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Allys für die Community
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Allys für die Community Was macht einen guten Verbündeten aus? Und was müssen wir dafür tun?

ms - 07.03.2025 - 15:00 Uhr

Der bis zuletzt aufreibende Wahlkampf und die Bundestagswahl 2025 sind vorbei – und während einige jetzt mit Hoffnung auf die Regierungsbildung blicken, fragen sich andere ängstlich, was soll nun werden? Wie geht es mit Deutschland politisch und gesellschaftlich in den kommenden Jahren weiter? Gerade innerhalb der LGBTIQ+-Community ist diese Frage besonders stark ausgeprägt, denn noch ist vollkommen offen, wie das Leben von Homo- und Bisexuellen sowie queeren Menschen in der Bundesrepublik zukünftig wirklich aussehen wird. 

Besteht die Gefahr, sicher geglaubte Rechte wieder zu verlieren? Wie entwickelt sich die Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft gegenüber der Community weiter? Wird es tiefere Risse innerhalb unserer bunten Gemeinschaft geben, droht gar mancherorts der Bruch? Wird die Hasskriminalität gegenüber Schwulen, Lesben, Bisexuellen, trans* Menschen und queeren Personen weiter zunehmen? 

Hohe Bedrohungslage für die Community

Ähnlich schwierig gestaltet sich der Blick über den Tellerrand – es reicht dabei schon die Ist-Situation in der Europäischen Union. Die ILGA Europe kritisierte erst im Februar dieses Jahres die dramatisch schlechte Lage der Rechtsstaatlichkeit von LGBTIQ+ in neun Länder in Europa: Belgien, Bulgarien, Zypern, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien, Slowakei und Spanien. Die Kernaussage im Bericht gegenüber der EU-Kommission: „Nach einem Jahr mit Wahlen in der gesamten EU nehmen die Bedrohungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowohl in Europa als auch weltweit zu. Unser Beitrag zeigt deutlicher denn je den Zusammenhang zwischen diesen Bedrohungen und der Instrumentalisierung von LGBTIQ+-Personen.“ In diesem Zusammenhang warnt die ILGA: „Desinformation, Hassreden und diskriminierender politischer Diskurs haben in vielen Ländern stark zugenommen und wirken sich direkt auf das Leben von LGBTIQ+-Menschen aus. Gleichzeitig nehmen Gewalt und restriktive Gesetze gegen LGBTIQ+-Personen zu und untergraben die Rechtsstaatlichkeit.“ 

Immer mehr Regierungen schrecken dabei auch nicht mehr davor zurück, in ihrem Kampf gegen die Community von „queerer Propaganda“ zu sprechen. „Während in Ungarn das 2021 verabschiedete Anti-LGBTIQ+-Gesetz weiterhin umgesetzt wird, wurden in Bulgarien und Italien 2024 Anti-LGBTIQ+-Gesetze verabschiedet, in einer Region Spaniens wurde der Schutz für LGBTIQ+-Personen aufgehoben, und in Rumänien und der Slowakei wurden Anti-LGBTIQ+-Gesetze ins Parlament eingebracht. In allen Fällen sind diese Gesetze unvereinbar mit internationalen und europäischen Standards zum Schutz von LGBTIQ+-Personen vor Diskriminierung und zum Zugang von LGBTIQ+-Personen zur uneingeschränkten Wahrnehmung ihrer Rechte, und in einigen Fällen sind sie auch unvereinbar mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, wie etwa der Verfassung“, so die ILGA Europe. 

Vielerorts sei dabei auch kein Umdenken zu beobachten: In Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Polen würden so beispielsweise die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Gleichstellung von LGBTIQ+-Familien wie bereits in den Vorjahren immer noch nicht umgesetzt. Unzureichende Konsultationsverfahren für Gesetze, die sich auf queere und homo- sowie bisexuelle Personen und ihre Rechte auswirken, wurden außerdem aus der Slowakei, Rumänien, Ungarn und Zypern gemeldet; Finanzierungsbeschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen, die für die LGBTIQ+-Community arbeiten, wurden in der Slowakei, Spanien und Zypern dokumentiert und Probleme für queere Personen beim Zugang zur Justiz wurden in der Slowakei, Rumänien, Polen und Ungarn verzeichnet. Dazu komme, so die ILGA: „Die Unabhängigkeit der Medien gibt in Ungarn, Rumänien und der Slowakei nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis. Letztere hat im Juni 2024 ein Gesetz verabschiedet, das der Regierung deutlich mehr Kontrolle über den öffentlichen Rundfunk einräumt. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird durch restriktive Gesetze in Italien und der Slowakei zunehmend bedroht, was erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit von Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere von Basisorganisationen, haben wird.“

Welle des Hasses in Deutschland?

