Mobbing im Job Die Lage im Job für LGBTI* hat sich verbessert, doch wirklich gut ist sie nach wie vor nicht - aber warum?
Europa ist im Juni mit der Europawahl ein Stück weit nach rechts gerückt – was das schlussendlich für LGBTI*-Rechte bedeutet, steht noch in den Sternen. Doch bereits zuvor belegten Studien (ILGA Europe / Europäische Grundwerteagentur), dass es nach wie vor massive Probleme bei der Akzeptanz von Homosexuellen gibt. Die jüngsten Daten der Umfrage „Out im Office?!“ zeigt nun auf, dass es auch im Berufsleben noch immer kriselt. Für die jüngste Erhebung wurden knapp 1.600 Personen befragt, das Durchschnittsalter lag bei 45 Jahren. Über 80 Prozent der Befragten waren homo- oder bisexuell. Der größte Anteil der Interviewten sind mit knapp 37 Prozent schwule Männer.
Die Fakten: Rund 38 Prozent der Homosexuellen sind gegenüber allen Kollegen geoutet, weitere rund 25 Prozent hingegen nur bei sehr wenigen oder keinem. Für Bisexuelle ist die Lage noch schwieriger. Probleme gibt es auch nach wie vor im Umgang mit den Kollegen: Fast die Hälfte der Homosexuellen (rund 43%) erleben so nach wie vor Tuscheln, Gerüchte und Lügen sowie ein unangenehmes Interesse am Privatleben. 40 Prozent muss sich übergriffige Fragen zur sexuellen Orientierung anhören. Da gibt es noch viel zu tun – wir fragten genauer nach bei Vorstand Albert Kehrer vom Verein PROUT AT WORK.
Die Studie „Out in Office“ zeigt auf, dass es in puncto Akzeptanz noch viel zu tun gibt. Wie bewerten Sie die Lage?
Die jüngsten Daten dieser Studien zeigen, dass wir in Deutschland noch lange nicht bei queerer Chancengleichheit am Arbeitsplatz angekommen sind. Wenn wir uns zum Beispiel die Studie „Out im Office?!“ von 2023 ansehen, sehen wir zwar, dass der Anteil der Befragten, der mit allen Kolleg_innen offen über die sexuelle beziehungsweise geschlechtliche Identität spricht, von 2017 bis 2023 kontinuierlich gestiegen ist, allerdings hat sich die Häufigkeit der berichteten Diskriminierungserfahrungen nur geringfügig verändert. Hinsichtlich Diskriminierung am Arbeitsplatz stehen wir alle in der Verantwortung, uns dagegen auszusprechen und Kolleg_innen auf diskriminierende Aussagen aufmerksam zu machen. Denn erst dann schaffen wir die Basis für ein Coming Out im Job.
Generell lässt sich auf lange Sicht festhalten, dass sich die Lage verbessert. Im Jahr 2017 waren nur 29 Prozent der Homosexuellen out gegenüber den Kollegen, 2023 stieg dieser Wert um mehr als acht Prozentpunkte an. Trotzdem die Frage: Geht das nicht irgendwie alles viel zu langsam?
Der Arbeitsplatz, egal ob in großen Konzernen oder mittelständischen Betrieben, ist ein eher starres Konstrukt. Dinge, die sich in bestimmten Teilen der Gesellschaft rasch entwickeln, müssten erst zu den Unternehmen vordringen – insbesondere, wenn sie sich abseits der Großstädte auf dem Land befinden; dort, wo die Sichtbarkeit queerer Menschen noch nicht so groß ist. Vor ein paar Jahren waren Unternehmen sehr still, wenn es um politische oder gesellschaftliche Debatten ging. Heute erwarten wir von Unternehmen, dass sie sich zu bestimmten Themen – zum Beispiel eben auch Diversity – positionieren und Flagge zeigen. Viele Unternehmen haben dies erkannt und setzen in ihrer Kommunikation klare Statements.
