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Annett Louisan // © Christoph Koestlin

Im Interview Annett Louisan - „Kleine, große Liebe“

vvg - 20.04.2019 - 07:00 Uhr

Annett Louisan hat sich geändert, ist angekommen, um gleich wieder loszufahren. Das neue Album „Kleine, große Liebe“ ist endlich ein Album, auf dem sie erzählt, das noch mehr als zuvor von ihr handelt, dass ihr näher kommt als jedes ihrer bisherigen Alben, und das trotzdem so gut und so schlüssig in die Lebens- und Künstlergeschichte der Annett Louisan passt. Angekommen ist sie, weil alle Träume des Jungseins gelebt sind, und am Ende der Träume oft hässliche Wahrheiten stehen; und losgefahren ist sie, weil so viele neue Wege zu gehen und zu leben sind. Und es sich lohnt.

Ist „Kleine, Große Liebe“ dein persönlichstes Album?
Ja, ich hoffe schon, dass ich mir in den letzten Jahren näher gekommen bin. In den letzten 5 Jahren durchquerte ich eine bedeutende Lebensphase: Ich bin Mutter und 40 Jahre alt geworden. Das sind Meilensteine im Leben eines Menschen, an denen man auf sein Leben zurückschaut und die Vergangenheit genauer hinterfragt, sich selbst reflektiert und überlegt, wohin man noch gehen möchte. Da war so viel Stoff für Geschichten, und kein Lied weniger wichtig für das große ganze Bild, deswegen ist es auch ein Doppelalbum geworden. So ein Album kann man vielleicht auch nur einmal im Leben schreiben.

Wie ist dein Anteil an den Kompositionen und Texten in deinen Liedern?
Ich habe im Laufe der Jahre bemerkt, wenn andere Menschen Lieder für mich schreiben, diese mir immer weniger passen. Es war ein Reifeprozess, der wohl auch im wirklichen Leben stattfindet. Es war notwendig, dass ich die Direktion meines Albums selbst in die Hand nehme, damit mir die Lieder entsprechen. Ich habe alle Lieder auf diesem Doppelalbum geschrieben zusammen mit großartigen unterschiedlichen Songschreibern. So ist die eine Seite des Doppelalbums „große Liebe“ mit Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Daniel Faust entstanden. Bei der „kleinen Liebe“ arbeitete ich mit Frank Ramond, Martin Lingnau, Martin Gallop und Tobias Kuhn zusammen. Wenn ich eine Idee für einen Song habe und der Songtext Kontur hat, suche ich mir die musikalischen Partner, manche Lieder sind über Jahre gewachsen.

Wie hast du die 20 Titel den beiden Kategorien zugeordnet?
Früher habe ich mein Leben immer in blond und brünett unterteilt, heute habe ich eine andere Zeitrechnung, vor und nach der Geburt meiner Tochter Emmylou. Die große Liebe ist vor der Geburt entstanden, die kleine Liebe danach. Auch musikalisch unterscheiden die Alben sich. Mit der kleinen Liebe bin ich dem Chanson treugeblieben, mit der großen Liebe habe ich meine Sehnsucht nach Veränderung und meine Liebe zur Popmusik befriedigt.

Seit „Ich will doch nur Spielen“ hast du dich gewaltig geändert, allein die Wortwahl im neuen Album wie „Arsch“ oder „Scheiss“ waren früher undenkbar.
Das stimmt nicht ganz. Ich singe auf meinem ersten Album ein Liebeslied, da heißt es zum Beispiel: „Scheisse, bin ich verliebt!“. Und auf dem zweiten Album besinge ich einen gewissen „Torsten Schmidt, der ein Arschloch ist.“ Es ist klar, dass ausser mir und meinen Fans natürlich nicht alle mein gesamtes Repertoire kennen. Die meisten kennen nur „Die will doch nur spielen“, den Radiohit und der wird auch sehr schnell in eine Schublade gepackt.
Aber ich bin Geschichtenerzählerin, ich bräuchte schon eine ganze Schrankwand mit vielen Schubladen, in die man mich stecken könnte.


Apropos ändern: Wie bist du darauf gekommen einen Künstlernamen zu wählen?
Der Nachname ist von Louise abgeleitet und auch der Name meiner Tochter Emmylou ist vom Namen meiner Großmutter abgeleitet, die Emmi Louise hieß. Es ist ein Liebesbeweis, eine Hommage an eine wichtige Frau in meinem Leben. Meine Omi und meine Mutter sind die ersten weiblichen Vorbilder. Sie haben mich geprägt, sie sind meine Wurzeln.

Ist es nicht schön, dass die Familie jetzt mit Emmylou eine neue Frauengeneration gewachsen ist?
Das ist der totale Wahnsinn. Man kann soviel entdecken, man kann Gefühle vererben, man trägt etwas weiter. Meine Großmutter hat auf ihrem Sterbebett gesagt: „Ach, hätte ich nur ein bisschen mehr für mich getan.“ Meine Mutter hat sich diesen Satz zu Herzen genommen und hat mit 50 Jahren endlich angefangen, mehr für sich zu tun und sich nicht nur für andere aufzuopfern. Ich habe es mit 40 gelernt noch selbstfreundlicher mit mir zu sein und ich hoffe meine Tochter ist dann noch viel früher dran. Das möchte ich ihr gerne mitgeben.