Gut klingt das alles nicht – und vor allem klingt es auch nicht mehr nach „weit weg“, wie wir uns das mancherorts vielleicht noch in der Vergangenheit einreden konnten. So offen wie es in Deutschland politisch und gesellschaftlich weitergeht, so wankelmütig und gefährdet ist auch die LGBTIQ+-Community in viel zu vielen Nachbarstaaten der Bundesrepublik. Mehr denn je braucht es in diesen Tagen Allys, also Menschen aus der heterosexuellen Gesellschaft, die der Community beistehen. Ein Blick in unsere eigene Geschichte zeigt, dass der Schulterschluss mit anderen marginalisierten Gruppen wie auch mit großen Teilen der Gesellschaft immer wieder funktioniert hat – unsere bisher erreichten Rechte wären ohne die Zusammenarbeit mit diversen Frauenvereinen und Menschenrechtsorganisationen so wohl nicht möglich gewesen. Mehr denn je gilt es heute nun, die Bande zu erneuern, die Freundschaft zu vertiefen, um sich gemeinsam gestärkt gegen all das wappnen zu können, was da vielleicht kommen mag. 

Während wir in Deutschland inzwischen mehr Menschen als jemals zuvor sind, die sich als LGBTIQ+ definieren – in der Summe rund zehn Millionen Bundesbürger (Ipsos Studie 2024) – zeigen gleich mehrere Umfragen (Ipsos, Gallup, PRRI) der letzten zwei Jahre ebenso eindrucksvoll auf, dass die Akzeptanz gegenüber Homosexuellen, Bisexuellen und queeren Personen schrittweise wieder zurückgeht, auch in Deutschland. Noch ist eine Mehrheit der Gesellschaft uns wohlgesonnen, doch die fallenden Zustimmungswerte sollten ein starkes Warnsignal sein, ein schriller Wecker, der uns dazu mahnt, jetzt aufzustehen, zusammenzustehen, füreinander und miteinander einzustehen. 

Das mentale Einhaken innerhalb der Community ist das eine, das Verbalisieren außerhalb das andere – wir sollten dabei die Scheu verlieren, um Hilfe zu bitten, um klar zu benennen, dass wir zwar viele sind, doch noch immer marginalisiert, dass wir zwar sichtbar sind, aber noch immer und immer stärker erneut angegriffen werden. Um die Unterstützung aus breiten Teilen der Gesellschaft zu erlangen, vielleicht auch stellenweise von neuem zurück zu erobern, bedarf es zuallererst Ehrlichkeit – auch uns selbst gegenüber. Alle Fragen sollten auf den Tisch kommen dürfen, denn nur so können wir darauf hoffen, den Rückhalt innerhalb der gesamten Gesellschaft erneut zu stärken. Es darf keine Sprech- und keine Frageverbote geben und vielleicht steht es uns gut an, mancherorts auch einzugestehen, dass wir Fehler gemacht haben, zum Beispiel, aber wahrscheinlich nicht nur, in der Kommunikation auf Augenhöhe – denn genau jene bedarf es dringend, um wirklich die Hand gereicht zu bekommen. 

Ein guter Ally – wie klappt das?

