Im Interview Detlef Lehmann
Als schwuler Künstler stellt Detlef Lehmann (geb. 1955) in Zeichnungen und Dioramen Menschen und Milieus der Szene dar. Mit seinen Kunstwerken entstehen anschauungswerte Zeitzeugnisse schwulen Lebens der Geschichte und Gegenwart.
Detlef, Ende Mai bis Mitte September wird in über 50 Städten der CSD gefeiert. Glaubst du, dass die Party-People überhaupt noch wissen, warum wir jedes Jahr an die Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 erinnern und den Tag feiern?
Ich hoffe doch! Ansonsten arbeite ich daran mit meinen Bildern und meinen Dioramen, um das immer wieder ins Gedächtnis zurück zu holen. Ich glaube schon, dass besonders die jungen Menschen nicht mehr die Daten und Fakten kennen. Es gibt ja kaum noch Zeitzeugen. Ich gehöre noch zu der Generation, die Leute aus dieser Zeit kennen. Ich kannte sogar jemanden, der genau zu der Zeit in New York dabei war.
Du hast dich in mühevoller Kleinarbeit mit den Geburtsstunden des CSDs beschäftigt. Was genau machst du?
Ich fertige Schaukästen an, sogenannte Dioramen. Dafür benutze ich kleine Miniaturfiguren aus dem Modellbauhandel, die ich verändere und in eine Szenerie setze. Ich überlege mir vorher, was genau ich darstellen will. Dann bastele ich aus zwei oder drei Figuren eine ganz neue und lackiere diese um. Da entsteht z.B. aus einem Lokführer ein Lederkerl oder aus einer Frau auch eine Tunte. Da die Figürchen nur etwa 2 cm groß sind, arbeite ich mit Lupen und Pinzetten. Das ist mühsam für mich: durch eine unbekannte Ursache reißen seit 2007 bei mir die Sehnen in den Händen. Ich habe bereits die sechste OP hinter mir. Manchmal muss ich nach 20 Minuten Bastelarbeit eine längere Ruhepause einlegen, aber durch diese Tüftelei halte ich meine Hände beweglich. Diese kreative Arbeit ist für mich also auch eine medizinische Therapie.
Alle Achtung. Wie viele Dioramen gibt es?
Inzwischen ein Dutzend - sechs Boxen davon zeigen den „Christopher Street Day - Rund um die Welt!“ Es beginnt mit „Stonewall 1969 in NY“. Dann gibt es einen verbotenen „CSD in Moskau“, einen ebenfalls verbotenen auf dem Platz des himmlischen Friedens in „Peking“ und den inzwischen größten CSD in „San Francisco“. Außerdem gibt es den „Cologne Pride“, sowie den kleinen „Wupperpride in Wuppertal“ - natürlich mit Schwebebahn. (Weil mein Freund, mit dem ich nun seit fast 25 Jahren zusammen bin, im Vorstand des Wuppertaler CSDs ist.) Die sechs Boxen sind in den Regenbogenfarben gestaltet, mit typischer Szenerie aus den jeweiligen Städten.
Kann man die Boxen käuflich erwerben?
Den „Sechser-Pack“ nicht, die behalte ich für Ausstellungen. Die sollen auch ruhig um die Welt gehen, sofern ich in den nächsten Jahren die Möglichkeit dazu bekomme. Käuflich sind aber die Zeichnungen und Portraits, die ich anfertige. Das sind zum einen Zeichnungen nach schwarz/weiß Fotografien und teilweise Auftragsarbeiten, bei denen ich versuche, homoerotische Obsessionen in sichtbare Bilder mit qualitativem Anspruch umzuwandeln.
Der Stonewall Aufstand kam dadurch zustande, weil Lesben, Schwule und Transgender sich gemeinsam stark gemacht haben. Wie stark ist die Community heute?
Ich beobachte aus meiner Perspektive heraus, dass das, was die Community geschafft hat, nicht zum Stillstand kommen darf. Es ist kein Ruhekissen, auf dem man süß schlummern kann. In der Praxis besteht die Gefahr, dass vieles abbröckelt, und es zu Rückschritten kommt. Wir müssen versuchen, uns wieder zu outen. Wir müssen zeigen, dass wir Bestandteil der Stadt, der Länder und der Politik sind. Und man darf die heutige Community nicht mit der alten vergleichen. Wir hatten früher Augenkontakt, heute läuft das alles über irgendwelche Internetforen. Damit verschwinden wir in unserer Größe aus dem öffentlichen Blickfeld. Wir müssen wieder stärker sichtbar werden.
In vielen Ländern wird die inzwischen stark angewachsene LSBTI-Gemeinde immer noch diskriminiert, teilweise niedergeknüppelt.
Deswegen habe ich mich getraut, die Schaukästen zu Moskau und Peking als Aushängeschilder mit rein zu nehmen. Ich weiß um die politische Brisanz. Die Boxen sollen dafür stehen, dass man sich darüber Gedanken macht, wie die Leute dort mit ihrem Schwul sein umgehen müssen. Vor zwei Jahren in Essen erzählte mir ein Polizeiobermeister, der gerade aus Moskau kam, dass die Wirte die „Gay-friendly-Aufkleber“ und Fähnchen von ihren Türen entfernten, weil die russische Regierung anfing, kräftig dagegen zu arbeiten.
An was arbeitest du gerade?
An einer Box, die eine Event Location zeigt, die ich „Gay Park“ genannt habe. Die Szenerie in einer Berliner Straße zeigt neben einer bayrischen Trachtengruppe auch ein Fetischtreffen mit Bikern. Unter dem Diorama befinden sich zwei ausziehbare Schubladen, die zwei Darkrooms zeigen, wo es richtig zur Sache geht.
Apropos Berlin: Rund um den Nollendorfplatz kam es 2016 zu 3000 homophob begründeten Straftaten: Beleidigungen, Schlägereien, Raubüberfälle. Erleben wir ein Roll back?
Die Gewalt gegen uns scheint sich tatsächlich zu verschärfen: Angriffe und Beleidigungen durch Mitbürger unserer eigenen Städte wie auch durch Migranten. Viele Migranten sind einfach überfordert, weil sie mit Schwulen und Lesben nichts anfangen können, weil so etwas in ihren Ländern verpönt ist. Ich sehe das große Problem, dass es sicherlich eine Generation dauert, bis diese, welche sich hier in Deutschland eingliedern wollen, lernen, dass es eine verpflichtende Akzeptanz gegenüber Schwulen und Lesben gibt, auch wenn sie das aus arabischen und muslimischen Ländern nicht kennen. Ansonsten wird es keine vernünftige Möglichkeit zu einem friedlichen Miteinander geben. Da muss was geschehen, da ist Redebedarf. Und da ist auch die Community gefordert.
Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Detlef Lehmann im Juni 2017 geführt.