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Schwul, stylisch und multikulturell Es ist St. Georg

sr - 27.04.2012 - 07:00 Uhr

Der Hot Spot in Hamburg Stadtgebiet ist neben der Reeperbahn und dem Schanzenviertel die Lange Reihe im Stadtteil St. Georg. Ein Stadtteil im Herzen von Hamburg, der von der Einwohnerentwicklung mit Zuwachsquoten von bis zu 25% (im Zeitraum von 2002 bis 2006) auf einer Fläche von ca. 1,8 km² geradezu boomt. St. Georg unterliegt starken Veränderungen und wandelt sich von dem historischen Ort für das Unliebsame in Hamburg zu einem schönen Fleckchen Erde an der Alster mit unmittelbarer Citynähe. Doch nicht alles ist Gold was glänzt und so ist es auch in St. Georg. Es ist heutzutage ein Stadtviertel der Gegensätze. Die Lage an der Alster, die teuren Mietpreise pro Quadratmeter und die schönen Villen prägen das Stadtbild im Westen von St. Georg. Der Mittelpunkt des Stadtviertels und schwules Mekka ist die Lange Reihe, die mit Fachwerkhäusern, kleinen Geschäften, Restaurants und Bars einen ganz besonderen Charme hat. Doch ein anderes Bild zeigt sich weiter nord-östlich auf dem Steindamm in St. Georg. Döner-Schnellimbisse, Spielcasinos, 1-Euro-Schnäppchen-Läden und Sexshops dominieren das Stadtbild hier. Schwulissimo schaut zurück in die Geschichte von St. Georg und berichtet euch, wie sich der Stadtteil entwickelt hat und wo heute die Brennpunkte liegen.

Die historische Entwicklung von St. Georg ist wirklich interessant und Spuren der Zeit sind auch heute noch im Stadtbild zu entdecken. Geographisch wird St. Georg in Hamburgs Mitte westlich durch die Außenalster begrenzt. Südlich gibt es einige Übergänge zum Münzviertel, aber ansonsten eine klare Begrenzung durch Gleisanlagen des Hauptbahnhofes. Im Westen sind es ebenfalls Gleise im Gebiet des alten Hamburger Wallrings, die St. Georg zum Stadtteil Hamburg-Altstadt abgrenzt. Das älteste Krankenhaus Hamburgs, das AK St. Georg, stellt desgleichen in nord-östlicher Richtung die Abgrenzung des Stadtteils dar. Neben dem allseits bekannten St. Pauli, verdankt nur noch der Stadtteil St. Georg in Hamburg seinen Namen einem Heiligen: Der Heilige Georg, dem Schutzpatron der Kreuzfahrer sowie der Leprakranken und Siechen. Aber der Stadtteil war nicht immer das, was er heute (zu Teilen) ist oder zu sein scheint. Früher war St. Georg aufgrund der Nutzung einfach nur nett oder wie wir wissen, eher die kleine Schwester von Scheiße. Denn schon im 13. Jahrhundert ebnete sich ein Ruf des Unliebsamen in St. Georg: Die Hamburger entledigten sich dort von ihrem Unrat und störende Gewerbe wurden damals hinter den Stadtwall nach St. Georg abgeschoben. Im 16. Jahrhundert wurde sogar ein Pest- und Armenfriedhof angelegt sowie der Hamburger Galgen errichtet.

