Im Interview Farid Müller
Ehe für Alle : „Das heißt jetzt aber nicht, dass wir keinen CSD mehr brauchen.“
Der Bundestag hat „Ja“ zur Ehe für alle gesagt. Am 30.06.17 sprach sich eine Mehrheit von 393 Abgeordneten für eine völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare aus. 226 stimmten mit „Nein“ und vier Parlamentarier enthielten sich. Jahrelang hat sich in diese Richtung nichts bewegt, doch plötzlich ging alles ganz schnell.
Farid Müller (Bündnis 90/Die Grünen Hamburg) ist Abgeordneter sowie Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion. Wir haben mit ihm über die Ehe für alle gesprochen.
Was war dein erster Gedanke, als du von dem Ergebnis der Abstimmung zur Ehe für alle gehört hast?
„Historisch.“
Wie hast Du dich gefühlt, nachdem du selbst so lange dafür gekämpft hast?
„Ich hatte ein Kribbeln im Bauch, weil ich an dem Thema schon so lange dran bin. Der erste Schritt in Deutschland war 1999 die „Hamburger Ehe“, aber uns war von Anfang an klar, wir wollen die „Ehe“ und nicht nur das Lebenspartnerschaftsgesetz. Verfassungsrechtlich wäre das damals zur Jahrtausendwende nicht möglich gewesen. Dass es jetzt auf einmal so schnell ging, war natürlich auch eine Überraschung, denn eigentlich haben wir damit gerechnet, dass wir es im Bundestagswahlkampf erkämpfen müssen. Deshalb haben wir Grüne bei auf unserem Bundesparteitag die Ehe für alle als Koalitionsbedingung formuliert. Dann sind FDP und SPD nachgezogen und dann stand die CDU/CSU alleine da. Die einzige Lösung für die Kanzlerin aus diesem Dilemma war die Abstimmung aus Gewissensgründen . Dann wird der Fraktionszwang aufgehoben. Das hätte man auch schon früher machen können, wenn man es gewollt hätte. Vielleicht brauchte es genau diesen Druck von uns Grünen, damit die Kanzlerin sich so entscheidet.“
Warum wurde deiner Meinung nach die Abstimmung darüber bisher immer verhindert?
„Weil die CDU/CSU es absolut nicht wollte. Natürlich gibt es da auch liberalere Abgeordnete. Es waren auch über 70 Abgeordnete der CDU/CSU die dafür gestimmt haben, aber die große Mehrheit eben nicht. Sie sind in dieser Frage immer noch sehr von den Kirchen dominiert. Auf der anderen Seite wussten sie, dass es irgendwann kommen wird, weil die gesellschaftliche Mehrheit damit kein Problem mehr hat.“
Was bedeutet die Ehe für alle nun für unsere Gesellschaft?
„Im Grunde sind wir Schwulen und Lesben jetzt endlich nicht mehr Bürger zweiter Klasse. Alle haben jetzt die gleichen Rechte. Es gab immer eine Sondersituation dieser Minderheit und das ist aufgrund dieser Abstimmung endlich mal vorbei. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es ist aber auch gut, dass wir nicht, wie in anderen Ländern einen Volksentscheid dazu benötigten. Wir haben auch keine Gegendemonstration erlebt wie z.B. in Frankreich oder Italien. Inzwischen ist es so Mainstream, dass ein ernsthafter Sturm dagegen ausblieb und es ist gut, dass sich die Gesellschaft bei dieser Frage nicht spaltet. Das heißt jetzt aber nicht, dass wir alle nach Hause gehen und keinen CSD mehr brauchen. Wir sind jetzt natürlich weiterhin gefragt. Wir müssen den Gedanken von Vielfalt möglichst früh in der Schule etablieren, denn Toleranz wird nun mal nicht angeboren. Das muss jede
Generation immer wieder neu erkämpfen. Auch mit den Zuwanderern der letzten Jahre müssen wir ins Gespräch gehen, denn sie erleben hier ja eine viel offenere Gesellschaft als in ihrem Herkunftsland. Und weil Gesetze nicht auch gleich gesellschaftliche Einstellungen ändern, müssen wir uns weiterhin um Homophobie kümmern. Immerhin sind wir in Hamburg mit der Polizei bezüglich Übergriffe auf Lesben und Schwule besser aufgestellt. Mit zwei hauptamtlichen Ansprechpartner/innen und einer Täterstatistik, die endlich mal greift. Es ist wichtig, dass wir den Opfern ein Zeichen geben, geht zur Polizei. Wenn die Fälle zur Anzeige gebracht werden, dann können wir auch was tun.“
Was möchtest du persönlich den Leuten sagen, die mit „Nein“ gestimmt haben?
„Ich würde sie zu unserer Hamburger Massentrauung einladen, die wir hoffentlich haben werden, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Dann können sie in die glücklichen Gesichter der Paare schauen und überdenken Ihr Nein vielleicht.“
Was denkst du über die Zukunft des Adoptionsrechts?
„Homosexuelle Paare haben jetzt beim Adoptieren von Kindern die gleichen Rechte, wie heterosexuelle Paare. Man muss aber auch dazu sagen, dass es schon immer mehr Adoptiveltern als Kinder gegeben hat. Die Konkurrenz wird mit der „Ehe für Alle“ also noch größer.“
Glaubst du, dass heterosexuelle Paare dann bei der Adoption bevorzugt werden?
„Das kann ich mir so erst einmal nicht vorstellen, weil die Kriterien zur Auswahl der Adoptiveltern ja schon ganz eigene sind. Es hängt eben nicht mit der sexuellen Orientierung zusammen. Es gibt aber natürlich Ermessensspielraum, aber ich würde jetzt nicht vorgreifen und sagen, dass es an dieser Stelle Diskriminierung geben wird.“
Wirst du nun selbst bald heiraten?
„Nein, ich habe noch keine Pläne. Aber ich werde auf jeden Fall bei einigen Hochzeiten dabei sein, bei denen ich die Paare schon länger kenne.“
Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Farid Müller im Juli 2017 geführt.