Dreiviertel der Befragten arbeiten als Angestellte, die Hälfte in Unternehmen mit 500 Mitarbeitern und mehr. Bei so großen Firmen müsste man eigentlich doch davon ausgehen, ein Thema wie Diversity dürfte kein großes Problem mehr sein, das Gegenteil ist aber wohl der Fall.
Die großen Konzerne haben in der Regel die Notwendigkeit erkannt und eigene Diversity-Abteilungen oder Manager_innen und auch entsprechende Ressourcen, um ihre Mitarbeiter_innen dahingehend zu schulen. Mittelständische Unternehmen treffen leider noch zu wenig Maßnahmen, um Vielfalt im Unternehmen zu fördern, obwohl sie sicherlich die größeren Schwierigkeiten haben, neue Talente zu finden und zu halten. In den kleinen Unternehmen, also den Familienunternehmen, hängt es sehr stark von der Unternehmenskultur ab. Entweder die Unternehmensleitung schenkt queeren Menschen Wertschätzung oder eben nicht. Entsprechend sind dann auch die Diskriminierungserfahrungen queerer Menschen am Arbeitsplatz.
Die Studie „Out in Office“ zeigt auf, dass es in puncto Akzeptanz noch viel zu tun gibt. Wie bewerten Sie die Lage?
Die jüngsten Daten dieser Studien zeigen, dass wir in Deutschland noch lange nicht bei queerer Chancengleichheit am Arbeitsplatz angekommen sind. Wenn wir uns zum Beispiel die Studie „Out im Office?!“ von 2023 ansehen, sehen wir zwar, dass der Anteil der Befragten, der mit allen Kolleg_innen offen über die sexuelle beziehungsweise geschlechtliche Identität spricht, von 2017 bis 2023 kontinuierlich gestiegen ist, allerdings hat sich die Häufigkeit der berichteten Diskriminierungserfahrungen nur geringfügig verändert. Hinsichtlich Diskriminierung am Arbeitsplatz stehen wir alle in der Verantwortung, uns dagegen auszusprechen und Kolleg_innen auf diskriminierende Aussagen aufmerksam zu machen. Denn erst dann schaffen wir die Basis für ein Coming Out im Job.
Generell lässt sich auf lange Sicht festhalten, dass sich die Lage verbessert. Im Jahr 2017 waren nur 29 Prozent der Homosexuellen out gegenüber den Kollegen, 2023 stieg dieser Wert um mehr als acht Prozentpunkte an. Trotzdem die Frage: Geht das nicht irgendwie alles viel zu langsam?
Der Arbeitsplatz, egal ob in großen Konzernen oder mittelständischen Betrieben, ist ein eher starres Konstrukt. Dinge, die sich in bestimmten Teilen der Gesellschaft rasch entwickeln, müssten erst zu den Unternehmen vordringen – insbesondere, wenn sie sich abseits der Großstädte auf dem Land befinden; dort, wo die Sichtbarkeit queerer Menschen noch nicht so groß ist. Vor ein paar Jahren waren Unternehmen sehr still, wenn es um politische oder gesellschaftliche Debatten ging. Heute erwarten wir von Unternehmen, dass sie sich zu bestimmten Themen – zum Beispiel eben auch Diversity – positionieren und Flagge zeigen. Viele Unternehmen haben dies erkannt und setzen in ihrer Kommunikation klare Statements.
Dreiviertel der Befragten arbeiten als Angestellte, die Hälfte in Unternehmen mit 500 Mitarbeitern und mehr. Bei so großen Firmen müsste man eigentlich doch davon ausgehen, ein Thema wie Diversity dürfte kein großes Problem mehr sein, das Gegenteil ist aber wohl der Fall.
