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Ein Blick in die Glaskugel
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Ein Blick in die Glaskugel Hoffnung auf ein besseres Morgen oder Rückfall ins Mittelalter? Was erwartet LGBTI*-Menschen in den nächsten Jahrzehnten?

ms - 30.08.2024 - 16:00 Uhr

Wie sieht die Welt im Jahr 2100 aus? Untersuchungen der Vereinten Nationen zeigen, dass die deutsche Bevölkerung schrumpfen wird; die bevölkerungstechnisch größten Nationen werden jene sein, die Homosexualität kriminalisieren. Was bedeutet das für Schwule und Lesben? Und wie sieht es um unsere künftigen Rechte aus? Können wir selbst etwas tun? SCHWULLISSIMO fragte nach bei Zukunftsforscher Kai Gondlach.   

Es geschehen gerade so viele Dinge auf der Welt, Kriege, Unruhen, politische Extreme in beiden Richtungen. Wie schwer ist es da für einen Zukunftsforscher, einen realistischen Blick in die Zukunft zu werfen?

Ehrlich gesagt nicht schwerer oder einfacher als sonst. Wir sind ja nicht diejenigen, die Prognosen oder Prophezeiungen erarbeiten, sondern plausible Szenarien. Und wer das richtig macht, hat schon immer viele Unwägbarkeiten berücksichtigt. Der einzige analytische Unterschied ist, dass die Szenarien nun weiter auseinanderliegen. Praktisch ändert das nicht so viel – unsere Methoden sind zum Glück sehr robust.

Die jüngsten Studien zeigen auf, dass die Akzeptanz gegenüber der LGBTI*-Community in der Gesellschaft sinkt. Ein Phänomen in mehreren westlichen Ländern, auch in Deutschland. Wie bewerten Sie solche Entwicklungen? 

Diese Entwicklung beobachte ich zunehmend besorgt, leider überrascht sie mich aber nicht besonders. In Zeiten wirtschaftlicher Stabilität sind viele Menschen offener oder zumindest indifferent, ihnen ist es also grundsätzlich egal, wie andere Menschen ihr Leben verbringen. Nun haben wir seit Jahren eine eher unsichere Situation und auch die nahe Zukunft ist für viele Menschen ungewiss, das reduziert dann die Toleranz schnell auf das engste Umfeld, also die Familie und den Freundeskreis. Was dort nicht normal und akzeptiert ist, muss ja scheinbar falsch sein. Hinzu kommt das Erstarken populistischer Strömungen, die sowohl die Angst als auch tief verankerte Vorurteile der Menschen ausnutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben. Das ist aus einer progressiv-ethischen Perspektive natürlich total verwerflich, in der Denklogik vieler Menschen aber absolut naheliegend. Auf der Metaebene lässt sich neben der jahrhundertelangen Doppelmoral, die wir im „globalen Norden“ kultiviert haben, relativ unmittelbar erkennen, warum Menschen das machen: Weil es funktioniert. Und weil „unser“ Wertegerüst im „Westen“ eben nicht so stabil ist, wie viele eine Zeitlang dachten. 

Wir kennen aus der Geschichte grundsätzliche Pendelbewegungen, je extremer es gesellschaftlich in die eine Richtung ausschlägt, je extremer pendelt es in die andere Richtung zurück. Zuletzt hatte man den Eindruck, diese Entwicklungen nehmen weiter zu. Ist das korrekt?

Das hängt natürlich sehr stark vom jeweiligen politischen System ab; im US-amerikanischen Zweiparteiensystem muss das Pendel immer hin- und herschwingen. In Deutschland und vielen anderen demokratischen Staaten dominiert wiederum die Konsensdemokratie mit einer bunteren Parteienlandschaft. Ein anderes Pendel finde ich mindestens genauso spannend: Die Aktivität der Zivilgesellschaft im Zusammenhang mit (In-)Toleranz. Einerseits erstarken gerade polarisierende Parteien, andererseits gehen die Menschen wieder häufiger und in größerer Zahl auf die Straße, um der Intoleranz den Kampf anzusagen. Einerseits feiern menschenverachtende Influencer weltweit unglaubliche Follower-Zuwächse, andererseits gibt es immer mehr, weniger zentralisierte Accounts, die „good news“ verbreiten und für Offenheit und Zusammenhalt plädieren. Die EU befindet sich immer noch in einer Zerreißprobe und das wird auch das Leben in Deutschland prägen. Insgesamt mache ich mir für gemäßigte Demokratien relativ wenig Sorgen, aber viele Milliarden Menschen leben in weniger sicheren Staaten – und deren oft autokratische Regierungen haben durch die steigende weltwirtschaftliche Bedeutung auch mehr Einfluss auf unser Leben hier.

