Wer kann Kanzler? Welche Pläne im Bereich LGBTIQ+ haben die Grünen für die nächsten Jahre?
Robert Habeck (55) wurde mit großer Mehrheit von seiner Partei Bündnis 90 / Die Grünen zum Kanzlerkandidat gewählt. Die Grünen stehen seit vielen Jahren für LGBTIQ+-freundliche Politik, enttäuschten aber einige aus der Community auch, weil viele Projekte schlussendlich nicht umgesetzt wurden, allen voran die Änderung des Abstammungsgesetzes oder auch eine Grundgesetzänderung.
Der von Grünen initiierte Aktionsplan „Queer leben“ steckt momentan auf halber Strecke fest, die großen Finanzierungen waren ab 2025 eingeplant – werden die Grünen auch weiterhin Regierungspartei bleiben, erhoffen sich ihre queeren Anhänger, dass auch die liegengebliebenen politischen Projekte final umgesetzt werden. Doch welche Ziele hat die Partei genau?
Wie geht es mit der geplanten Grundgesetzänderung weiter?
Seit rund 30 Jahren wird um eine Ergänzung von Artikel 3.3 im Grundgesetz gerungen. Das Ziel ist dabei, die „sexuelle Identität“ als besonders schützenswerten Aspekt in den Gesetzestext mit aufzunehmen. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann von den Grünen, erklärte dazu gegenüber SCHWULISSIMO: „LSBTIQ* sind die letzte vom NS-Regime verfolgte Gruppe, die noch keinen expliziten Schutzstatus im Grundgesetz haben. In seiner jetzigen Fassung konnte dieser Artikel auch schlimme Menschenrechtsverletzungen an LSBTIQ* nicht verhindern. LSBTIQ* sollten daher explizit auch durch die Verfassung vor Diskriminierung geschützt sein.“ Von Seiten der Grünen wird dabei immer wieder auch betont, dass eine Grundgesetzergänzung wichtig sei, um bei künftigen, möglicherweise eher LGBTIQ+-feindlichen Mehrheiten im Bundestag die Rechte von Homosexuellen und queeren Menschen stärker abzusichern. Eine Änderung des Grundgesetzes ist nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit in Bundesrat und Bundestag möglich.
Wie wichtig ist die Sicherheit in Deutschland?
Es ist ein zentrales Anliegen, gerade auch innerhalb der LGBTIQ+-Community. Mit Blick auf die Kriminalstatistik zeigt sich dabei, dass die Fälle von gewalttätigen Angriffen auf queere und homosexuelle Personen immer weiter zunehmen, deutschlandweit war zuletzt ein Anstieg um 65 Prozent zu verzeichnen. Die Grünen betonen: „Damit alle Menschen am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben können, müssen sie sicher sein und sich auch sicher fühlen. Dafür stärken wir unsere Sicherheitsbehörden und investieren in Personal und moderne Ausstattung. Besonders wichtig ist der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität: Wir setzen ihr neue rechtliche Instrumente, starke Strafverfolgung und vor allem eine gut ausgestattete Polizei entgegen (…) Wir machen Europa zu einem starken und gemeinsamen Raum des Rechts. Dafür stärken wir die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) und die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) und harmonisieren Recht auf Basis hoher verfassungsrechtlicher Grundsätze.“
