Georg Preusse „Leider leben wir momentan in einer Zeit, in der die Dummheit regiert“
Der SWR lud zur Premiere der Dokumentation von „Drags of Monnem“ in Mannheim. SCHWULISSIMO hatte Gelegenheit, einige Fragen an Georg Preusse zu stellen.
Den meisten ist der Schauspieler und Travestiekünstler unter dem Namen Mary bekannt. In den 1980er Jahren feierte er gemeinsam mit seinem Bühnenpartner Reiner Kohler († 18. Januar 1995) als Duo Mary & Gordy großartige Erfolge. Wir freuen uns sehr, dass wir einige Antworten erhaschen konnten.
SCHWULISSIMO: Georg, wenn Sie bei der Premiere von „Drags of Monnem“ den Nachwuchs sehen, kommt da nicht Lust auf, selbst wieder in Kleider zu steigen?
Nein, ich finde es ganz toll, dass die jungen Leute jetzt fortsetzen, womit ich begonnen habe. Ich hätte auch Probleme in meine Kleider zu kommen; da müssten erst ein paar Kilos weg. Allerdings habe ich im letzten Jahr den Titel „Noch singe ich“ für die Aktion „Superhelden fliegen vor“ aufgenommen, der auch auf YouTube zu sehen ist. Die Aktion ist für krebskranke Kinder im Endstadium und Mary ist die Schirmherrin.
SCHWULISSIMO: Sind Sie an der Dokumentation über die Mannheimer Dragszene beteiligt?
Nein, am Film bin ich nicht beteiligt. Ich habe erst vor ein paar Wochen davon erfahren, als man mich zur Premiere einlud. Ich habe mich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, lasse mich heute überraschen und bin gespannt, was sich Neues auf diesem Gebiet tut.
Janboris: Wann haben Sie mit Travestie angefangen?
Ich war Anfang 20 und es war nicht geplant, dass daraus ein Beruf werden sollte. Ich habe es anfangs für mich gemacht, aus Spaß und Jux. Dann erst wollte ich Leuten damit Freude bereiten so wunderbar bunt als Paradiesvogel auf der Bühne. So bin ich reingerutscht. Ich bekam Engagements und sogar Geld dafür. Die Auftritte wurden mehr, es blieb weniger Zeit für mein Studium. Da musste ich mich entscheiden, welche Zukunft ich einschlagen möchte: Berufsschullehrer oder Travestiekünstler? Beide Zukunftsvisionen sahen sehr düster für mich aus. Als Berufsschullehrer wäre ich nicht glücklich geworden, das machte ich nur, um was zu machen. Travestie machte mir Spaß und so habe ich mich für die Zukunft entschieden, die mehr Spaß versprach.
Janboris: Sie wurden zum Star und landeten im TV in der Prime-Time. Wie war es, wenn sie nicht im Rampenlicht standen?
Am Anfang habe ich mich meist schon im Hotel geschminkt und angezogen und im Anschluss versucht, so schnell wie möglich unerkannt zum Auftrittsort zu kommen, damit ich nicht angesprochen wurde. Ich hatte auch einige Auftrittsorte, wo man nicht merken durfte, dass ich ein Mann bin. Man darf nicht vergessen, dass die Travestiekunst noch als entartete Kunst galt. Ein Relikt aus der Nazizeit und die mehrheitliche Meinung war, dass es sich hier um seelisch kranke Menschen handelt. Nach der ersten Sendung gab es in Deutschland Städte, in denen wir Auftrittsverbot hatten. Z.B. Der Bürgermeister in Crailsheim äußerte sich mit den Worten: „Der Schund und Dreck der Großstadt kommt nicht in unsere saubere Stadt.“ Vor Veranstaltungen wurden Flugblätter verteilt, auf denen stand: „Hier tritt der Teufel auf.“ Es gab also sehr viel Urwald zu kultivieren. Ein Journalist fragte, wie ich dazu gekommen bin, Frauen so perfekt darzustellen. Ich antwortete: „Aus Notwehr, weil man sonst den Laden auseinandergenommen hätte.“ Es gab damals den Paragraphen 175 und staatlicher- und bürgerlicherseits gab es nicht diese Toleranz, die wir seit den 90er Jahren erfahren. Mann musste sich verstecken und einer Frau so ähnlich sein, wie nur irgendwie möglich. Ich habe ja auch Striptease gemacht und die Probleme, welche die Drags noch heute haben, mit dem Hinterklemmen und Verbergen der männlichen Attribute, hatte ich selbstverständlich auch. Wie jeder Künstler macht man eine Pubertät durch, man wächst immer mehr in die Rolle hinein und je mehr man Menschen mit seiner Kunst begeistert, umso schneller kommt man voran. Was unweigerlich auch die positive Akzeptanz in der Öffentlichkeit zur Folge hatte.
