Drag Queen Vicky Voyage „I’m here, I’m there, I’m everywhere!“
“Krise als Chance” – war ein Satz, der während der Pandemie inflationär genutzt wurde. Dennoch ist etwas Wahres daran, denn durch die Corona-Krise sind viele neue Projekte ins Leben gerufen worden. Eines davon von Drag Queen Vicky Voyage. Sie ist Creative Director des Projektes Drag Voyage und hat es mit einem kleinen Team ins Leben gerufen sowie das Konzept erstellt. Die Drag Queen aus München bzw. aus dem Allgäu erzählt gegenüber SCHWULISSIMO etwas über ihr leidenschaftliches Projekt, das aus der Pandemie geboren ist.
Wie bist du zu Drag und zu deinem Namen gekommen? Gibt es eine Geschichte dahinter?
Mein Freund war 2016 auf dem CSD München als Emily in Drag unterwegs. Ich war damals in zivil dabei und für mich war diese Welt noch ganz fremd. Erst als ich 2018 im Ausland war und an der bunten Whistler Pride teilgenommen habe, entstand danach der Wunsch 2018 selbst auf dem CSD in München in Drag mitzumachen. Gesagt, getan: Emily, zwei weitere Freunde und ich konzeptionierten und inszenierten uns als die Element B*tches und hatten jede Menge Spaß.
Über meinen Namen habe ich im Frühling 2018 während eines Skiurlaubs in Frankreich nachgedacht. Ohne viel zu überlegen kam mir mein heutiger Name schnell in den Sinn: Vicky „Victoria“ Voyage, da ich gerne gewinne und sehr gerne auf der ganzen Welt unterwegs bin. Ganz nach meinem Motto: „I’m here, I’m there, I’m everywhere!“ – Check!
Was fasziniert dich an Drag?
Ich finde es faszinierend, wie sich Menschen durch Drag äußerlich und auch innerlich verwandeln können und welche Wirkung Mensch auf seine Umwelt haben kann. Das ist jedes Mal aufs Neue spannend.
Was macht für dich gutes Drag aus?
Ich finde, Drag muss authentisch und auch irgendwie aufregend sein. Äußerlich sollte in meinen Augen die Verwandlung zu einem bestimmten Grad stattgefunden haben, so dass Mensch z.B. nicht als Cross-Dresser identifiziert wird. Die Verwandlung kann dabei sehr facettenreich sein: übertriebener Ausdruck von Weiblich- oder Männlichkeit, Androgynität, Trash-Make-up, Clown-Schminke, etc. Da Drag meiner Meinung nach stets in irgendeiner Art und Weise auch politisch ist, erachte ich es auch als sehr wichtig, eine gewisse Sensibilität bzgl. den Botschaften zu haben, die Mensch in Drag verbreitet.
Wie kam die Idee auf, einen Kalender zu veröffentlichen?
Frau Corona kam vorbei und hat gesagt: „2020/21 kannst du vergessen, 2022 geht vielleicht wieder was…“. Da ich mich damit nicht zufriedengab, beschloss ich, mit Emily und zehn weiteren Drag Künstlern und Künstlerinnen die Energie in ein „Corona-Projekt“ zu stecken und voilá: Die Kalenderidee war geboren. So konnten wir die Zeit nutzen, 12 Künstler und Künstlerinnen zu präsentieren und 2022 dem einen oder der anderen eine farbenfrohe Freude bereiten.
Auf was bist du am meisten stolz bei diesem Projekt?
Ich bin sehr stolz auf meine Kolleginnen und Kollegen und auf unsere Fotografin Shell Eide, dass wir gemeinsam ein so fabulöses Produkt kreiert haben. Außerdem freut es mich, dass es den Kalender in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu kaufen gibt und es einige Exemplare sogar bis nach Portugal, USA, Brasilien und Australien geschafft haben.
Was möchtest du mit diesem Produkt erreichen?
Ich wollte mit dem Kalender queere Kunst für alle zur Verfügung stellen, für Groß für Klein, für queer oder hetero, für jung und alt. Jede:r soll sich mit Drag beschäftigen und reflektieren können: Ist das wirklich so verrückt oder soll nicht jeder so bunt sein wie er/sie möchte? Zudem wollten wir damit eine Plattform in Deutschland, mit dem Vorbild von RuPauls Drag Race, schaffen. Auch hier in good old Germany ist die farbenfrohe und diverse Welt des Drag angekommen, auch hier sind Künstler und Künstlerinnen aktiv…
Wie ist das Feedback aus der Community?
Das Feedback ist durchwegs positiv. Zwar ist ein Kalender nicht das innovativste Produkt im Jahre 2022, allerdings sind wir gerade bei Kalenderfans sehr gut angekommen. Aber auch der ein oder die andere, die normalerweise auf einen Kalender verzichten, haben uns dieses Jahr an der Wand hängen. Viele haben ein oder mehrere Kalender online gekauft oder diese bei unseren zahlreichen Partner-Shops in und auch außerhalb der Community erworben.
In eurem Fall kam es durch Corona zu Kreativität und neuen Projekten. Ist Corona also Fluch und Segen und wir müssen alle lernen, das Beste daraus zu machen?
Still sitzen und Däumchen drehen war noch nie mein Ding. Ich versuche, äußere Gegebenheiten, in diesem Fall Corona, hinzunehmen und das Beste daraus zu machen. Wenn ich dann von einer neuen Idee überzeugt bin, widme ich mich dieser mit sehr viel Motivation und ziehe es meistens bis zum Ende durch. Corona war zwar in diesem Fall ausschlaggebend für die Produktion des Kalenders, aber es hätte auch andere Gründe geben können. Ich freue mich auf jeden Fall, dass wir das Projekt erfolgreich umgesetzt haben und trotz einem Haufen Arbeit auch viel Spaß dabei hatten.
Was vermisst du an der Zeit vor Corona am meisten?
Die Unbekümmertheit. Ich empfinde die aktuelle Situation zwar als unangenehm, aber aushaltbar. Dennoch denke ich manchmal an die Zeiten, als man sich keine Gedanken über Masken und Kontaktbeschränkungen machen musste oder es abwägen musste, ob es vernünftig ist oder nicht, sein Gegenüber zu umarmen…
Wie queer ist München/Kempten?
In Kaufbeuren hab es 2021 den ersten Allgäu Pride. Ich hoffe, dass dies ein Vorbild für viele weitere Allgäuer Städte wie auch Kempten ist und sich queere Lokalitäten oder Veranstaltungen mehren. Die queere Szene in München ist im Vergleich zu anderen Großstädten wahrscheinlich etwas überschaubarer. Dennoch: Die Stadt ist im Umbruch und es entstehen einige neue Lokalitäten und Veranstaltungen. Ich bin gespannt, wie die queere Szene post-corona aussehen wird und welche Chancen sich ergeben werden…
Was liebst du an der bayrischen LGBTI*-Community?
Ich finde es super, dass man relativ rasch (herzliche) Kontakte knüpfen kann. Wenn ich Hilfe von (Drag) Kolleginnen oder Kollegen benötige, steht mir meistens gleich jemand mit Rat und Tat zur Seite. Außerdem feiern viele Bayern, gerade in ländlicheren Gegenden, die neu entstehenden regionalen CSDs total. Ich durfte im vergangenen Jahr den Allgäu Pride mitmoderieren. Die Luft war gefüllt mit Liebe und guter Laune, das Publikum war der absolute Hammer.