Ausgequetscht Scott Matthew
Scott Matthew wurde einem internationalen Publikum durch seine musikalische Mitwirkung am legendären Film "Shortbus" bekannt. Gegenwärtig ist er mit seinem aktuellen Album " This here defeat" in Deutschland unterwegs.
Danke, das du mit deinen Songs in „Shortbus” dabei warst, der Film ist großartig.
Der Dank gebührt aber doch eher dem Regisseur John Cameron Mitchell, denn der gab mir die Chance bei dem Film mit fünf Liedern dabei sein zu dürfen. Ich werde ihm dafür immer dankbar sein.
Es war der internationale Start deiner Karriere. In Anbetracht des Hypes von „50 Shades of Grey“: Würdest du es noch einmal tun, vielleicht sogar selbst aktiv mitspielen?
Ich bin kein Schauspieler. Solange ich in den Filmen, die mir angeboten werden, singen kann, ist es okay. So war ich auch im Film „Five Dances“ von Alan Brown, einem schwulen, ebenfalls in NY lebendem Regisseur, mit vier Liedern dabei. Mir macht es nichts aus, vor der Kamera zu stehen, solange ich selber ICH sein kann. Aber ich habe weder das Talent noch den Willen, jemand anderer zu sein, als ich selber. Es hat zu viele Jahre gedauert, um mich selbst zu finden, als dass ich jetzt vor der Kamera ein anderer sein möchte.
Auf deiner CD „Unlearned” gibt es den Titel „I don’t want to talk about it“. Gibt es etwas, über das du nicht sprechen oder singen möchtest?
Ich zensiere meine Emotionen nicht in meinen Songtexten und es gibt auch keine Themen, die mich aufregen oder wütend machen. Außer wenn jemand immer wieder dieselben dummen Fragen stellt. Damit meine ich aber nicht eure Fragen, sondern die immer wiederkehrenden: „Bist du traurig? Brauchst du eine Therapie?“ Die machen sich nur darum Gedanken und fragen nichts anderes.
Die Stimmung in deinen Liedern erinnert an Leonard Cohen, den wir auch live erlebt haben. Betrachtest du das als Kompliment oder möchtest du nicht mit anderen Künstlern verglichen werden?
Whow, vielen Dank. Ich empfinde den Vergleich als absolutes Kompliment. Es ist normal, dass Leute dich immer mit jemand anderem vergleichen. Wenn das in meinem Fall mit Leonard Cohen geschieht, fühle ich mich wirklich geehrt.
Auf „Unlearned” ist ein Morrissey Song „There`s a place in hell for me and my friends”. Du trittst heute Abend in einer Kirche auf, glaubst du an das Konzept von Himmel und Hölle?
Ich glaube definitiv nicht an das Konzept von Himmel und Hölle und ich denke, auch Morrissey hat nicht daran geglaubt. Das ist wohl eher poetisch gemeint oder als eine Kritik an die Gesellschaft anzusehen, die es gerne sähe, dass man in die Hölle kommt. Ich glaube weder an Gott, den Himmel oder die Hölle, ich glaube aber an das Gute und daran, dass das Gute immer zu einem zurückkommt, dass das Leben Gutes belohnt. Was man anderen Menschen Gutes tut, bekommt man auf irgendeine Art und Weise auch wieder etwas Gutes zurück.
Du bist Bartträger; in Deutschland sind Bärte erst in der letzten Zeit wieder so richtig in Mode gekommen. Was müsste passieren, dass du ihn dir abrasierst?
Ich müsste sterben und jemand anderes müsste ihn mir abrasieren. Mein Bart und ich gehören seit mindestens 13 Jahren zusammen. Ich stehe dazu und ich werde mit diesem Bart sterben. Für mich ist er aber kein Modeattribut, sondern er gehört einfach zu mir, er ist ein Teil von mir. Ich fühle mich mit ihm einfach wohl. Leute sagen mir oft, dass ich ein Hipster bin, was ich immer verneine, denn ich trug schon Bart, lange bevor er zur Mode wurde.
Du hast einen Song geschrieben der „German” heißt. Was - oder wie - denkst du über die deutschen Männer?
