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Manfred Bruns // © Archiv

Im Interview Manfred Bruns

Redaktion - 03.11.2017 - 09:00 Uhr

„Die verkorksten Lebensläufe, die Chancen, die man diesen Menschen genommen hat, das wird nicht wiedergutgemacht.“

§175 besagte: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“

Dieser Paragraph bestimmte 123 Jahre das Leben Homosexueller in Deutschland. Er stellte somit einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Zur Nazi-Zeit starben tausende Homosexuelle in Konzentrationslagern. Nach 1945 wurden schwule Männer in der BRD von Polizei und Justiz weiterhin unerbittlich verfolgt. Razzien, Beschuldigungen und ständige Angst gehörten für sie zum Alltag.  Ein offenes, schwules Leben war nicht möglich.

Manfred Bruns war bis 1994 Bundesanwalt am Bundesgerichtshof. Er war Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland und ist der Webmaster des LSVD. Er führte ein traditionelles Leben mit Frau und Kindern bis er sich Anfang der 80er outete. Manfred Bruns gilt als Vater zur Abschaffung des §175. Zusammen mit Volker Beck und Günter Dworek, kämpfte er für die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften. Er hat uns ein paar Fragen beantwortet.

Wurden die Opfer von §175 mittlerweile rehabilitiert und entschädigt?
„Ja, der Bundestag hat das Rehabilitierungsgesetz verabschiedet. Aufgrund dessen können die Betroffenen, die verurteilt worden sind, eine Tilgung ihrer Urteile verlangen bzw. sind sie mittlerweile schon aufgehoben. Sie können eine Bestätigung und eine Entschädigung für die Verurteilung und ihre Freiheitsstrafen verlangen.“

Wie kam es dazu?
„Die Homosexuellen wurden in der Nazi-Zeit und der Weimarer Republik verfolgt. Und die Bundesrepublik hat diese Verfolgung dann in den 50er und 60er Jahren fortgesetzt. Die Strafbarkeit wurde in der BRD erst 1969 aufgehoben. In der DDR ein Jahr früher. Übrig blieb eine angebliche Jugendschutzvorschrift, die besagte, dass sexuelle Handlungen zwischen Männern über 18 Jahren mit Männern unter 18 Jahren strafbar ist. Das war aber eigentlich keine Jugendschutzvorschrift, man wollte die Jungen nicht vor verfrühten sexuellen Erfahrungen schützen. Vielmehr vertrat man die Auffassung, dass homosexuelle Aktivität in der Pubertät zu Homosexualität führen würde. Das war die sogenannte „Verführungstheorie“ und davor sollten die Jugendlichen geschützt werden. Bis in die 80er Jahre war überhaupt nicht daran zu denken, diesen Paragrafen aufzuheben. Und 1994 ist er auch nur restlos gestrichen worden, weil über diesen Punkt nach der Wiedervereinigung in Deutschland, gespaltenes Recht galt. In der DDR hatte man den §175 schon gestrichen und durch eine einheitliche Jugendschutzvorschrift ersetzt und in der Bundesrepublik galt er noch. Bei diesem Wiedervereinigungsvertrag haben die DDR-Bürgerrechtler durchgesetzt, dass dieses liberalere Recht der DDR erhalten blieb. Ein Mann der in West-Berlin mit einem 17-Jährigen sexuellen Kontakt hatte, machte sich strafbar. Wenn sie aber nach Ost-Berlin fuhren und dort sexuellen Kontakt hatten, war es nicht strafbar. Das musste irgendwie beseitigt werden. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, dann wäre §175 erst gestrichen worden, nachdem 1998 die rot-grüne Koalition dran kam.“

Warum hat es so lange gedauert die Urteile aufzuheben?

„Das hängt damit zusammen, dass es bei der CDU/CSU sehr viele konservative Leute gab, die der Meinung waren, dass die Homosexuellen zu Recht bestraft wurden. Sie sind nicht politisch verfolgt worden, sondern wurden als Kriminelle bestraft. Die Konservativen waren der Meinung, was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Von daher war an eine Wiedergutmachung oder Entschädigung damals gar nicht zu denken. Erste Ansätze einer Wiedergutmachung gab es dann 2002. Die Verurteilungen, die unter den Nazis erfolgt sind, wurden zu diesem Zeitpunkt aufgehoben. Es gab aber keine Entschädigungen. Nur in „Notfällen“ gab es eine Aufstockung der Sozialrente. Erst jetzt wurden die, in der Bundesrepublik gefallenen Urteile aufgehoben.“