Würden Sie zustimmen, dass die LGBTI*-Community ihr Schicksal auch ein Stück weit selbst in der Hand hat? Und wenn dem so ist, was müssen wir tun?

Die Community ist ein herausragendes Beispiel dafür, dass sie ihr eigenes Schicksal ausschließlich allein zum Besseren wenden kann, und das hat sie ja auch bereits diverse Male unter Beweis gestellt. Doch sie braucht auch Mitstreiter:innen unter den Cis-Menschen, die sich in einem natürlichen Reflex auch heute noch in einigen Fällen ausgeschlossen fühlen – da fehlt einfach die Empathie. Doch warum gibt es ein Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – anstatt einfach eines für Menschen? Am Ende des Tages geht’s der Community ja auch nicht um Vorteile gegenüber anderen Menschen, sondern schlichte Gleichberechtigung und Würdigung, zum Teil Rehabilitierung. Ein simples Menschenrecht. Sich darauf immer wieder zu berufen und herauszustellen, dass niemand weniger Rechte hat, wenn die LGBTQIA*-Community rechtlich und gesellschaftlich gleichgestellt wird, wäre meine Taktik. Warum gibt es eigentlich noch keine Partei für sexuelle Toleranz? 

Innerhalb der LGBTI*-Community zeichnet sich teilweise eine gewisse Spaltung ab, gerade Homosexuelle werden mancherorts als die „alten weißen Dinosaurier“ dargestellt, die es zu überwinden gilt. Im Gegenzug gibt es auch Schwule und Lesben, die mit queeren Forderungen nichts mehr anfangen können. 

Diese Entwicklung sehe ich skeptisch, aber nachvollziehbar. Vielleicht geht aus einer möglichen Spaltung ja tatsächlich eine gestärkte Stellung der einzelnen Bewegungen hervor. Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist Pluralismus ja immer dann stark, wenn einzelne Strömungen ihre Interessen bestmöglich bündeln und anschließend an den richtigen Stellen kommunizieren können. Sollte es zur Trennung kommen, würde ich analog zu partnerschaftlichen Beziehungen aber dafür plädieren, nach außen die Vorteile für alle Beteiligten herauszustellen und die inneren Streitereien nicht zur zusätzlichen Angriffsfläche für die Kritiker:innen zu machen. 

Im Jahr 2100 sollen die zehn Staaten mit den meisten Einwohnern abgesehen von den USA allesamt Länder sein, die Homosexualität heute noch kriminalisieren, darunter China, Indien, Nigeria, Pakistan, Demokratische Republik Kongo oder auch Ägypten. Was könnte das für Homosexuelle bedeuten? 

Das ist natürlich desaströs. Aber nur, weil ein Trend in eine Richtung zeigt, heißt es nicht, dass es nicht auch einen Trendbruch geben kann. Gerade bei China und Indien bin ich sehr gespannt, weil ja auch der Anteil der gut gebildeten, kosmopolitischen Menschen mindestens proportional zur Gesamtbevölkerung wächst. Es gibt zwar kein Naturgesetz, das besagt, dass dies automatisch zu einer offeneren Gesellschaft sowie gerechteren Gesetzen und Normen führt, aber historisch betrachtet war es bislang oft so. Pragmatisch gesprochen muss sich jede Regierung überlegen, wie viel Nutzen sie durch diese oder jene Rahmengesetzgebung hat; und das ändert sich manchmal schneller als man gucken kann.

Die Anzahl der Menschen, die sich als LGBTI* definieren, hat sich mit jeder Generation nahezu verdoppelt. In der jungen Gen-Z definieren sich inzwischen rund 22 Prozent als LGBTI*. Sind wir LGBTI*-Menschen irgendwann in der Überzahl?