Ein Fleckchen Erde, dem keiner zu nahe kommen wollte. Zum Ende des 17. Jahrhundert fand eine Veränderung in der Nutzung des Stadtteils statt und so veränderte sich auch der Ruf von St. Georg: Wohnraum und Platz wurden nämlich in innerhalb der Stadtmauer Hamburgs zu knapp, sodass die Hamburger Bürger nach St. Georg aussiedelten oder sich dort ihre Sommerhäuser bauten. Ein stiller Zeuge dieser Zeit ist das Fachwerkhaus in der Langen Reihe Nr. 61. Nach dem Bau von Bastionen auf dem Gelände des späteren Krankenhauses St. Georg 1681 war St. Georg in das Stadtgebiet einbezogen worden. Im Jahr 1747 wurde in St. Georg die Heilige Dreieinigkeitskirche erbaut, was positive Auswirkungen auf die Bewohnerschaft und das Ansehen des Viertels hatte. Durch verstärkte Einwohnerzuwächse und enorme Bauaktivitäten (z.B. das Etagenhausviertel) wurde im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts der Hansaplatz zum Stadtviertelzentrum. Auch der Bau des Hauptbahnhofes Anno 1906 veränderte die Struktur und das Stadtbild deutlich. Neben vielen Hotels zog die Nähe zum Bahnhof auch unliebsame „Vergnügungsstätten und Prostituierte“ an. Um denselben Zeitraum herum wurden 1909 ebenfalls das Hotel Atlantic und 1910 der Reichshof fertig gestellt. Der Zwiespalt und die Gegensätze in St. Georg waren früh spürbar.

St. Georg ist ein besonders kultureller Stadtteil von Hamburg mit vielen Sehenswürdigkeiten. Neben der Heiligen Dreieinigkeitskirche wurde auch der Dom St. Marien im19. Jahrhundert erbaut. Aber auch diverse andere Bauwerke, Theater (Deutsches Schauspielhaus und das Hansa Variete Theater) und Museen (Hamburger Kunsthalle und Museum für Kunst und Gewerbe) locken viele Besucher nach St. Georg. Aber es war ein harter Kampf um St. Georg, den die Stadt Hamburg ausfechten musste. Denn St. Georg hatte und hat viele Probleme mit Drogen- und Menschenhandel. Gerade die Drogenszene um den Hansaplatz herum, ließ den Ruf des Stadtviertels ins Negative abrutschen. Wer konnte, mied dieses Gebiet, gerade wenn es Nacht wurde. Ende der 90iger Jahre ging die Stadt Hamburg massiv gegen das Problem an. Hinzu kam, dass der Mietspiegel enorm anstieg und viele Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden. Die sanierten Vor- und Nachkriegsbauten mussten teuren, modernen Wohn- und Büroanlagen weichen und wurden abgerissen. Das Stadtbild mit der multikulturellen und bunten Einwohnerstruktur verändert sich im Zuge der Gentrifizierung. Reich verdrängt Arm immer mehr. Der Stadtteil hat über 12.000 Einwohner und rund die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Die bis in die 90er-Jahre diversen kleinen Handwerks- und Gewerbebetriebe sind ebenfalls stückchenweise durch schicke Straßencafés und Boutiquen ersetzt worden. Aktuellstes Opfer dieser Veränderungen ist das „Kräuterhaus“, das seit mehr als 100 Jahren Kräuter und Gewürze verkauft hat. Ende Juni muss das Kräuterhaus schließen und auch nur, weil der alte Geschäftsführer die Option auf eine Mietverlängerung nicht in Erwägung gezogen hat. Ein neues Zuhause auf der Langen Reihe ist bei Mietpreisen bis zu 65 Euro pro Quadratmeter wohl für solche Traditionsgeschäfte unmöglich zu finden. Inhaberin Jessica Techen spricht ebenfalls von einer „Gentrifizierung vom Feinsten“. Aber nicht alle sehen die Veränderung negativ, denn es sei wohl nicht realistisch, dass die „Dorf-Atmosphäre“ auch in der Neuzeit in St. Georg zu bewahren ist. Die Anwohner sind sich trotzdem einig, dass der besondere Charme der Langen Reihe erhalten bleiben soll und nicht jede x-beliebige Ladenkette in den Stadtteil ziehen und die individuellen kleinen Geschäfte verdrängen soll.