Die großen Konzerne haben in der Regel die Notwendigkeit erkannt und eigene Diversity-Abteilungen oder Manager_innen und auch entsprechende Ressourcen, um ihre Mitarbeiter_innen dahingehend zu schulen. Mittelständische Unternehmen treffen leider noch zu wenig Maßnahmen, um Vielfalt im Unternehmen zu fördern, obwohl sie sicherlich die größeren Schwierigkeiten haben, neue Talente zu finden und zu halten. In den kleinen Unternehmen, also den Familienunternehmen, hängt es sehr stark von der Unternehmenskultur ab. Entweder die Unternehmensleitung schenkt queeren Menschen Wertschätzung oder eben nicht. Entsprechend sind dann auch die Diskriminierungserfahrungen queerer Menschen am Arbeitsplatz.
Wenn es um das Thema Out am Arbeitsplatz geht, gibt es gerade zwischen und Homo- und Bisexuellen sehr große Unterschiede. Bei Schwulen und Lesben sind ein Drittel (37,5%) bei allen Kollegen geoutet, bei Bisexuellen weniger als die Hälfte (16,1%). Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Bisexuelle Menschen sind nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in der gesamten Gesellschaft Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Sie erleben Ausgrenzung außerhalb der queeren Community aufgrund ihrer Nicht-Heterosexualität, aber auch innerhalb der Community – denn auch dort denken Menschen gerne in Schubladen. Oft wird bisexuellen Menschen ihr queer sein abgesprochen, wenn sie sich in einer von außen heterosexuell gelesenen Beziehung befinden. Einige bisexuelle Menschen sehen daher keine Dringlichkeit, sich am Arbeitsplatz zu outen.
Erstaunlich finde ich, dass es allen Gruppen in der Community offenbar leichter fällt, sich gegenüber dem Chef zu outen, hier sind die Zustimmungswerte deutlich höher. Allein bei den Schwulen und Lesben sind es fast die Hälfte (42,7%). Warum ist das so?
Sicherlich ist es erst mal verwunderlich, dass sich Arbeitnehmer_innen eher bei ihrem_ihrer Chef_in outen als bei den Kolleg_innen, da hier ja ein entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Auf der anderen Seite kann queeren Menschen ein Coming Out bei der Geschäftsführung auch viel Sicherheit geben – vor allem wenn ich weiß, dass meine Kolleg_innen ein Problem damit haben.
Die Angst vor dem Outing und die Folgen scheinen ja mit Blick auf die jüngsten Daten nicht immer ganz unbegründet. Mehr als jeder zehnte Homosexuelle fühlt sich bei Themen wie Urlaub, Beförderung oder Leistungsdruck schlechter behandelt. Am meisten hapert es mit 15 Prozent an der Wertschätzung gegenüber ihrer Person. Insgesamt erlebt jeder dritte LSB-Mensch eine Schlechterbehandlung. Gibt es für Sie Möglichkeiten, wie sich diese Lage verbessern lässt?
Auch wenn eine angestellte Person queer ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie keine Familienverpflichtungen hat. Sicherlich muss Menschen mit Kindern in Ferienzeiten Vorrang gegeben werden, aber dann eben allen Angestellten mit Kindern, egal ob hetero oder queer. Arbeitgeber_innen müssen dem Thema mehr Sichtbarkeit verleihen und ihre Mitarbeiter_innen für Queer Diversity sensibilisieren. Das kann zum Beispiel durch Schulungen, Aktionen zum Pride Month oder Social-Media-Kampagnen erfolgen. Und: Diskriminierung – egal in welcher Form – darf im Unternehmen nicht geduldet werden. Beschwerden oder Vorfälle müssen ernst genommen und gehört werden – denn nur dann können Unternehmen aktiv gegen Schlechterbehandlung und Diskriminierung vorgehen.
Das Thema Diskriminierung am Arbeitsplatz geht dabei noch viel tiefer und viele Schwule und Lesben erleben diverse Formen der Abgrenzung. Rund 40 Prozent erlebten eine unangenehme Neugier übers eigene Privatleben, übergriffige Fragen, Tuscheln, Gerüchte, Lügen bis hin zu sexuell unangenehmen Anspielungen. Andere wurden nicht mehr ernst genommen oder man machte sich über Gesten, Bewegungen oder die Stimme lustig. Jeder zweite beziehungsweite dritte Homosexuelle in Deutschland erlebt das am Arbeitsplatz. Was läuft hier schief?