Das ist kein Ding der Unmöglichkeit, besonders wenn wir Asexualität oder Pansexualität explizit mit einbeziehen. Meine Hoffnung ist eigentlich, dass es in wenigen Jahren schlicht überhaupt keine Rolle mehr spielt, welche Geschlechtsmerkmale oder sexuelle Orientierung die Menschen haben. Der größte Erfolg der Community wäre, wenn sie sich selbst praktisch abschaffen würde. 

Einige Gender-Forscher gehen davon aus, dass sich die menschliche Sexualität in der Zukunft freier entwickeln wird, Definitionen wie Hetero- oder Homosexuell gehen immer mehr ineinander über.

Das kann ich sowohl aus wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Thema als auch privater Beobachtung bestätigen. Die offene Frage bleibt natürlich immer, ob das nun eine vorübergehende Tendenz ist oder eine unumkehrbare Entwicklung. Beides ist vorstellbar.

Es wäre ja in der Tat großartig, wenn die sexuelle Orientierung wie gerade erwähnt keine Rolle mehr spielen würde, doch die „schwule Sau“ hält sich ja leider seit Jahrzehnten auf den Schulhöfen. Wann werden wir an den Punkt kommen, wo Homosexualität vielleicht gar keine Rolle mehr spielt? 

Jede Antwort auf die Frage würde eine funktionierende Glaskugel voraussetzen. Diverse Szenarien sind denkbar. Doch gesellschaftlicher und kultureller Wandel braucht seine Zeit, daher gehe ich nicht davon aus, dass mein Sohn (1) in seiner Schulzeit eine komplett tolerante, weltoffene Welt antreffen wird. Aber vielleicht seine Kinder, sollte er eines Tages welche haben.

Drücken wir die Daumen! Ein weiteres wichtiges Thema für Homosexuelle sind Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Werden wir weltweit mehr oder weniger davon erleben?

Das ist ein heikles Thema. Selbst in Deutschland oder Großbritannien, die in vielen Fragen ja lange als Vorreiter galten, gab es hier kürzlich deutliche Rückschläge. Die Grundrechte an sich sind hier zwar stabil, aber die jeweilige Auslegung durch die Judikative und Exekutive, also vor allem Gerichte und Polizei, unterliegen letztlich auch dem gesellschaftlichen Pendel. Fragwürdig, ob das immer vereinbar mit dem Grundgesetz oder der Charta der Menschenrechte ist. Insofern braucht es nach wie vor – oder stärker denn je – eine aktive Zivilgesellschaft, die für ihre Rechte kämpft. Geschenkt wird uns und besonders marginalisierten Gruppen nichts, niemals.

Ein großes anderes Thema ist das Klima, 93 Prozent der jungen LGBTI*-Menschen (Studie Trevor Project) haben diesbezüglich Sorgen. Es sieht derzeit nicht danach aus, als würden wir die Problematik noch rechtzeitig in den Griff bekommen, oder?

Rückversicherer rechnen inzwischen mit einer globalen Erwärmung von 3°C, das 1,5°C-Ziel wurde inzwischen selbst vom Weltklimarat als unerreichbar gelabelt. Irgendwo dazwischen wird die Zukunft liegen und in ihr noch mehr Wetterextreme überall auf der Welt und ja, auch noch größere Fluchtbewegungen. Die Taktik der öffentlichen Verwaltung ist schon von Klimaschutz in Klimaanpassung umgeschwenkt, da kaum jemand daran glaubt, dass in hinreichend kurzer Zeit der Schwenk von fossilen zu regenerativen Energieträgern und Kraftstoffen gelingen kann; die alte Lobby ist einfach zu stark und die Organisationen dahinter sind natürlich am Selbsterhalt interessiert. Trinkwasser, aber auch Sand und andere wichtige Rohstoffe für eine technologisierte, globalisierte Weltwirtschaft, sind heute schon rar – für einige gibt es Ersatzmittel, für Wasser gibt es theoretisch tolle technologische Lösungen zur (Wieder-)Aufbereitung. Aber ich fürchte, an der Stelle braucht es noch einen großen Knall und eine neue internationale Harmonisierung nach den aktuellen Kriegen und Konflikten, damit die Entwicklung vorangeht und mit den Herausforderungen schritthalten kann. Besonders kritisch sehe ich an der Stelle die bereits heute vorhandene Wohlstandsschere überall auf der Welt und innerhalb der Staaten selbst. Niemand sollte Milliardär sein dürfen, denn das ist der größte Treiber für soziale Spaltung und auch den Klimawandel selbst. Aber das System wird sich nicht selbst abschaffen, daher braucht es eine aktivere Gesellschaft und gerechtere Politik.