Der Stadtteil verändert sich und entwickelt sich rasant, aber die Gegensätze bestehen weiterhin. Schick und schmuddelig. Arm und Reich. Schwul und streng religiös. St. Georg ist eben multikulturell (in gewissen Bereichen des Stadtteils) und das ruft immer auch verschiedene Lebensstile und Unterschiede hervor. Doch so einfach, wie manch oberster Vertreter der Stadt es meinen möchte, ist es nicht. Denn, ob Toleranz wirklich gelebt wird und das bunte Leben wirklich reibungslos in St. Georg stattfindet, sehen viele Bewohner anders oder differenzierter. Für Einige ist es noch immer nicht so, dass man überall seine Homosexualität offen zeigen darf. Eine imaginäre Grenze zwischen den Welten der Schwulen und der Moslems verläuft irgendwo zwischen der Langen Reihe und den Seitenstraßen des Steindamms. Vor wenigen Jahren berichtete die MOPO bereits über das Thema und zitierten einen interviewten Moslem mit den Worten, dass Schwule keine Menschen seien und er seinen Sohn erschießen würde, wenn er schwul sein sollte. Islamisches Recht und der Koran lassen sich für viele Muslime mit öffentlich ausgelebter Homosexualität noch immer schwer vereinbaren. Erschreckende Aussagen eines Multi-Kulti-Viertels, das auf den ersten Eindruck immer ganz anders wirkt. Auf der Ausgeh- und Flaniermeile – der Langen Reihe – mag der Anschein wirklich so sein, da hier internationale Restaurants sich die Türklinge in die Hand geben und friedlich nebeneinander existieren. Auch die Lokalitäten für Homosexuelle sind selbstverständliches Stadtbild in St. Georg geworden. Auf der schwulsten Straße Hamburgs hängen Regenbogen-Fahnen neben Kindergärten oder grünen Islamflaggen. 11 Moscheen auf einem Quadratkilometer und mehr als hundert Bars und Geschäfte für Schwule. Doch wohin geht die Reise für St. Georg? Sicherlich wird immer mehr dran gearbeitet, dass das Schmuddel-Image aufpoliert wird und die horrenden Mietpreise werden ihr Übriges tun. Kleine Tante Emma-Läden und Handwerkerbetriebe verschwinden, dafür kommen Straßencafés, wie die edle „Turnhalle,“ die hippe „Layback“-Bar, die imposante „Bar Hamburg“ und viele schicke Boutiquen in das Viertel. Die Entwicklung wird sich langsam weiter von Westen nach Osten schieben und wird über kurz oder lang auch die Straßen um den Steindamm verändern.

Für das schwule Publikum und die Anwohnerschaft wird sich sicherlich nicht viel verändern im Zuge dieser Wandlung des Stadtviertels. Eher wird die Gemeinde noch größer werden und noch stärker Magnet für Homosexuelle in Hamburg sein. Von der Langen Reihe startet jedes Jahr die „Christopher Street Parade“. St. Georg hat eben seinen ganz eigenen Flair und die Atmosphäre wird bestimmt durch die Anwohner und die Lokalitäten. Das „Kyti Voo“ ist der „Laufsteg der Schwulen-Szene“. Sehen und gesehen werden. Das Leben findet bei schönem Wetter – in Hamburg gibt es ja kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung – auf der Straße statt. Man geht an der Alster spazieren, grillt auf den zahlreichen grünen Wiesen mit Freunden oder beobachtet das Treiben in den kleinen Cafes und Bars. Das schwule Wohnzimmer ist ein wahres Überbleibsel aus der Vor- und Nachkriegszeit: Die „M+V Bar“ gehörte in den 30iger Jahren zur M+V Großdestillation, die in ganz Hamburg Lokalitäten mit selbstgemachten Spirituosen versorgte. Den Charme aus dem Jahre 1953 findest du Dank der Original-Einrichtung der letzten M+V Gaststätte noch heute. Was nach einer Monokultur auf der Langen Reihe klingt, ist jedoch sehr gemischt: Schwule und heterosexuelles Publikum mischt sich fröhlich durcheinander, ohne dass einem der Eindruck von Grüppchenbildung kommen würde.

St. Georg verändert sich. Einigen wird’s gefallen, Einigen nicht. Aber am wichtigsten ist, dass die Bewohner des Stadtteils friedlich zusammen leben und das Multi-Kulti-Viertel weiterhin bestehen kann.

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