Im Interview Diego Breittmayer
Der in Chile geborene Künstler kam vor 10 Jahren nach Deutschland. Hier konnte er endlich seinen Lebens-Traum verwirklichen, von Kunst zu leben.
Diego, erzähle uns etwas über dich.
Ich bin in Santiago de Chile geboren und aufgewachsen. Zwischenzeitlich habe ich einige Jahre in Mexiko-Stadt verbracht und seit 2014 lebe ich in Köln. Viele denken, mein Nachname Breittmayer hätte damit zu tun, dass ich mit einem Deutschen verheiratet bin. Aber es ist tatsächlich mein Geburts- und Familienname. In Chile gab es viele europäische Einwanderer und auch deutsche Nachnamen sind keine Seltenheit. Meinen Großvater, der aus der Schweiz kam, habe ich aber nie kennengelernt und in meiner Familie wurde auch nicht Deutsch gesprochen. Ich habe daher erst, als ich hierherkam, begonnen, die Sprache zu lernen.
Ist dir klar, dass du auffällst, egal wo du dich aufhältst?
Nicht immer, weil die Perspektive, wie man sich selbst sieht, nicht die gleiche ist, wie andere Personen einen wahrnehmen. Meine Veränderung war ein langsam wachsender Prozess, so konnte ich mich selbst daran gewöhnen. Wenn ich darüber nachdenke, ist mir schon klar, dass ich anderen einfach auffallen muss. Da ich mich aber selbst ununterbrochen wahrnehme, ist das nicht mehr so in meinem Bewusstsein, vielleicht verdränge ich auch, dass mich andere oftmals anstarren.
Wie unterscheidet sich schwules Leben in Südamerika, Mexiko-Stadt und Deutschland?
Aus deutscher Sicht scheint das Leben in Südamerika unheimlich offen, weil viele vielleicht Bilder wie vom Karneval in Rio mit leichtbekleideten Sambatänzern im Kopf haben. Aber als schwuler Mann kann man tatsächlich in Deutschland besser leben, zumindest in den großen deutschen Metropolen. In Südamerika ist die Religion noch immer ein sehr bestimmender Faktor im Leben vieler Menschen, was folgerichtig einen großen negativen Einfluss auf die Situation von Homo- und Transsexuellen ausübt.
Wie war dein Outing?
Ich fühlte mich bereits als Kind zu Männern hingezogen. Bei meinen ersten Disney-Cartoons - ich liebte und liebe bis heute Herkules und Tarzan - merkte ich schon, dass ich anders war als die anderen Jungs. Mit 16 Jahren habe ich mich als Erster meiner Familie geoutet. Neben einer heterosexuellen Schwester habe ich noch eine lesbische Schwester sowie einen schwulen Bruder, der auch in Deutschland, in Berlin lebt. Da ich mich zuerst geoutet habe, war es für meine Geschwister danach sicherlich etwas schwieriger. Für meine Eltern war das aber am Ende kein Problem. Mütter haben eh ein Gespür dafür.
Wie haben deine Eltern auf die unzähligen Tattoos reagiert?
Für meine Eltern war meine Veränderung nicht so schlimm, da ich von ihnen schon immer als Künstler gesehen und als etwas speziell wahrgenommen wurde. Ich hatte früher nie darüber nachgedacht, mich tätowieren zu lassen. Nach meinem ersten Tattoo in Deutschland ist mir aufgefallen, wie sehr sich mein Look dadurch veränderte. Das gefiel mir und ich merkte, dass ich durch Tattoos meine Erscheinung kontrolliert beeinflussen kann. Tattoos sind für mich wie eine Beauty-OP.
Du bist Role-Model bei der Deutschen Aids-Hilfe. Wie kam es dazu?
Mein Mann arbeitet ehrenamtlich bei der Deutschen Aidshilfe. Als dort eine Kampagne über Diskriminierung von HIV ins Leben gerufen wurde, trat man an uns heran. So wurde ich Teil der Kampagne, um auf Diskriminierungen von HIV-Positiven in Bezug mit Tätowierungen hinzuweisen. In vielen Tattoo-Studios wird immer noch die Frage gestellt, ob man HIV-positiv ist. Dies ist aber ein Eingriff in die individuellen Persönlichkeitsrechte und sollte, wenn sich der Tätowierer an die allgemein gültigen Hygiene-Standards hält, eigentlich irrelevant sein.
Wie geht man in Mexiko und Chile mit dem Thema Homosexualität & AIDS um?
Ich denke, nur wenige Länder sind so offen wie Deutschland - was in den Großstädten auch gelebt werden kann. Auf dem Land oder in kleineren Städten gibt es sicher noch Defizite; das ist aber nicht zu vergleichen mit Mexiko oder Südamerika. Ich fühle mich sehr privilegiert, hier zu leben.
Was wollte Klein-Diego werden?