Leider leben wir momentan in einer Zeit,
in der die Dummheit regiert. Was ich
aber schlimmer finde, ist, dass die
Intelligenz schweigt.
Janboris: Wenn man sieht, wie weit Deutschland nicht nur in Bezug auf Travestie schon einmal war, geht die Entwicklung wieder rückwärts?
Leider leben wir momentan in einer Zeit, in der die Dummheit regiert. Was ich aber schlimmer finde, ist, dass die Intelligenz schweigt. Deswegen ist es so wichtig, dass es in Deutschland, in Europa und weltweit überall solche jungen Menschen gibt, wie die „Drags of Monnem“. Sie gehen auf die Straßen, sind sichtbar, präsent, sie fallen auf, sind bunt, schräg und lustig. So wie ich es früher in meiner Zeit als Travestiekünstler mit „Mary und Gordy“ auch gemacht habe. Nur so, finde ich, kann man Menschen überzeugen. Wenn man das macht mit Lebensfreude und Spaß, so dass ein jeder darauf positiv reagiert, kommt es automatisch im Herzen an. Den Emotionen des Herzens kann sich niemand entziehen. Wenn ich auf der Straße irgendeinen Bettler sehe, habe ich auf der rechten Schulter einen weißen Engel, der etwas geben möchte und auf der linken den schwarzen, der mir sagt, ich brauche mein Geld für das eine oder andere. Aber wenn mich der Mensch im Herzen berührt mit der Aufrichtigkeit seines Lebensschicksals, dann gebe ich gern ohne darüber nachzudenken. Das ist es auch, was die Kraft der Travestiekunst und des Dragseins ausmacht: Lebensfreude zu vermitteln, um den Leuten klarzumachen, in was für einer schönen Welt wir alle leben.
Drag Macy: Herr Preusse, was war das erste, was Sie nach einer Show abgelegt haben?
Bei mir war es als erstes die Perücke, sie hat bei mir immer sehr wehgetan. Als nächstes kam die Korsage. Die Kleider waren bei mir immer sehr eng geschneidert, das war nicht meine Figur, die wurde es erst Dank der Korsage. Dann folgten die Schuhe - wenn man dreieinhalb Stunden auf der Bühne mit High-Heels gestanden hatte, taten einem die Füße schon weh.
Janboris: Sie haben sich lebenslang als Travestiekünstler gesehen. Wie finden sie den Vergleich zur heutigen Drag Kultur?
Es war eine andere Zeit vor 40 Jahren. Die erste Fernsehshow von Mary und Gordy flimmerte vor 42 Jahren über den Bildschirm. Damals gab es nur drei Fernsehprogramme; heute gibt es unzählige Fernsehsender, dazu kommen noch Streaming-Programme sowie unzählige soziale Medien. Und überall sollte und müsste man heutzutage präsent sein, um Aufmerksamkeit zu bekommen! Und vielleicht bleibt mal irgendein wichtiger Förderer bei deinem Profil kleben – aber das ist genauso wahrscheinlich wie ein Lottogewinn. Ich denke, um bekannt zu werden, hat es ein jugendlicher Künstler heute wesentlich schwerer, als zu meiner Zeit.
Janboris: Sind sie gar nicht in den sozialen Medien präsent?