Sind wirklich alle Träume des Jungseins gelebt?
Ich will nicht sagen: ich bin erwachsen geworden. Aber ich hatte eine sehr lange, weit ausgedehnte Jugendzeit. Ich habe mit meinem Mann viele Reisen gemacht, wir haben Partys an Dienstagabenden geschmissen und bis ich 39 Jahre war ein sehr spass- und freiheitsorientiertes, schnelles und excessives Leben gelebt. Mir war wichtig, etwas mehr Sinn und Zugehörigkeit in mein Leben zu holen. Das ist damit gemeint.

Du hattest die Möglichkeit einen musikalischen Traum in der Sendung „Sing Meinen Song“ (SMS) zu leben. Wie hat dich dieses Format beeinflusst?
Es war für mich als Chansonsängerin eine interessante Erfahrung. Was passiert mit mir, meiner Stimme und meiner Persönlichkeit, wenn ich Lieder aus anderen Musik-Genres interpretiere. Es war schön zu bemerken, dass ich mich überall hin mitgenommen habe. Wenn ich heute auf diese Zeit zurückschaue, fällt mir auf, dass ich an einem ganz bestimmten Punkt in meiner Karriere war. Ich war auf der Suche und wußte noch nicht genau, wohin die Reise geht. Es war eine Übergangszeit. Ich habe damals eine kleine Zwischenstation gemacht und ein Cover-Album aufgenommen.

Das ist das Album „Berlin, Kapstadt, Prag“?. In Berlin lebst du, in Kapstadt war „SMS“, was war in Prag?
Ich lebe mit meiner Familie in Hamburg, habe aber eine Wohnung in Berlin. Dort habe ich damals an der großen Liebe gearbeitet, startete die Reise zu „SMS“ nach Kapstadt und in Prag habe ich dann das Album aufgenommen.

Ist die Geburt eines neuen Lebens die Zäsur im Leben, wo die Träume des Jungseins enden?
Mein Leben hat sich komplett geändert und zwar zum noch positiveren. Die Geburt meiner Tochter ist ein weiteres Puzzlestück auf der Reise zu mir selbst. Ich habe dadurch auch ein anderes Verhältnis zum Älterwerden bekommen. Es ist wie die Übergabe eine Staffelstabes und ich kann meine Mutter heute in vielen Dingen durch die Erfahrung mit meiner Tochter besser verstehen.

Wovon hast du als Kind geträumt?
Ich war ein Träumerle, habe aber schon als ganz kleines Mädchen immer davon geträumt, Sängerin zu werden. Ich wollte aber nie ein Star werden, es ging mir allein um den Akt des Singens.

Du hast ein Studium der Malerei angefangen, bist du noch anderweitig künstlerisch unterwegs?
Ich brauche Kunst in meinem Leben im Kampf gegen die Tristesse. Ich male vielleicht nicht mehr mit dem Pinsel, dennoch mit Worten und Tönen Bilder. Ich habe übrigens gerade wieder mit meiner Tochter zu Malen begonnen.

Im Titel „Meine Kleine“ gehst du gegen die alltägliche meist unbewußte Diskriminierung an. Hast du durch deine Größe ein anderes Verhältnis gegenüber unnormierten Menschen?
Unbedingt. Perfektion ist langweilig. Man kann bis zu einem gewissen Grad in seinem Schaffen nach Perfektion streben, um dann zu bemerken, dass aus der Unzulänglichkeit des Künstlers etwas viel Einzigartigeres entsteht. Ich habe mich als Kind oft als Alien gefühlt, war einsam und abgekoppelt. Die Musik hat mich immer wieder mit allem verbunden.

Wir interviewen dich für SCHWULISSIMO, deswegen auch ein paar spezielle Fragen.
Ich kenne die Zeitschrift sehr gut, da ich lange in St. Georg gelebt habe, eines der schwulen Viertel von Hamburg. Da habe ich sie oft gelesen, sie lag ja überall aus.

Wie ist dein Verhältnis zur schwul-lesbischen Szene, hast du du viele Fans?
Fans habe ich in jedem Fall und ich freue mich so wahnsinnig, wenn ich in schwulen Clubs gespielt werde. Das gibt mir ein so sicheres und warmes Gefühl, ich würde es als Beschütztsein bezeichnen. Ich habe in meinem Freundeskreis auch wundervolle schwule Pärchen und ich fühle mich selbst in der Szene sehr wohl.

Bist du selbst schon einmal von einer Frau angemacht worden?
Ja, sicher. Ich muß gestehen, obwohl ich nicht bisexuell oder lesbisch bin, küsse ich Frauen unheimlich gerne. Ich mag gerne von Frauen angefasst werden und fasse sie auch selber gern an.

Die Reise geht weiter, worauf freust du dich in der Zukunft?
Erstmal auf die Tour zum neuen Album. Und ich bin schon wieder voller Ideen für weitere Lieder, ich werde mir bis zum nächsten nicht so viel Zeit lassen können.

Gibt es etwas dabei, wovor du Angst hast?
Ich bekomme noch Bauchschmerzen bei dem Gedanken, getrennt von meiner Tochter zu sein, weil sie noch so klein ist. Nach den ersten 18 Monaten totaler Symbiose muss ich mich als Mutter noch an das Loslassen gewöhnen. Damit habe ich grössere Schwierigkeiten, als ich das von mir selbst gedacht hätte. Aber ich denke auch, es wird mir gut tun, mal wieder etwas für mich selbst zu tun. Ich möchte ihr ein gutes Vorbild sein. Ich werde sie natürlich mit auf Tour nehmen. Anders könnte ich noch nicht glücklich werden.

Wo kann man sich über die Tour informieren?
Über die HP www.eventim.de und natürlich bei Instagram und Facebook unter Annett Louisan.

Danke für deine Zeit und toi toi toi

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