Nebst der physischen Hasskriminalität nimmt auch Hetze online immer mehr zu, besonders davon betroffen sind gerade junge queere Menschen in Deutschland. Die Grünen betonen dazu: „Meinungsfreiheit ist die Grundvoraussetzung einer freiheitlichen Demokratie. Ihre Grenzen findet sie, wenn Straftatbestände wie Beleidigung oder Volksverhetzung erfüllt sind. Solche Hassrede muss konsequent gelöscht und Accounts, die Hetze verbreiten, schneller gesperrt werden. Dafür sorgen wir mit einem digitalen Gewaltschutzgesetz und stärken die Rechte der Nutzer*innen. Die algorithmische Verstärkung von Hass und Hetze nehmen wir ins Visier. Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) und dem Digitale-Märkte-Gesetz (DMA) haben wir wichtige Grundsteine für ein demokratisches Netz gelegt. Wir treten für eine konsequente Umsetzung und – wo nötig – für Verbesserungen in Europa und Deutschland ein. Wir wollen, dass Straftaten auch im Netz beharrlich und rechtsstaatlich von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt werden.“
Zudem betont die Partei, dass sie Hasskriminalität „entschlossen bekämpfen“ will und dazu auch die Erfassung von queerfeindlichen Straftaten verbessern möchte. Mit Blick auf Extremismus in der Bundesrepublik hält die Partei zudem fest: „Die größte Gefahr geht aktuell laut Bundesamt für Verfassungsschutz vom Rechtsextremismus aus. Und der Islamismus ist eine sehr ernste Bedrohung. Mit frühzeitiger Prävention verhindern wir, dass Menschen in den Extremismus abrutschen – diese Arbeit wollen wir durch eine starke, dauerhafte Finanzierung sichern. Wir brauchen Programme wie ´Demokratie leben!´, die über Islamismus aufklären, Angebote für Aussteiger*innen aus der rechtsextremen Szene oder Deradikalisierungsprogramme für den Justizvollzug.“
![Der Kanzlerkandidat der Grünen: Robert Habeck @ IMAGO / Daniel Kubirski](/sites/default/files/styles/gallery_featured/public/2025-01/imago793692176-imago-daniel-kubirski.jpg?itok=RHSKhpFb)
Ein Blick auf die Diskriminierung gegen LGBTIQ+-Menschen, was ist zu tun?
Der Bundesvorstand der Grünen sagt dazu: „Wir gehen konsequent gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vor (…) Starke Institutionen und eine lebendige Zivilgesellschaft sind das Fundament unserer Demokratie. Deswegen wollen wir Programme wie ´Demokratie leben´ mit einem Demokratiefördergesetz absichern. Queere Menschen stellen wir rechtlich gleich und schaffen die verbliebenen Hürden für Regenbogenfamilien ab.“ Ein Aspekt dabei ist auch die Reform des Abstammungsgesetzes, sodass die nicht leibliche Mutter bei lesbischen Eltern von Geburt an des Kindes gleichgestellt ist. Darüber hinaus betont die Partei die Wichtigkeit von Vielfalt; Queerfeindlichkeit indes schwäche den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. „Damit Menschen, die zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt oder bei der Arbeit Diskriminierung erfahren, den Rechtsstaat auf ihrer Seite wissen, werden wir das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz reformieren, den Anwendungsbereich ausweiten und Schutzlücken schließen. Dazu gehört auch der Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen. Deutschland soll seinen Vorbehalt gegen die 5. Europäische Antidiskriminierungsrichtlinie aufgeben. Wir wollen, dass Beratungsstellen und Selbstorganisationen langfristig abgesichert und ausgebaut werden sowie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestärkt wird. Mit einem Nationalen Aktionsplan Antidiskriminierung wollen wir eine wirksame Antidiskriminierungspolitik umsetzen. Mit der Schaffung der Beauftragten für Antidiskriminierung, Queeres Leben, Antirassismus und Antiziganismus haben wir die politische Stärkung von Vielfalt noch stärker verankert. Wir wollen ihre und die Arbeit der weiteren Beauftragten für gesellschaftliche Vielfalt weiter stärken.“
Wie geht es mit dem Aktionsplan „Queer leben“ weiter?