Solche Krisen gehen oftmals mit einem Verlust von Menschenrechten einher, gerne werden dabei LGBTI*-Menschen auch zu Sündenböcken gemacht. Was können wir dagegen tun?

Der Klischee-Rüpel vom Schulhof sucht sich immer die schwächsten Opfer. So auch die Gesellschaft. Daher darf die „Minderheit“ nicht schwach aussehen, sondern muss stark und vereint ihre eigenen Interessen durchsetzen. Ich will hier nicht zum zivilen Ungehorsam oder Gewalt aufrufen, sondern dazu, Toleranz in allen Facetten und unermüdlich als Win-Win-Situation für alle herauszustellen. Darüber kann man nicht oft genug sprechen, bis es alle begriffen haben.

Damit sind wir schon beim Thema Bildung. Auch hier wird gerne immer wieder von „Indoktrination“ gesprochen, wenn es um LGBTI* im Schulunterricht geht.

Bildung könnte der Schlüssel für eine gerechte Zukunft sein, doch leider ist das Bildungssystem zumindest im Primärbereich viel zu starr und konservativ. Die angebliche Indoktrination ist ein gutes Beispiel für die Anfälligkeit vieler Menschen gegenüber populistischen, komplett sinnleeren und menschenfeindlichen Inhalten. Natürlich hängen viele Elemente im Bildungssystem auch an Menschen, die ihren Job nicht abgeben oder ändern möchten. Ich würde ja noch eher bei den Grundlagen anfangen, also frühkindliche Demokratiebildung: Die Menschenrechte müssen für alle selbstverständlich und tief verankert sein. 

In Ihrem Buch „KI Jetzt!“ beschäftigen Sie sich mit den Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz. Inzwischen kann allein mit Körperscans sehr sicher ermittelt werden, ob ein Mensch homosexuell ist. Das ist besonders gefährlich in allen Ländern, die Homosexualität kriminalisieren, oder?

Die Gefahren von KI liegen genau da, wo Einsatz und Kontrolle zu sehr zentralisiert sind. Es gibt eine Handvoll Konzerne, die den Weg prägen, und die meisten Staaten der Welt setzen im Sicherheitsbereich KI nach eigener Façon ein. Deshalb plädieren wir im Buch ja auch immer wieder dafür, dass alle Menschen ein Grundwissen in KI brauchen, um mitdiskutieren zu können und nicht wie am Beispiel KI-Grundrechtsrahmen (EU AI Act) auf die Zuschauertribüne verdammt zu werden, vor allem mangels Kompetenz und Transparenz. Damit ähnelt meine Antwort der vorherigen: Wir brauchen mehr Bildung für alle.

Ein großes Problem unter LGBTI*-Jugendlichen ist die Zukunftsangst, die immer weiter um sich greift. Was möchten Sie diesen jungen LGBTI*-Menschen sagen?

Wenn ich mich von der Angst leiten lasse, verfalle ich in eine ungesunde Starre. Außerdem finde ich für negative Zukunftsannahmen auch immer ausreichend Indizien, das führt schnell in einen Teufelskreis. Doch wir brauchen Gestalter:innen von lebenswerten Zukünften, die fest daran glauben und konkrete Roadmaps entwickeln, die auch Risiken eingehen, sich schlau organisieren und Bewegungen auf ein solides Fundament stellen. Zukunftsangst ist gleichzeitig ein Fakt und kann nicht wegdiskutiert werden durch rosige Erzählungen. Aber wenn es eine Region auf der Welt gibt, in der aus Ideen erst Bewegungen, später dann Gesetze und ein solider Zeitgeist erwachsen können, dann ist es Europa. 

Ihrer Einschätzung nach wird die Migration in Europa stark zunehmen. Homosexuelle sehen das mitunter skeptisch mit Blick auf die jüngsten Zahlen der Kriminalstatistik. Gerade junge Muslime haben oftmals wenig Verständnis für Homosexualität. Was müsste hier getan werden?