Bei PROUT AT WORK muss ich mir immer wieder bewusstwerden, dass wir in einer Blase leben, denn es gibt Unternehmen, in denen das Thema Vielfalt – in welcher Form auch immer – noch nicht angekommen ist. Die Zahlen zeigen das deutlich. In manchen Unternehmen und Teams fehlt es an jeglicher Sensibilisierung und Sichtbarkeit queerer Themen am Arbeitsplatz. Gibt es im Team vermeintlich keine queeren Menschen, so wird queerer Vielfalt und Chancengleichheit auch kein Gewicht gegeben – denn Probleme oder Handlungsbedarf diesbezüglich bestehen ja scheinbar nicht. Wenn dann ein_e queere Mitarbeiter_in in den Betrieb kommt, wird die Grenze zwischen Neugier und Diskriminierung oftmals überschritten.
Gegen klare Diskriminierungserfahrungen von Kollegen lässt sich im Zweifelsfall vielleicht noch vorgehen, schwer wird es bei den eben geschilderten Erlebnissen. Beschwert sich ein Homosexueller über das Tuscheln oder Imitieren seiner Person, wird er sicherlich schnell als weinerlich, humorlos oder Schlimmeres abgestempelt. Was würden Sie homosexuellen Menschen raten, die sowas erleben?
Bei Diskriminierungserfahrungen kann ich Betroffenen empfehlen, sich zuerst an eine Vertrauensperson im Unternehmen zu wenden. Dies kann zum Beispiel eine Person im HR sein oder auch der_die Teamleiter_in. Wenn an dieser Stelle die Diskriminierungserfahrungen nicht ernst genommen werden, kann es hilfreich sein, sich an den Betriebsrat oder das queere Unternehmensnetzwerk zu wenden – sofern vorhanden. Ändert sich aber im Unternehmen nichts und wird der Leidensdruck immer größer, sollten Beschäftigte auch über einen Jobwechsel nachdenken.
Jeder fünfte Homosexuelle erlebt sogar offen und direkt Mobbing und Psychoterror. Warum wird hier nicht viel öfter Ihrer Meinung nach seitens der Chefetage eingegriffen?
Die Chefetage deutscher und internationaler Unternehmen besteht nach wie vor zum Großteil aus Menschen, die viele Privilegien genießen und nach meiner Erfahrung auch wenig Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Daher sind sich diese Person oft nicht bewusst – oder es fehlt an Einfühlungsvermögen – dass Diskriminierung im Unternehmen passiert und wie sehr die betroffenen Personen darunter leiden. Oft sind Chef_innen zu weit entfernt von tatsächlich stattfindender Diskriminierung im Arbeitsalltag. Hier liegt es in der Aufgabe der Team- und Abteilungsleiter_innen, Diskriminierungserfahrungen zu melden und nach oben zu tragen.
Klischeemäßig würde man sagen, je kleiner und je ländlicher die Betriebe, desto öfter kommt es noch zu Homophobie. Dazu wird Handwerksbetrieben, den „echten Männerjobs“, bis heute nachgesagt, besonders homophob zu sein. Wie sehr stimmen diese Klischees heute noch?
Gerade im handwerklichen oder Blue Collar Bereich ist das Diversity Management – wenn es denn im Betrieb existiert – oft nur wenig sichtbar. Es fehlt schlichtweg an Berührungspunkten im Arbeitsalltag. Deswegen freuen wir uns, dass manche Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, speziell auch die Mitarbeiter_innen in den Produktionsstätten schulen, um queere Themen auch dort zu platzieren und die Beschäftigten dafür zu sensibilisieren. Trotzdem würde ich nicht pauschal sagen, dass in Handwerksbetrieben mehr Queerfeindlichkeit existiert – auch wenn der Ton dort rauer sein mag. Vermutlich wird es immer Kolleg_innen geben – egal in welchem Unternehmen – für die Diversität im Unternehmen keinen hohen Stellenwert hat. Umso wichtiger ist es, dass die Geschäftsführung die Wichtigkeit von Vielfalt erkannt hat und sich dementsprechend intern sowie extern positioniert.