Sehen Sie sich als indirektes Opfer von §175, weil Sie Ihre Homosexualität unterdrücken mussten? 
„Es kommt immer mal vor, dass sich irgendwelche Strafvorschriften ändern. Dann tritt immer die Frage auf: Was macht man mit den früheren Verurteilungen? Grundsätzlich ist es so, dass diese bestehen bleiben. Aber bei §175 hat man gesagt, dass er die gesamte Lebensführung der Menschen beeinflusst und beeinträchtigt hat. Man hat ihnen ihre Entfaltungsmöglichkeiten geraubt. Der Europäische Gerichtshof hat seit 1981 immer wieder entschieden, dass es gegen die Menschenrechtskonventionen verstößt. Deshalb hat man gesagt, dass man diese früheren Urteile aufheben muss und zumindest für die Freiheitsstrafen eine symbolische Entschädigung zahlen muss. Aber die verkorksten Lebensläufe, die Chancen, die man diesen Menschen genommen hat, das wird nicht wiedergutgemacht. Kann man leider auch nicht. Ich hatte von 1985 bis 1992 eine Partnerschaft mit einem deutlich älteren Mann. Die war sehr schön. 1992 ist er plötzlich verstorben. Da dachte ich immer: Warum hatten wir nicht die Chance, uns als Jugendliche kennenzulernen? Jetzt bin ich seit 1992 mit meinem jetzigen Mann zusammen. Das ist alles sehr schön. Ich bin auch im Einklang mit meiner Familie. Wir sind praktisch eine Großfamilie. Jetzt denke ich, dass es eben so gelaufen ist. Es war Schicksal und es hat mich geprägt. Wenn ich das nicht alles so durchgemacht hätte, dann wäre ich heute ein ganz anderer Mensch. Es hat keinen Sinn darüber nachzudenken.“

Wie war das als Jugendlicher für Sie?  
„Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen. Bis sie verheiratet waren, konnten Jugendliche damals in den 50er Jahren gar keine sexuellen Erfahrungen machen. Mit 27 habe ich geheiratet und hatte bis dahin keine sexuellen Erfahrungen.“

Wie war es für Sie, als Bundesanwalt den Rechtsstaat zu vertreten, der Ihnen genau diese Freiheit genommen hat?
„Wenn man in einem Rechtsstaat die Meinung vertritt, die gegen die herrschende Meinung ist, dann kann man deshalb nicht entlassen werden. Ich habe meinen Dienstherren schon provoziert, aber ich wusste immer, dass mir letztlich nichts passieren kann. Erstmal muss man die Bestrafung aufheben, damit die Betroffenen sich auch zu Wort melden. Damit sie der Öffentlichkeit zeigen können, dass sie Menschen, wie du und ich sind. Dann kann man mit einer vernünftigen und stetigen Lobby-Arbeit, den Umschwung einer öffentlichen Meinung bewirken. Dafür haben wir 30 Jahre gebraucht. Es gab sehr viele Rückschläge und Enttäuschungen, aber wir haben uns immer wieder aufgerafft. Und am Ende hatten wir Erfolg.“

Wie war Ihr Outing damals? Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
„Die Bild-Zeitung hat damals gemeldet: „Bundesanwalt Manfred Bruns bekennt: Ich bin schwul“. Das ging dann durch die ganze Republik. Das war natürlich nicht so angenehm. Vor allem nicht für meine Familie. Das war immer das Schlimmste, dass die Familie mit betroffen war. Das ging dann aber auch vorüber.“

Sie sind da aber wirklich hart im Nehmen.
„Ja, mein Lebenslauf war schon sehr schwierig. Das galt ja für alle Homosexuellen. Dann wollte ich einfach etwas tun, damit sich was ändert. Das kann man nur auf diese Art und Weise“

Welches Gefühl war das nach jahrelangem Kampf, als im Sommer dann endlich die Ehe für alle beschlossen wurde?
„Das ist wie, wenn man jahrelang studiert hat und auf dieses Examen hingearbeitet hat. Dann lehnt man sich erschöpft zurück und denkt nur noch: Gott sei Dank. Jetzt hat man es endlich geschafft. Das ist wunderschön. 1989 haben wir erstmals gefordert die Ehe zu öffnen. Dänemark hat zu diesem Zeitpunkt als erstes Land die registrierte Partnerschaft eingeführt. Damals war es völlig unvorstellbar, dass wir das erreichen. Dass wir es dann trotzdem, in noch überschaubarer Zeit, erreicht haben, das ist wirklich toll. Vor allem, dass ich es selbst noch miterlebe.“

Hätten Sie sich das damals für sich selbst auch gewünscht?  
„Nein, weil es einfach nicht vorstellbar war. Heute gibt es schwule Ministerpräsidenten und Bürgermeister und keiner regt sich darüber auf. Das war damals einfach undenkbar. Man sieht es anhand der AfD. Man muss am Ball bleiben, damit sich die Zeit nicht auf einmal wieder zurück dreht. Deshalb braucht man eine Lobby-Arbeit, die stetig für die Minderheiten eintritt und sich zu Wort meldet.“

Möchten Sie unseren Lesern noch etwas sagen?
„Ja, man hat in der Bundesrepublik die Chance, das zu bewirken, was man erreichen will.“

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Manfred Bruns im Oktober 2017 geführt.

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