Als kleines Kind wollte ich ganz klar Künstler werden und ein Talent war auch schon in der Schule früh erkennbar. Aber Chile bietet wenig Chancen, um von Kunst leben zu können. Deswegen habe ich, als ich älter wurde, eine Laufbahn als Künstler auch nie ernsthaft in Erwägung gezogen.
Wodurch entstand die Liebe zu Tattoos?
Auf Social-Media-Plattformen und in pornografischen Filmen sah ich Tattoo-Typen, die ich geil fand, was mich auf die Idee brachte, Tätowierer zu werden. Ich wollte männliche Erotik mit meiner Kunst unterstreichen. Natürlich mag ich auch Männer ohne Tattoos, mich selbst aber fühle ich mit Tattoos einfach cooler. In Köln wurde mir mein erstes Tattoo gestochen, was mich sofort auf den Geschmack gebracht hat. Danach habe ich mir selbst recht schnell weitere Tattoos gestochen, um diese Kunst zu erlernen und zu üben.
Du arbeitest aber neuerdings auch mit Pinsel und Farbe?
Nicht erst neuerdings. Ich habe schon immer gemalt, gezeichnet und Skulpturen hergestellt, lange bevor ich zum Tätowieren gekommen bin. Aber ursprünglich war ich nur privat künstlerisch tätig. Erst durchs Tätowieren habe ich einen Weg gefunden, mein Talent öffentlich zu zeigen und professionell als Künstler zu arbeiten. Jetzt bin ich parallel in verschiedenen Richtungen tätig. Neben den Tattoos, mit denen ich mein Geld verdiene, betätige ich mich weiterhin in anderen künstlerischen Bereichen. Aber egal, ob ich zeichne, male oder Skulpturen herstelle, meine Themen sind ähnlich wie bei meinen Tattoos. Meine Motive greifen Themen rund um Sex-Positivismus, schwules Empowerment, Queer-Pop-Kultur und Fetische aller Art auf. Einige Motive entstehen aus meinen Fantasien, andere gehen auf Vorschläge von Freunden und Kunden zurück. Meine Tattoos gestalte ich selbst, man kann aber auch mit eigenen Ideen zu mir kommen, die ich dann in meinen Stil umsetze.
Welche Kunst erfordert mehr Zeit?
Die Kunst auf Leinwand und Papier braucht länger. Wenn ich male, lasse ich mir teilweise monatelang Zeit, um ein Bild fertig zu stellen. Wenn ich tätowiere, arbeite ich nicht auf einer Leinwand, sondern auf dem Körper einer Person und muss daher innerhalb einer angemessenen Zeitspanne fertig werden.
Wo sieht man deine Arbeiten?
Ich bereite gerade meine erste Ausstellung vor, die ab April in im Sexshop MGW in Köln zu sehen sein wird. Mir war wichtig, meine Arbeiten an einem Ort zu zeigen, der zu meinen sexuellen und queeren Inhalten passt und wo meine Kunst auf ein Publikum trifft, das dafür aufgeschlossen ist.
Was geht dir unter die Haut / Was bewegt dich?
Bezogen auf das queere Leben machen mich die Umstände in meiner Heimat traurig. Ich habe kürzlich meine Familie in Südamerika besucht und gesehen, dass sich zwar viel verändert hat. Dennoch führe ich als schwuler Mann in Deutschland ein besseres, sicheres und entspannteres Leben, als es dort jemals sein könnte. Schwule Jugendliche finden dort bis heute nicht die Möglichkeiten vor, die ich hier habe. Angst macht mir auch, dass in vielen Ländern der Welt das Rad der Geschichte zurückgedreht wird und damit ein großes Stück Freiheit verloren geht. Das wirkt sich auch durch mediale Verbreitung bei uns aus, wenn man sieht, wie die Feindseligkeiten gegenüber Minderheiten größer werden. Auch hier in Deutschland müssen wir weiterhin präsent sein und für unsere Freiheit kämpfen, denn die Toleranz und Akzeptanz gegenüber uns Schwulen ist auch hier nicht in Stein gemeißelt.
Was macht man, wenn man ein Motiv nicht mehr mag; wir erinnern nur an das „Arschgeweih“?
Das Verhältnis zu einem Tattoo kann sich mit den Jahren ändern und man betrachtet es mit der Zeit auf andere Weise. Aber selbst wenn es nicht mehr das Lieblingsmotiv ist, bleibt es doch Teil von dir selbst und hat wie ein altes Foto eine Verbindung zu dir und deiner Vergangenheit. Wer ein Tattoo nicht mehr mag, denkt vielleicht zu sehr an das, was andere denken. Das sollte aber keine Rolle spielen.
Wie stellst du dir dein Leben in 20 Jahren vor?
Ich möchte meine Arbeit fortführen und viel mehr Menschen mit meiner Kunst auf ihrer Haut begegnen. Ein Bild auf Papier oder Leinwand zu malen, ist das eine, aber jemandem zu begegnen, der meine Kunst auf der Haut trägt und somit zum Leben erweckt, ist ein unbeschreiblich und sehr ergreifendes Gefühl