nicht für Hamburg?
Hamburg hatte immer die größeren, bekannteren Teilnehmer. Wenn für Hamburg Jan Delay, The Boss Hoss oder Johannes Oerding auftreten, war schnell klar, wer gewählt werden würde. Ich wollte gerne mitmachen und da ich in Rheda-Wiedenbrück geboren bin, bin ich eben für NRW angetreten.
"Im Wald nebenan" verbindest du Pink Floyd mit „3 Haselnüsse für Aschenbrödel“. Dazwischen kommt das Gefühl auf, das früher alles besser war?
Ich führe da vielleicht auf eine falsche Fährte, aber genau das hebe ich am Ende des Liedes mit dem Nachsatz „Und lebe, als würdest du dich jetzt an dich erinnern!“ wieder auf. Früher war nicht alles besser; es war nur als Kind besser. Das Kind sein ist eine ganz
eigene Vergangenheit und hat nur mit dem Zustand Kind sein zu tun. Morgen wirst du dich auch an das heute mit guten Gedanken erinnern. Im besten Fall.
In deinen Liedern und Videos schlüpfst du gern in verschiedene Tier-Rollen. Was fasziniert dich an diesem Rollenspiel?
Das war eine Idee der Videokünstlerin. Ich habe eine Silhouette auf meiner Gitarre, die einen Raubvogel darstellt. Ich schaue von oben auf die Welt und die Songs, die ich schreibe, sind die Mäuse, die man gefangen hat, und man bringt sie nach Hause und ernährt damit die Familie. Aber wenn ich ein Tier wäre, dann wäre ich ein Hund.
Wann wirst du selbst zum Tier?
Dann, wenn ich aufpassen muss, dass es mich nicht in eine Depression schickt. Ich kann ganz schön pessimistisch sein, dagegen kämpfe ich in meinen Liedern an. Wenn ich mich in meine düstere Phase einarbeite, beschäftige ich mich mit den Menschen und ihrer Lebensart auf dieser Welt. Als Konsument kann auch ich diesem System der Zerstörung der Welt gar nicht entkommen. Einerseits will ich den Zeigefinger heben und auf etwas deuten, das falsch läuft. Auf der anderen Seite weiß ich, dass ich dafür das eine oder andere an mir selbst verändern muss. Das ist nicht immer leicht die richtige Sprache und den richtigen Weg zu finden. Aber ich habe einiges verändert an meiner Lebenshaltung und -einstellung. Nicht aber, um meckern zu dürfen.
Du hast eine Textzeile „Weinen ohne zu verstehen“ heißt; was bringt dich zum Weinen?
Ich weine eigentlich relativ selten, auch dann nicht, wenn mich der Weltschmerz ergreift. Ich kann aber definitiv bei traurigen Filmen weinen, die mich anrühren.
Du hast Barbara Schöneberger gezeigt, dass es dich stört, wenn man als Künstler nur auf einen Hit reduziert wird, in deinem Falle auf „Wenn jetzt Sommer wär“?
Natürlich ist das Lied Teil meiner Biografie. Es war meine erste Single und die hat nun mal am stärksten eingeschlagen. Mittlerweile habe ich aber fünf Platten gemacht und von jeder erscheinen zwei bis drei Singles. Wir sind also bei Single Nummer zehn angekommen. Überall, wo ich meine neue Single promote, geschieht das quasi mit dem alten Lied, und das geht einem irgendwann mal etwas auf den Geist. Trotz alledem habe ich dem Lied viel zu verdanken und ich spiele es auch immer gerne live mit meiner Band. Der Song rockt auch immer wieder, besonders, wenn ich die Leute dazu tanzen sehe. Dann macht es nur noch Spaß.
In den Texten von „Weggefährten“ weht ein Hauch von Midlifecrisis. Hast du Angst vor dem Alter?
Midlifecrisis? Das muss man erst einmal erfassen, was das bedeutet. Ich glaube schon, dass das teilweise mit mir passiert. Ich sehe mich aber in der glücklichen Lage, als Musiker hier das richtige Ventil zu finden. Angst vor dem Alter? Man nimmt schon Abschied von bestimmten Lebensabschnitten. Ich trinke zum Beispiel seit 1½ Jahren keinen Alkohol mehr, weil ich immer öfters mit Blackouts zu kämpfen hatte. Wenn ich mit dem Trinken nicht umgehen kann, muss ich damit aufhören, sonst führt das als Musiker irgendwann ins Aus. Wenn man jung ist kann man besser und stärker trinken. Das habe ich auch genossen. Man lernt mit Alkohol zwar viele neue Leute kennen, hat tolle Abende mit tollen Themen. Ohne Alkohol bricht eine neue Zeit an, die etwas ernsthafter ist, aber das tut mir ganz gut. Inzwischen bin ich auch Vater einer kleinen Tochter und da dreht sich das Leben um andere Dinge. Ohne Alkohol hat man eine ganz andere Lebensführung. Mittlerweile bin ich auch im Gegensatz zu früheren Jahren um ein Uhr nachts mal müde. :-)
Im Gegensatz zur Politik kennt Musik keine Grenzen. Wo sind deine Grenzen in der Politik?
Wo will man da anfangen? Ich zitiere mal den Kabarettisten Hagen Rether, der es auf den Punkt gebracht hat: „Wählen gehen ist so wichtig wie Zähneputzen. Wenn man das nicht tut, wird’s braun!“ Ich finde, das sagt viel aus. Und Skunk Anansie sagten ja schon…: "everything in fucking political“.
Wir sind ja ein Gay-Magazin, wie ist dein Verhältnis zur schwul lesbischen Szene?
Ich wusste, dass die Frage kommt. Ich habe eher kein Verhältnis: weder dafür, noch dagegen. Ich lerne Menschen kennen, das ist wichtig.
Du bist ein attraktiver Mann, bist du noch nie von einem Mann angemacht worden?
Ich habe früher mal meinen besten Kumpel geküsst, so wie es die Mädchen in dem Alter auch machten. Das hatte mit austesten und ausprobieren zu tun. Und es war spannend! Eigentlich war es aber lediglich ein Freundschaftsgeständnis. Lustiger Weise hatten wir an dem Abend einen schnelleren Kontakt zu Mädchen, als sonst, denn die dachten, vor uns würden sie sich in Sicherheit wiegen :-).
Was ist für dich die beste Tageszeit?
Vormittags. Ich stehe so zwischen 8.00 Uhr und 8.30 Uhr auf, dusche und frühstücke. Wenn ich dann um 10.00 Uhr an der Gitarre sitze, Texte schreibe und kreativ sein kann, ist das für mich die beste Zeit.
Wann und zu wem hast du zuletzt deinen Songtitel „Tut mir leid“ gesagt?
Singt: „Ich dachte, die Liebe würde nicht vergehen. Ich dachte und dachte zu viel, um sie zu verstehen.“ Puh…! Mit Sicherheit irgendwann im familiären Kreis. Ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich mach ja eh alles richtig.
Was steht für 2017 noch auf deiner To-Do-Liste?
Tatsächlich ist gegenwärtig mein neues Album und die anstehende Tour mein Hauptding. Ich versuche noch einen vernünftigen Urlaub mit Familie hinzukriegen, vielleicht nach Mauritius, Thailand oder zum Great Barrier Riff, solange es noch da ist. Ich muss aber nach zeitlichen Lücken suchen, um das umsetzen zu können. 2018 mache ich kleine eigene Festivalgeschichten, „Das Ozeanfestival“ und „Die Nachtschicht“.
Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Ingo Pohlmann im März 2017 geführt.