Oh Gott, darauf weiß ich momentan gar keine Antwort. Das Lied hat angefangen als Ausblick, wie es ist, wenn man eine andere Person ist. Wenn man ein Lied schreibt, aus der Perspektive einer anderen, fremden Person. Beim Komponieren habe ich dann irgendwie den Faden verloren und meine eigenen Gefühle eingearbeitet. Was ich aber sagen kann: ich liebe die deutschen Männer, die Deutschen und das Land. Ehrlich, ich mache jetzt keinen Witz: Die Deutschen haben mich nach Shortbus in meiner Karriere unterstützt. Mein Management besteht aus Deutschen, meine Crew, mein Label, meine Agentur und der Fotograf, der meine Cover und Poster gemacht hat, sind alles Deutsche. Und beim deutschen Publikum zeigt sich, dass sie sowohl meine Lieder verstehen, als auch das, was ich mit meinen Texten aussagen möchte.
Kennst du auch deutsche Sänger, oder ein deutsches Lied?
(singt) „Trink, trink Brüderlein trink“. J Und ich singe auf dem Rosenstolz-Album „Wir sind am Leben“ im Lied „Beautiful“ die sich wiederholende Textpassage „Make it beautiful“.
Du redest viel mit den Händen, die mit Verlaub, sehr schön sind.
Danke für das Kompliment. Allerdings ist ein Finger krumm, weil er mal gebrochen war.
Bist du traurig, wenn du deine Lieder schreibst, oder kommst du erst durch das Schreiben deiner Texte in eine traurige Stimmung?
Eigentlich bin ich traurig, wenn ich die Lieder schreibe. Ich lebe nicht in den Orten meiner Lieder, aber es sind Wiedergaben meiner Gefühle, die ich manchmal habe. Ich schreibe immer, wenn ich mich nicht jovial fühle; ich finde, Melancholie ist etwas sehr Schönes.
Du bist ein sehr humorvoller Mann, brauchst du ein gewisses Ambiente, um in die Finsternis hinab zu steigen, wenn du Lieder über Schmerz, Liebe, Traurigkeit und Tod schreibst?
Ich mache ja keine Werbung für Leid oder Schmerz und brauche auch kein bestimmtes Ambiente, um meine Texte schreiben zu können. Was ich brauche, ist absolutes Alleinsein. Ich muss für mich selbst sein, abgeschottet und darf dabei keinerlei Ablenkung haben. Es ist sehr anstrengend und schmerzhaft für mich, Texte zu schreiben. Wenn das allerdings getan ist, macht der Rest, die Musik und die Präsentation großen Spaß. Meine Texte sind in den meisten Fällen biografisch und es ist dadurch immer wie eine Therapie. Ich stelle mir immer vor, dass durch mein Schreiben, der Schmerz, das Gefühl, das Problem meinen Körper verlässt und es mich leichter verarbeiten lässt, weil es jetzt draußen ist. Jetzt lebt es in meinen Liedern und nicht mehr in mir.
Auf deiner letzten CD „This here defeat” gibt es einen Song mit dem Titel „Palace of tears”. Hast du deinen eigenen Palast der Tränen?
Im poetischen Sinne glaube ich, dass ich einen Palast der Tränen habe. Eigentlich wollte ich aber ein Lied über den Tränenpalast in Berlin schreiben. Bei diesem Lied haben mir einige Leute Narzissmus vorgeworfen, was mir einen Stich versetzt hat. Ja, ich schreibe viel über mich selbst, aber dieses Lied sollte nur über den Berliner Tränenpalast sein. Und ich finde, das es eines der wenigen Lieder von mir ist, das nicht ausschließlich nur von mir handelt.
Apropos „Defeat“ (Niederlagen), hast du jemals Situationen erlebt, wo du das Gefühl einer Niederlage hattest?
Natürlich, wenn etwas schief geht, empfinde ich das sofort als Niederlage. Der Titel entstand, weil durch die zerbrochene Partnerschaft auch mein Herz zerbrach. Durch diese zerbrochene Beziehung hatte ich das Gefühl, noch niedergeschlagener als sonst zu sein. Eigentlich hatte ich da die Entscheidung getroffen, keine Musik mehr zu machen, weil es das erste Mal in meinem Leben war, wo ich mich geschämt habe. Ich sollte etwas aus meinem Leben schreiben, eine Situation, wo ich mich allein gelassen gefühlt habe. Als ER mir dann vorwarf „Da machst du bestimmt ein „Best-of-Album“ draus, hat mich die Bemerkung so zornig gemacht, dass ich gedacht habe „Jetzt erst recht!“
Deine Version von „To love somebody” lässt mich die Frage stellen: Bist du in einer festen Beziehung?
Nein, ich habe im Moment keine feste Beziehung.
Hättest du denn gerne eine?