Integration, Integration, Integration. Und die darf nicht nur an die Behörden delegiert werden, das muss auch in der Nachbarschaft passieren. Natürlich gibt es religiös verankerte, leider sehr stabile Tendenzen gegenüber „unkonventionellen“ Lebensformen. Aber es gibt auch sehr viele Zugewanderte aus allen Winkeln der Welt, die eine wahnsinnig große Toleranz und Menschenliebe mitbringen und/oder sogar selbst in ihrer Heimat Betroffene waren. Insofern hilft hier vor allem der Dialog und auch die Kommunikation auf Social-Media, wo man sich ja schneller begegnet als in der Nachbarschaft.

Viele LGBTI*-Menschen zieht es berufsmäßig in die Bereiche Medien und Kultur, doch welche Jobs haben die besten Zukunftsaussichten? Sie sprechen von der Stärkung menschlicher Kernkompetenzen – was wären diese?

Zum Beispiel Kreativität, Empathie, Kommunikation, Resilienz, Problemlösungskompetenz. Es gibt wahnsinnig viele Formen von Intelligenz und vor allem die mathematisch-logische verliert gerade rapide an Bedeutung am Arbeitsmarkt. Um Jobs mit Zukunftsaussichten mache ich mir keine Sorgen; alles, was mit der Energiewende zu tun hat, ist eine sichere Bank. Umgekehrt werden diejenigen ihre Jobs verlieren, die nicht bereit sind, sich an den Wandel anzupassen, stetig dazuzulernen und anzuerkennen, dass gewisse Grundsätze von früher heute nicht mehr gelten.

Homosexuelle sind statistisch von HIV und STI bis heute besonders betroffen. Werden wir Pandemien wie HIV irgendwann ganz beenden können?

Grundsätzlich scheint es medizinisch in erreichbarer Nähe, genau dies zu tun. Fraglich ist, ob die gesamte Gesellschaft bereit ist, die Kosten für die Entwicklung und Verbreitung der Medikamente und Impfungen zu tragen. In den kommenden Jahren wird wohl eher ein Fokus auf Alterskrankheiten liegen, was dann leider erst einmal in Konkurrenz zu HIV und Co. steht. 

In den USA gibt es die Tradition von Zeitkapseln; Schüler notieren dabei auf Zettel, wie sie sich die Zukunft vorstellen. Heute wie damals träumen junge Menschen davon, dass die Menschheit durchs Weltall fliegt. Wo würden Sie uns als Gesellschaft in 50 Jahren sehen? 

Einige technologische Utopien werden auch bis dahin nicht erreicht sein, schlicht, weil Geld letzten Endes immer den Interessen der Menschen folgt. Ja, wir werden auf Mond und Mars Kolonien haben, ja, es wird Flugtaxis geben, ja, es wird einige Menschen geben, die einigermaßen gesund deutlich über 100 oder 125 Jahre alt werden können – aber das gilt alles nicht für die Mehrheit. Für die Mehrheit der Menschheit sieht die Realität in 50 Jahren vermutlich gar nicht so groß anders aus als heute, auch wenn ich es mir anders wünschen würde. Die Abschaffung von Lohnarbeit durch KI ist eine Mär, ebenso Killer-KI-Szenarien wie der Terminator. Natürlich verändert sich im Kleinen vieles, aber im Großen dann doch weniger als man denkt. Aber das kann ja auch eine wohltuende Botschaft in dynamischen Zeiten sein.

Herr Gondlach, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Kai Gondlach ist Inhaber des Leipziger Zukunftsinstituts PROFORE und zählt zu den bekanntesten Zukunftsforschern in Deutschland. Aufgewachsen im hohen Norden Deutschlands, wo sich Schaf und Scholle Gute Nacht sagen. Er studierte Soziologie sowie Politik- und Verwaltungswissenschaft und absolvierte den Masterstudiengang Zukunftsforschung. Heute konzipiert er wirkungsvolle Zukunftsstrategien für Unternehmen und öffentliche Institutionen. Seine Keynote-Vorträge werden jährlich von mehr als 10.000 Menschen besucht. Seit 2015 lebt er in Leipzig, das „bessere Hamburg“ mit besserem Wetter und Gastronomieangeboten. Sein alternativer Arbeitsort ist ein beliebiges Bahnabteil der Deutschen Bahn. Mehr unter: www.kaigondlach.de 

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