Die Grünen betonen, dass alle in einer Gesellschaft frei und selbstbestimmt leben sollen, die Politik müsse dafür den Rahmen schaffen – was im Bereich LGBTI* noch nicht allumfassend erreicht ist. „Mit dem Aktionsplan ´Queer leben´ haben wir in der Bundesregierung einen Plan zur Stärkung von queerem Leben vorgelegt. Diesen wollen wir verstetigen. Zur weiteren Umsetzung wollen wir mit einem Bundesförderprogramm die nötigen Mittel bereitstellen. So stärken wir queere Beratungs- und Projektstrukturen.“ Ein wichtiger Aspekt im Aktionsplan ist dabei auch der Bereich Gesundheit: „Queere Menschen haben ein Recht auf gute und diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung. Deshalb soll es unter anderem einen Anspruch auf bei einer Transition notwendige medizinische Maßnahmen geben und die Kosten von den Krankenkassen übernommen sowie Beratungsangebote ausgebaut werden. Wir schließen die Gesetzeslücken, um nicht notwendige Operationen an intergeschlechtlichen Kindern zu verbieten. Zudem wollen wir das Unrecht gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Menschen, deren körperliche Unversehrtheit verletzt oder Ehen zwangsgeschieden wurden, endlich anerkennen.“ Ein weiterer Punkt ist das Verbot von Konversionstherapien, die bisher vor allem für Minderjährige in Deutschland verboten sind. Die Grünen möchten das Gesetz ändern und somit die „Lücken beim Verbot“ schließen.
Was ist zukünftig Familie – und wo bleiben queere Familienrechte?
In puncto Familie betonen die Grünen: „Wir ermöglichen den diskriminierungsfreien Zugang zu reproduktionsmedizinischen Leistungen für alle. Familie ist, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Das gilt auch für Regenbogenfamilien. Wir passen deshalb das Familienrecht an, beenden schnellstmöglich die Diskriminierung von Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht und berücksichtigen dabei die Elternschaft von trans*, inter* und nicht binären Menschen. Wir verbessern die rechtliche Situation von Familien mit mehr als zwei Eltern. Außerdem ermöglichen wir es Menschen, jenseits einer Ehe rechtlich verbindlich füreinander sorgen zu können. Wir werden zudem queeres Leben im Alter stärker in den Mittelpunkt rücken. So wollen wir die Bedürfnisse von älteren LSBTIQ*-Personen auch in der Altenhilfe und in der Pflege besser berücksichtigen, damit sie auch im Alter diskriminierungsfrei teilhaben können.“
Wie geht es mit der Migrationspolitik mit Blick auf queere Menschen weiter?
„Wir wollen eine gemeinsame europäische Migrationspolitik vorantreiben – mit einer fairen, verbindlichen und solidarischen Verteilung von Schutzsuchenden in Europa. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) setzen wir auf nationaler Ebene grund- und menschenrechtskonform um. Menschenrechte müssen überall in der EU eingehalten werden – auch an den Außengrenzen. Dafür setzen wir uns für ein effektives Menschenrechtsmonitoring und ein konsequentes Vorgehen gegen illegale Pushbacks ein. Die besonderen Bedürfnisse vulnerabler Gruppen wie Frauen, Kinder, queere Menschen oder Menschen mit Behinderung müssen im Asylverfahren berücksichtigt werden (…) Wir wollen, dass besonders gefährdete Gruppen Schutz finden, ohne lebensgefährliche Fluchtrouten wählen zu müssen. Dazu wollen wir humanitäre Aufnahme- und Resettlementprogramme unterstützen und sichere und geordnete Migrationswege ermöglichen. Dabei braucht es eine kooperative Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Städten und Gemeinden.“
Anmerkung der Redaktion: Die Informationen und Hintergründe stammen aus unserer Recherche sowie den zur Verfügung gestellten Informationen der Pressestelle der Grünen.
Wie CDU, SPD und Grüne zu den zentralen Vorhaben der Community stehen, präsentiert SCHWULISSIMO heute (Freitag, 7.Februar) ab 13 Uhr. Den Anfang machte Friedrich Merz (CDU), gefolgt von der SPD und dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz um 14 Uhr sowie den Grünen und ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck um 15 Uhr. Interviews und Berichte erscheinen in der Reihenfolge der aktuellen Prozentzahlen vom 21.01.2025, CDU/CSU 30%, SPD 16%, Grüne 14% (Quelle: Forsa)