Auf der anderen Seite stehen wir oftmals auch vor Freunden oder Familienmitgliedern, die helfen wollen, die ein Ally sein möchten, aber gar nicht wissen, wie sie das anstellen können. Der Begriff des „Ally“ wird dabei selbst innerhalb der Community mitunter unterschiedlich definiert, lässt sich im Grundsatz aber auf eine heterosexuelle Person zurückführen, die LGBTIQ+-Menschen unterstützt und für sie eintritt. Dabei gibt es kein Patentrezept, wie man ein solcher Verbündeter sein kann, sehr wohl aber haben sich queere Verbände sowohl in Deutschland wie auch weltweit Gedanken darüber gemacht, was sie sich von einem Ally wünschen – im Kern ist es eine Mischung aus Bildung, Fürsprache, Handeln und dem Wunsch, aus Fehlern zu lernen. Ein erstes wichtiges Credo ist dabei laut den Fachleuten: Erkenne dein Privileg und nutze es für das Gute. Es ist schwierig, die Realität der Diskriminierung wirklich zu verstehen, wenn man sie nicht am eigenen Leib erfahren hat. 

Das klingt banal, ist es aber nicht – und scheitert oftmals schon innerhalb von kleinen heterosexuellen Gruppen, beispielsweise zwischen Mann und Frau. Männer tun sich mitunter schwer darin, nachzuvollziehen, wieviel mehr Gedanken sich Frauen machen müssen, nur weil sie abends auf der Straße unterwegs sind. Noch einmal ganz anders sieht die Lage aus, wenn man sich ernsthaft mit der Frage auseinander setzt, welche Gedanken, Bedenken und Ängste viele aus der Community haben, sobald sie ihre Wohnung oder ihr Haus verlassen – das fängt bei der Überlegung an, wie leicht sie aufgrund von Kleidung, Gestik oder Mimik als LGBTIQ+ zu erkennen sein könnten bis hin zur simplen Frage: Halte ich in der Öffentlichkeit die Hand meines Partners oder lieber doch nicht? 

Für viele heterosexuelle Personen kann demnach das Erkennen ihrer gesellschaftlichen Vorteile und Privilegien eine Herausforderung darstellen – wenn es trotzdem gelingt, erfolgt nicht selten ein echter Aha-Moment. Schärft sich hier der Blick, fällt vielen erstmals auf, wie privilegiert sie in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens sind, beispielsweise im Beruf. Die Frage „Wie war dein Wochenende? Was hast Du gemacht?“ ist für jeden vierten Schwulen (25%) und sogar jeden zweiten Bisexuellen (66%) bis heute eine Tortur, denn diese sind im Job nicht geoutet (Out in Office Studie 2024). Mehr als die Hälfte der Lesben und Schwulen (55%) erleben nur aufgrund ihrer Homosexualität Abwertung im Berufsleben, 40 Prozent werden sexuell belästigt, 23 Prozent beschimpft und beleidigt und mehr als jeder Zehnte von ihnen erlebt körperliche Gewalt. Je feinfühliger heterosexuelle Menschen diese Umstände erblicken können, desto leichter erkennen sie auch Alltagsdiskriminierungen gegenüber der ganzen Community. 

Ziel der Bewusstseinswerdung der eigenen heterosexuellen Privilegien soll allerdings nicht ein Schuldeingeständnis oder gar Scham oder Wut sein, sondern lediglich als Motivation dazu dienen, das vorherrschende System in der Gesellschaft zu erkennen und sich zu überlegen, wie man selbst damit umgeht und was man aus diesem eigenen Vorteil heraus damit anstellen kann, um anderen zu helfen. „Erkennen Sie an, dass Sie nicht für den Aufbau des Systems verantwortlich sind. Aber Sie sind dafür verantwortlich, was Sie mit diesem Wissen machen“, so die bekannte Therapeutin Amelia Yankey, Expertin im Bereich Traumata bei queeren Menschen. Wichtig für einen Ally ist auch die mentale Arbeit an sich selbst – zum einen gilt es dabei, sich wirklich ehrlich bewusst zu machen, dass Heterosexualität nicht die „eine wahre Norm“ ist. 