Keine Ahnung. Der Wunsch und das Verlangen danach – etwas, was mich früher immer getrieben hat - ist schwächer geworden. Es ist aber nicht so, das der Wunsch ganz weg wäre; ich hoffe schon noch. Ich bin kein Pessimist, ich möchte immer noch an die Liebe und eine glückliche Beziehung glauben. Aber ich brauche keine, um ein erfülltes Leben zu führen und das ist eine große Erleichterung. Ich bin auch mit mir alleine zufrieden. Wenn es geschieht, geschieht es, dann kann man es umso mehr genießen, weil es unerwartet ist. Ich kann mir Zeit lassen und muss nicht gezielt danach suchen. Ich war schon als Kind und als Teenager so verzweifelt danach auf der Suche, dass ich schon alleine durch das krampfhafte Suchen, nichts fand. Heute bin ich zufrieden; es ist ein schönes Gefühl auch glücklich sein zu können, ohne jemand anderen dafür zu brauchen.
In „Total Control“ gibst du an, dass du die totale Kontrolle über deinen Partner willst. Bist du eifersüchtig?
Es gab die Zeit, wo ich definitiv sehr eifersüchtig war und diese Kontrolle haben wollte. Eifersucht ist aber eigentlich nichts anderes, als eigene Unsicherheit; nur mit einem anderen Namen. Ich war als Kind fürchterlich unsicher, sehr scheu und nicht unbedingt sehr sozial. Ich war so darauf aus, geliebt zu werden und hatte große Angst, dass die Leute mich verlassen. Nachdem ich mich selber mit mir arrangiert hatte - nachdem ich wusste, was ich kann, was ich will und wer ich bin - war das nicht mehr notwendig. Wir sind so konditioniert, das alles, was wir in der Kindheit mitgemacht haben, in einer Beziehung wieder hoch kommt. Unter anderem auch die Eifersucht. Gott sei Dank wird das mit dem Alter besser.
Dürfen wir dich nach deinem Alter fragen?
Das ist etwas, worauf ich antworten möchte „I don’t want to talk about ist“. J Ihr könnt ja schätzen. Ich denke aber, selbst wenn ihr schlecht schätzen würdet, wäre das immer noch ein Kompliment.
Wir würden aber gerne noch wissen, wie das mit deinem Outing war?
Mein Coming Out stolperte so vor sich hin. Ich bin im ländlichen Australien aufgewachsen und das ist kein schöner Ort für jemanden der schwul ist. Ich fühlte mich dort die meiste Zeit schikaniert und ungerecht behandelt.. Das ist auch der Grund, warum ich Australien verlassen habe. Ich muss aber sagen, dass sich dort alles in den letzten Jahren sehr positiv zu einem offenem, liberalen Land entwickelt hat. Damals wussten meine Freunde, dass ich schwul bin, meine Familie wusste es nicht. Als meine Muter es eines Tages herausfand, war sie entsetzt. Ich musste ihr versprechen, dass es mein Vater nie erfahren durfte, weil es ihn sonst umbringen würde. Ich bin dann nach Sydney gezogen. Ca. acht Jahre später besuchte mich mein Vater dort und fragte mich, ob ich schwul wäre. Als ich das ehrlich bejahte, antwortete er „Okay, hab ich mir schon gedacht!“ J Es hat ihn also nicht umgebracht und wir sind heute die besten Freunde. Meine Eltern haben sich weiterentwickelt, wir lieben uns und wir sind jetzt in der Lage, offen miteinander umzugehen. Und ich weiß ihre Unterstützung, besonders die meines Vaters, sehr zu schätzen.
Was wünscht du dir für die Zukunft?
Ich möchte einfach so weiter machen wie bisher. Ich liebe das Singen und ich liebe Tourneen. Irgendwann möchte ich ein kleines Haus irgendwo auf dem Lande am liebsten in Portugal. Wir kommen gerade dorther und ich liebe das Land sehr. Ich arbeite dort mit einem Komponisten zusammen und das daraus entstehende Album wird im neuen Jahr erscheinen. Wohin es mich aber später wirklich treibt – man wird sehen.
Wo immer es dich hinverschlägt, wir hoffen, dass du glücklich und zufrieden bist und das machen kannst, was dir Spaß macht. Bleibt nur noch die Frage, ob wir irgendetwas Wichtiges vergessen haben?
Sonst werde ich immer gefragt, was mein Lieblingslied ist, vielen Dank für das nette Interview.
Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Scott Matthew im Mai 2015 geführt.