Wenn wir einmal aufs Thema Geld blicken, zeigen Gender Pay Gaps der letzten Jahre auf, dass gerade schwule Männer im Durchschnitt heute noch rund elf Prozent weniger verdienen als ihre heterosexuellen Kollegen in gleicher Position. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach dieses Problem lösen?
Die Gender Pay Gap ist ein strukturelles Problem, das insbesondere Frauen benachteiligt, aber eben auch auf queere Personen übertragbar ist. Hier gilt es, Gehälter klar und unabhängig von geschlechtlicher Identität oder sexueller Orientierung zu definieren und zu kommunizieren. Die Gender Pay Gap wird vermutlich auch die nächsten Jahre nicht komplett abgebaut werden können. Trotzdem ist sie Bestandteil diskriminierender Strukturen, mit denen Frauen und queere Menschen im Job zu kämpfen haben.
Diverse Untersuchungen der letzten Jahre haben immer wieder aufgezeigt, dass geoutete Mitarbeiter, die in ihrer Firma akzeptiert und angenommen werden, wesentlich mehr Leistung bringen und motivierter sind – ein Gewinn für jedes Unternehmen. Warum gibt es mit Blick auf die jüngsten Daten offenbar noch immer viele Firmenchefs, die das nicht verstanden haben?
Führungskräfte sollten sich darüber im Klaren sein, dass diverse Teams sogar nachweislich bessere Ergebnisse bringen als homogene Arbeitsgruppen. Es sollte natürlich keine Rolle spielen, welche sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität der_die Arbeitnehmer_in hat. Dennoch sollten Unternehmen darauf achten, ihre Teams diverser aufzustellen – und das geht über queere Vielfalt hinaus und betrifft alle Diversitätsdimensionen. Teams diverser aufzustellen ist ein Prozess, der vielen Führungskräften erst einmal Angst macht und vor Herausforderungen stellt. Denn Vorurteile sind fest verankert. Deshalb brauchen wir umso mehr Vorbilder und Out Executives, die zeigen, wie Vielfalt im Unternehmen gelebt werden kann.
Immer mehr Menschen definierten sich in den letzten Jahren als LGBTI*, besonders hoch sind diese Werte bei der jungen Generation Z mit 22 Prozent in Deutschland (Ipsos Studie). Langfristig könnte auf Firmen doch ein großes Problem zukommen, wenn diese junge Generation sich sehr genau aussucht, wo sie arbeiten will – und wo nicht aufgrund homophober Tendenzen.
Genau das ist der entscheidende Punkt. Unternehmen müssen sich als queerfreundlicher Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt positionieren, sonst wird es umso schwieriger für sie, neue Talente zu finden. Viele Unternehmen haben das schon erkannt und sprechen bei queeren Karrieremessen gezielt queere Studierende und junge Berufstätige an und sind dort zum Beispiel auch mit ihrem queeren Unternehmensnetzwerk präsent. Unternehmen sollten in ihrer internen sowie externen Kommunikation proaktiv auf queere Themen aufmerksam machen und so – neben gezielten Jobmessen oder Jobausschreibungen – das Thema in den Arbeitsalltag integrieren. Denn selbst die Darstellung von diversen Lebensrealitäten in der Bildsprache eines Unternehmens oder die Verwendung genderinklusiver Sprache führen dazu, dass junge und/oder queere Menschen dem Unternehmen positiver gegenüberstehen.
Auf der anderen Seite erleben wir jedes Jahr zur Pride-Saison, wie viele Unternehmen imageträchtig um Mitarbeiter aus der LGBTI*-Community buhlen, aber einige das wohl eher rein aus Imagegründen machen, weniger aus echter Überzeugung. Ist das ein Problem?