Zwölf Prozent der Menschen in Deutschland definieren sich als LGBTIQ+, in der jungen Generation Z sind es sogar 22 Prozent, mehr als jeder Fünfte. Es ist also gut möglich auch als heterosexueller Mensch, jeden Tag unbewusst und unerkannt auf Mitglieder unserer Community zu treffen. Das zweite Mindset betrifft zum anderen die eigenen Vorurteile – ab und zu ist hilfreich, sich genau damit zu konfrontieren und sich selbst zu befragen, woher diese kommen. Schwule Männer erleben bis heute beispielsweise noch immer viel zu oft den klassischen Satz von heterosexuellen Freunden nach einem Coming-Out: „Ich habe ja nichts gegen Schwule, solange sie mich in Ruhe lassen.“ Dahinter stecken zumeist Ängste und eigene Unsicherheiten ob der eigenen Männlichkeit oder auch eine homophob geprägte Erziehung in Kindertagen. Also, welche Vorurteile hast Du? Dabei gilt gleiches Recht für alle: Nicht nur Heteros, sondern auch wir dürfen uns diese Frage stellen und daran arbeiten: Welche Vorurteile haben wir gegenüber heterosexuellen Menschen? Am Ende führt beides zu mehr Respekt auf allen Seiten, eine echte Win-Win-Situation. Hat man sich dem gestellt, gelingt es auch wesentlich einfacher, Offenheit zu zeigen und zuzuhören – und beides ohne jedwede Vorbelastung zu tun.  

Die Geschichte von LGBTIQ+

Der nächste wichtige Schritt ist dann die Recherche, also die simple Tatsache, sich mehr Hintergrundwissen über das Thema LGBTIQ+ anzueignen, möglichst aber,  ohne Mitglieder der Community zu nötigen, erlebte Traumata noch einmal zu durchleben („Wie schlimm war dein Coming-Out wirklich?“). Natürlich sind Fragen jedweder Art erlaubt und oftmals auch gewünscht, aber gerade letzteres gilt es feinfühlig abzuklären, bevor man verbal ins Haus fällt. Dabei ist die Annährung im Sinne eines besseren Verständnisses keine Einbahnstraße, auch homosexuelle und queere Menschen sollten bereit sein, hinzuhören, mitzugehen und nicht sofort mental zurückzuweichen, falls man sich im ersten Moment überrumpelt oder falsch angesprochen fühlt. Es ist ein Geben und Nehmen, nur so kann es langfristig für beide Seiten funktionieren. Und ganz klar dürfen auch bei dieser Kommunikation viele Fehler gemacht werden – auch davon können beide Seiten lernen. 

Ein weiterer und sehr wesentlicher Aspekt mit Blick auf Allys für die Community ist es, in realen Situationen zu agieren – viele vermeintliche Unterstützer drücken gerne online und in den sozialen Medien mit Herzchen, Daumen hoch und Likes ihre Zustimmung aus, schweigen aber urplötzlich, wenn der Nachbar abfällige Schwulenwitze macht oder auf der Arbeit über die „dicke Lesbe“ hergezogen wird. Echter Einsatz in der Realität ist ungleich schwerer als in der digitalen Welt, gleichzeitig ist aber genau dies auch um ein Vielfaches wichtiger und das sowohl gegenüber fremden Menschen wie auch gegenüber Freunden, Familienmitgliedern oder Bekannten. 

Wichtig ist auch hier, nicht mit erhobenem Zeigefinger oder moralinsauer zu belehren – das stößt im Allgemeinen zumeist schnell auf Ablehnung –, sondern eine Basis auf Augenhöhe zu finden, von der aus man klar und sachlich darlegt, warum man den „Schwulenwitz“ nicht für richtig hält. Es bedarf keiner Predigt und keines großen Vortrages, es reicht eine sachliche Feststellung, gerne zum Beispiel eingebunden in eine Frage: „Wie würdest Du über einen Schwulenwitz reagieren, wenn dein Kind schwul wäre?“ Wichtig bei all dem ist es, das Gegenüber nicht in eine peinliche Situation zu versetzen, denn diese erzeugt verstärkt sehr gerne entweder Fluchtreaktionen oder einen Gegenangriff – beides ist für einen langfristigen Mehrwert der Situation schlecht. Sprichwörtlich geht es einfach nur darum, dem Gegenüber anzubieten, einen anderen, ihn fremden Blickwinkel einzunehmen, eben durch die „Augen eines Anderen“ zu blicken. Je nach Momentum kann es auch hilfreich sein, als heterosexueller Ally über seine LGBTIQ+-Freunde zu erzählen und aufzuzeigen, wie sehr verbale Erniedrigungen, Blicke und anderweitige Herabsetzungen alltäglich verletzen können. 