Ich habe einmal angefangen mit Facebook, was von mir heute nicht mehr „bewirtschaftet“ wird. Tag für Tag saß ich jeden Morgen über drei Stunden vor Facebook und habe nur geantwortet. Irgendwann habe ich gesagt, das kann doch nicht dein Leben sein, dass ich mich in Facebook verlustiere, während auf der anderen Seite noch so viel wichtige Arbeit auf mich wartet.
Janboris: Wie wichtig ist es, dass der SWR diese Serie produziert hat?
Ich halte das für sehr wichtig, dass Drags mit ihren vielen Facetten gezeigt werden. Wie bereits gesagt, habe ich das Gefühl, dass sich die Gesellschaft zurückentwickelt. Sie wird homophober und es gilt mittlerweile sogar als schick, gegen Schwule zu sein. Und gerade da muss man präsent sein. Wenn wir uns jetzt verstecken, dann haben wir uns weggeduckt. Und wir müssen präsent bleiben, wenn wir etwas in dieser Welt verändern wollen. Der, der heute etwas verändern kann, ist der Clown in Form einer Dragqueen.
Man darf nicht vergessen, dass die
Travestiekunst noch als entartete
Kunst galt…, …und die mehrheitliche
Meinung war, dass es sich hier um
seelisch kranke Menschen handelt.
Janboris: In den USA, wollen einflussreiche Kreise Travestie und Drag verbieten.
Da sind wir in Deutschland ja auch nicht vor gefeit, siehe die jüngsten Beispiele in Bayern, wo Drags keine Kindergeschichten mehr vorlesen sollen. Ich habe vorhin schon gesagt, ich vermute, die Dummheit siegt anscheinend. Wenn wir das zulassen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir im Morast verschwinden. Es wird dann auch wieder mehr Selbstmorde unter jungen Menschen geben, weil sie in einer Welt mit Hass und Verachtung nicht leben können und wollen. Ich habe das selbst einmal durchgemacht.
Janboris: Inwiefern?
In meiner Kindheit hielt man mich für lebensunfähig. So weigerte sich mein Vater, dass ich überhaupt ärztliche Behandlung bekam, weil ich schwer lungenkrank war und zuerst keine Aussicht auf Heilung bestand. Wenn ich jetzt als reifer Mensch zurückblicke, würde ich sagen, er lehnte mich ab, weil ich in seinen Augen kein „richtiger Junge“ war. So habe ich lange Zeit nach meinem Lebensberechtigungs-Schein gesucht. Und ich habe ihn heute zum wiederholten Male in dieser Veranstaltung zur Premiere von „Drags in Monnem“ bekommen. Ich bin gerührt über diese Ovationen und den stürmischen Applaus; das bewegt mich sehr.
SCHWULISSIMO: Und zeigt, wie sehr Sie noch in unseren Herzen sind. Wie leben Sie heute ohne diese „Standing Ovation“?
Ich lebe heute sehr zurückgezogen mit Jacky, mit dem ich verheiratet und mittlerweile seit 45 Jahren sehr glücklich bin. Obwohl das am Anfang nicht so einfach war, 24 Stunden Zusammenleben und Arbeiten. In meiner aktiven Zeit hatte ich mich verloren. Alle unsere privaten Pläne lagen auf Eis. Ich wollte mal das tun was Millionen Menschen vorher getan haben: Mich genießen. Zeit für uns und unsere Wünsche haben. Also einen gesunden Egoismus. Auch haben die vielen Todesfälle in unseren Familien uns auf den Boden der Tatsachen gebracht. Und ich habe mich Jahre später mit meinem Vater versöhnt, er starb in meinen Armen. Heute Reisen wir sehr viel mit dem Wohnmobil, gehen unseren Hobbys nach und zeitweise trete ich hin und wieder als Schauspieler mit wunderbaren Rollen im Theater auf.
Hätten Sie Lust, mal wieder im Fernsehen aufzutreten?
Nein. Diese Art von gegenwärtigen Shows, in welcher Rolle auch immer, liegen mir gar nicht. Vielleicht bei einem anderen Konzept, denn ich habe nie gesagt, dass ich aufgehört habe. (lacht) Das nur zur Warnung.