Das Thema Diversity ist in den letzten Jahren immer präsenter geworden – in der Gesellschaft aber auch am Arbeitsplatz. In Zeiten, in denen eine ausgewogene Work-Life-Balance und Sinnhaftigkeit im Job immer wichtiger werden, wollen Arbeitnehmer_innen ihre Identität am Arbeitsplatz nicht mehr verstecken. Diese Entwicklung haben die meisten Unternehmen erkannt. Allerdings ist es hier entscheidend, ob Unternehmen Diversity lediglich für Marketingzwecke nutzen, also zum Beispiel im Pride Month Produkte in Regenbogenfarben verkaufen, oder ob sie tatsächlich eine Diversity-Strategie im Unternehmen implementiert haben. Dazu gehören zum Beispiel Schulungen zu Diversity-Themen für alle Mitarbeiter_innen oder auch die Gründung eines queeren Netzwerks im Unternehmen. Bewerber_innen sollten also gezielt nach einer solchen Strategie im Unternehmen fragen, um den Stellenwert von Diversity einschätzen zu können.
Von Homosexuellen, die ungeoutet sind, hört man immer wieder auch das Argument, es ginge ja niemanden etwas an, was man sexuell tut, daher sei ein Outing am Arbeitsplatz unnötig, dies sei eben nur Privatsache. Was würden Sie hier erwidern?
Ein Coming Out am Arbeitsplatz ist viel mehr als das. Es geht zum Beispiel darum, in alltäglichen Situationen nicht lügen zu müssen, mit wem man das Wochenende oder den Urlaub verbracht hat. Müssen sich Arbeitnehmer_innen am Arbeitsplatz verstecken, wirkt sich das enorm negativ auf die eigene Psyche aus, aber letztlich auch auf die Produktivität und die Kreativität am Arbeitsplatz. Unternehmen müssen verstehen, dass nicht nur der_die Mitarbeiter_in profitiert, sondern auch der_die Arbeitgeber_in. Ein Coming Out ist keine reine Privatsache – die Auswirkungen sind viel weitreichender.
Was würden Sie sich von der Politik wünschen?
Ich wünsche mir von der Politik, dass queere Menschen gesehen und ihre Rechte gesichert werden. Denn nur, wenn die Politik entsprechende Maßnahmen für die Stärkung der Rechte queerer Menschen vorgibt, können wir queere Vielfalt auch am Arbeitsplatz leben. Dies erreichen wir nur, wenn in Deutschland demokratische und queerfreundliche Parteien regieren. Hier stehen wir alle in der Verantwortung, bei den kommenden Wahlen unser Kreuz an der richtigen Stelle zu setzen. Daneben hoffe ich, dass der bundesweite Aktionsplan „Queer leben“, an dem auch PROUT AT WORK aktiv mitarbeitet, zügig umgesetzt wird.
Der finale Blick in die Glaskugel: Wann ändert sich die Situation endlich umfassend?
Natürlich würde ich mir wünschen, dass es unsere Stiftung in zehn Jahren nicht mehr braucht, das halte ich aber für sehr unwahrscheinlich. Wir haben in den letzten zehn Jahren sehr viel erreicht. Allerdings bereiten mir der steigende Rechtsruck und die Queerfeindlichkeit in Deutschland Sorgen. Trotzdem werden wir uns weiterhin für queere Chancengleichheit am Arbeitsplatz stark machen. Der Rückhalt von der queeren Community und den Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, bestärkt uns dabei.
Was würden Sie gerne gerade auch jungen LGBTI*-Menschen mit auf den Weg geben, die Angst vor einem Outing im Job oder Probleme auf der Arbeit haben?
Jede Person soll selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für ein Coming Out am Arbeitsplatz ist. Trotzdem möchte ich jede ungeoutete, queere Person dazu ermutigen, sich am Arbeitsplatz zu outen, denn die Freiheit, man selbst sein zu können, ist unbezahlbar. Vertrau dich einer Person an und lass dich bei diesem Schritt unterstützen, denn du bist nicht allein.
Vielen Dank für das Gespräch.