Verbundenheit mit der Community zeigen

Eine weitere Möglichkeit für Allys, aktiv zu werden, ist das Engagement in Gruppen, Organisationen oder auch beim CSD sowie bei Pride-Veranstaltungen. Gerade auch im Ländlichen oder in Kleinstädten können solche Hilfen einen entscheidenden Unterschied darstellen. Der beste Weg, um einen anderen Menschen zu ermutigen, ist immer noch, ein persönliches Gespräch zu beginnen. Daneben kann es vielerorts auch sehr hilfreich sein, wenn sich Menschen als Allys zu erkennen geben – es geht nicht darum, jeden Tag mit der Regenbogenfahne durch die Innenstadt zu laufen, aber wie wäre es mit einem kleinen Anstecker oder einem Armband bei der Arbeit? Oder einen Aufkleber auf dem Auto? 

Wer Lust hat: Inzwischen gibt es sogar eine eigene Straight Ally Flagge, die die Verbundenheit mit der Community zum Ausdruck bringen soll. Für LGBTIQ+-Menschen kann jedes noch so kleine Zeichen der freundlichen Hilfsbereitschaft einen immensen Unterschied machen, gerade auch dann, wenn bisher noch kein persönlicher Kontakt zustande gekommen ist.  Wenn Allys mit LGBTIQ+-Menschen unterwegs sind, ist laut den Experten noch ein anderer Aspekt wichtig, der oftmals gerne übersehen wird: Man sollte Betroffenen die Chance geben, auch für sich selbst sprechen und sich selbst verbal wehren zu können. Ein Ally darf immerzu gerne unterstützen oder seine Verbundenheit ausdrücken, kontraproduktiv ist es hingehen, vorauseilend die Führungsrolle zu übernehmen und damit unbewusst queere Personen zu durchwegs stets schutzbedürftigen Opfern herab zu degradieren. Das Credo lautet: Nutze deine Privilegien für die Gemeinschaft, nicht fürs eigene Ego – werde bitte nicht zum „Retter“. Der Weg zu mehr Gerechtigkeit und Akzeptanz sollte bestenfalls gemeinsam gegangen werden. 

Schwule, Lesben, Bisexuelle sowie queere Menschen müssen sich im Gegenzug eine wichtige Sache noch vor Augen halten: Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft wissen bis heute erschreckend wenig über unsere Community. Das ist weder falsch oder schlecht oder bösartig, sondern einfach Fakt. Im Gegenzug wissen wir oftmals nicht viel über die Sorgen, Nöte oder Lebensrealitäten heterosexueller Paare. Die meisten Menschen leben in ihrer eigenen Bubble, vom Schreinermeister bis zum Redakteur, vom Hotelfachmann bis zum LKW-Fahrer, von der Hausfrau bis zum Manager. Drum herum schwirren viele Halbwahrheiten, Mutmaßungen, Fake News und Vorurteile um jene selbstgewählten Blasen, die viele von uns als schützend empfinden und daher durchaus gerne bewohnt werden. Kurzum: Ein Mensch, der bereit ist, Neues zu entdecken, ist immer gut. Das gilt für uns genauso wie unser Gegenüber. Und nicht immer sind Bedenken, die LGBTIQ+ betreffen, wirklich auch direkte Angriffe, sie können auch einfach aus Angst und Unwissenheit heraus geboren worden sein – diesen begegnet man mit Ruhe und Argumenten, nicht mit verbalen Gegenattacken und einem beleidigten Rückzug. Heterosexuelle Menschen müssen nicht wissen, welche Meilensteine wir in den letzten fünfzig Jahren der Gay-Bewegung erlebt haben, sie müssen mit dem Begriff „Stonewall“ nicht zwangsläufig etwas verbinden oder Lieder von Abba singen können – auch wenn letzteres immer gut ist, versteht sich. 

Im Gespräch mit Freunden kann es immer wieder passieren, dass diese der Auffassung sind, dass in „Deutschland doch alles super ist für Schwule, Lesben und Queers“, denn „ihr habt doch alles, was ihr wollt und seid gleichberechtigt.“ Wer nicht in der Materie einer Problematik drinnen steckt, wie wir es aufgrund unserer puren Existenz zumeist tun, bekommt Informationen aus einer ihm fremden Welt, der queeren Community, oftmals nur durch die Medien mit – und die beschränken sich im Mainstream bis heute gerne auf einmal jährlich übertragene Bilder einer lustigen Pride-Parade mit den buntesten Kostümen. Immer wieder stehen heterosexuelle Menschen staunend vor ihren schwulen und lesbischen Freunden, wenn diese ihnen erzählen, dass Homosexualität beispielsweise in rund jedem dritten Land weltweit noch immer kriminalisiert wird – und es in über zehn Ländern noch immer die Todesstrafe auf gleichgeschlechtliche Handlungen gibt. Oder wie viele deiner heterosexuellen Freunde wissen, dass ab 2026 in Indonesien homosexueller Sex verboten sein wird, während sie vielleicht gerade dabei sind, ihren nächsten Bali-Urlaub zu planen? 

Wir wissen, was uns betrifft – alles andere müssen wir bewusst erst einmal mit einbeziehen und das setzt Motivation und Wille voraus. Und die Bereitschaft von uns, Rücksicht walten zu lassen, weil so vieles, was in unserer kleinen Welt selbstverständlich erscheint, es für viele andere Leben nicht ist. Wir als Mitglieder jener Community müssen uns dabei klarmachen: Es ist ein Vorteil für uns, wenn heterosexuelle Menschen unsere Allys sein wollen, wir haben in erster Linie einen Mehrwert davon, nicht sie – oftmals sogar im Gegenteil, denn auch Heterosexuelle können sich verstärkt angreifbar machen, wenn sie ihre Verbundenheit zur Community signalisieren. Wir sollten diesen Menschen also mit Dankbarkeit begegnen und uns nicht verhalten wie ein Türsteher, der sie gnädig in den coolsten Club der Stadt reinlässt. 

Ein Leben mit Vorurteilen

Damit Allys dann auch im Alltag „ihren Mann stehen“ und sich für die Community wirklich einsetzen können, ist es unabdingbar, über Vorurteile zu sprechen. Wie sonst sollen Allys Partei ergreifen, wenn wir sie verbal ins offene Messer laufen lassen? Wir haben viele der Vorurteile uns gegenüber schon hundert Mal gehört, von der Frühsexualisierung der Kinder bis zur Behauptung, alle schwulen Männer wären doch irgendwie pädophil oder der Annahme, dass das Reden oder Lesen über LGBTIQ+ automatisch die Sexualität oder Identität eines Heranwachsenden ändert. Wir haben uns unsere Homosexualität auch nicht ausgesucht und nein, wir können sie auch nicht hinweg beten oder durch anderweitige Konversionstherapien ändern. 

Wenn wir gute Allys wollen, müssen wir sie auch mit dem nötigen Rüstzeug ausstatten und sie an die gängigsten Attacken heranführen, mit denen viele von uns von Kindesbeinen an leben. Daneben sollten wir allerdings auch nicht vergessen, aufzuzeigen, dass das Leben als Schwuler, als Lesbe, als Bisexueller oder als queere Person sich trotzdem gut und richtig anfühlt – wir können glückliche und sehr schöne Leben führen und es lohnt sich, unsere Allys daran teilhaben zu lassen, zum einen, um zu zeigen, wie bunt, schön, lustig und lebenswert unsere Community ist, zum anderen, damit sie auch mal eine richtig coole Party erleben dürfen. Wenn Allys sehen, wie wertvoll unser Miteinander, unsere Gemeinschaft ist, wie viel darin geliebt und gelebt wird, desto bewusster und stärker setzen sie sich für uns ein. Desto deutlicher zeigt sich ihnen glasklar der simple Fakt, dass auch wir Menschen wie alle anderen sind – ausgestattet mit den gleichen universalen Grundrechten und einer menschlichen Würde, die wahrlich unantastbar ist und bleiben muss.

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