Wer kann Kanzler? Welche Pläne im Bereich LGBTIQ+ hat die CDU für die nächsten Jahre?
Der Kanzlerkandidat der CDU/CDU, Friedrich Merz (69), wird bis heute in der LGBTIQ+-Community teilweise skeptisch begutachtet – einst ein Gegner der Ehe für alle fiel er in der Vergangenheit mehrfach mit Aussagen auf, die viele Homosexuelle nur schwer verdauen konnten. Die spannende Frage ist: Wie tickt Friedrich Merz heute? SCHWULISSIMO wollte es genau wissen und fragte nach. Erstmals gab der CDU-Politiker einem LGBTIQ+-Medium ein ausführliches Interview, welches wir Mitte Januar geführt haben.
Herr Merz, im Zuge des Wahlkampfes werden Sie mit Ihren früheren Aussagen konfrontiert. 2023 haben Sie beim 25-jährigen Jubiläum der schwul-lesbischen Vereinigung der CDU, der LSU, Fehler eingestanden, auch jenen, als Sie 2020 in einer Talkshow Homosexualität in die Nähe von Pädophilie gerückt haben. Jenseits der Bedenken Ihrer Person gegenüber daher die Frage: Wie stehen Sie, Friedrich Merz, im Jahr 2025 zu Homosexuellen in Deutschland? Und wie bewerten Sie die Wichtigkeit von Akzeptanz in der Gesellschaft und gesetzliche Gleichberechtigung?
Wir alle haben dazugelernt. Die CDU bekennt sich zu einer offenen und vielfältigen Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Viele Nachteile und Diskriminierungen von Homosexuellen konnten zum Glück in den letzten Jahren abgebaut werden. Und es ist gut, dass schwule oder lesbische Paare Kinder adoptieren dürfen – denn die Zuwendung, die Kinder brauchen, hängt nicht davon ab, ob die Eltern homo- oder heterosexuell sind. Für die Anerkennung der Lesben und Schwulen in der CDU als Sonderorganisation habe ich mich seit Jahren eingesetzt, im September 2022 wurde dieser Vorschlag auf unserem Parteitag mit großer Mehrheit angenommen. Das hat mich gefreut, es war ein wichtiges Signal. Schwule und Lesben sind damit in der Mitte der CDU angekommen. Die CDU ist eine Volkspartei, in der sich jeder Einzelne wiederfinden soll. Diese Sichtweise resultiert aus unserem christlichen Menschenbild, wonach jeder Mensch einzigartig und unverfügbar ist. Jedem ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, das ist unser Ziel.
Im Mai 2024 hat die CDU ihr neues Grundsatzprogramm vorgestellt, darin ein Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Ehe und für Gleichberechtigung. Beim letzten Grundsatzprogramm 2007 hatte die Partei die Ehe für alle noch abgelehnt. Trotzdem mag sich manch homosexueller Mensch vielleicht noch schwer mit der Union tun, die früher strikt gegen Rechte für Schwule und Lesben eintrat. Welche Schwerpunkte Ihrer künftigen Politik sind also heute für LGBTIQ+- Menschen von großer Bedeutung?
Die CDU setzt sich für die Rechte aller Menschen ein, unabhängig von ihrer sexuellen Identität oder Orientierung. Die Schwerpunkte der künftigen Politik der CDU, die besonders für Gleichgeschlechtliche von großer Bedeutung sind, umfassen die Bekämpfung von Diskriminierung, die Anerkennung von Vielfalt und die Unterstützung von Initiativen gegen Hasskriminalität sowie den Opferschutz. Wir wollen sicherstellen, dass alle Menschen in Deutschland in Freiheit und Sicherheit leben können. Jeder muss sich im Alltag, auf dem Weg zur Arbeit und in seiner Freizeit, ohne Angst frei bewegen können. So fordern wir unter anderem den Ausbau des Videoschutzes an öffentlichen Gefahrenorten und Systeme zur automatisierten Gesichtserkennung an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Kriminalitätsschwerpunkten zur Identifizierung schwerer Straftäter.
Die Union hat erklärt, dass sie das Selbstbestimmungsgesetz in einer künftigen Regierung nicht mittragen wird. Wollen Sie und die CDU das SBGG ändern oder gar rückabwickeln?
Das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel lehnen wir ab. Wir haben Respekt vor den Anliegen von Personen, die unter ihrer biologischen Geschlechtszuordnung leiden. Gleichzeitig wollen wir das Verfahren des Geschlechtswechsels wieder so gestalten, dass es keine Beliebigkeit zulässt und der rechtlichen Bedeutung des Geschlechts wieder Rechnung trägt. Mögliche vorschnelle und letztlich nicht tragfähige Entscheidungen mit ihren oft weit reichenden Folgen sollen vermieden werden. Deshalb wollen wir für Erwachsene die Pflicht zu einer psychologischen ärztlichen Beratung vor einem Personenstandswechsel einführen. Für Minderjährige soll in jedem Fall ein bestätigendes fachärztliches Gutachten erforderlich sein und eine gerichtliche Ersetzung der elterlichen Zustimmung wie in anderen Fällen nur möglich sein, wenn der Nachweis einer Kindeswohlgefährdung erbracht werden konnte. Eine Anhörung des Kindes muss gewährleistet sein. Operative Maßnahmen zur Angleichung beim Wechsel des Geschlechts lehnen wir bis zur Volljährigkeit grundsätzlich ab. Nachfolgende Wechsel „zurück“ in das ursprüngliche Geschlecht wollen wir auch bereits vor Ablauf eines Jahres ermöglichen, weitere Wechsel jedoch grundsätzlich ausschließen.
Ein anderes Projekt, das vor allem lesbische Frauen betrifft, ist eine Reform des Abstammungsgesetzes, sodass die nicht leibliche Partnerin von der Geburt des gemeinsamen Kindes an ebenso als Mutter rechtlich anerkannt wird und die oftmals teure und langwierige Stiefkindadoption entfällt. Der ehemalige Justizminister Buschmann hat es 2024 bis zu einem ersten Gesetzentwurf gebracht, bevor die Ampel zerbrochen ist. Wie steht die CDU hier zu einer Reform?
Die Reform des Abstammungsrechts ist ein komplexes Thema, das einer gründlichen Diskussion bedarf. Wir erkennen die Notwendigkeit an, das Abstammungsrecht an die heutigen familiären Realitäten anzupassen. Artikel 6 GG schützt in besonderem Maße die Beziehung von Eltern und Kindern entsprechend ihrer biologischen Herkunft. Fallen biologische und rechtliche Elternschaft auseinander, so braucht es praktikable Regelungen. Einen Systemwechsel zur vertraglichen Elternschaftsvereinbarung lehnen wir jedoch ab. Wird ein Kind durch ärztlich assistierte anonyme Samenspende in eine Ehe geboren, so bedarf es keines vollumfänglichen Adoptionsverfahrens für die Ehefrau der Mutter. In anderen Fällen darf über die Rechte des biologischen Vaters nicht ohne seine Mitwirkung disponiert werden. Die Minderjährigenadoption wollen wir einfacher gestalten und primär an der glaubhaften Zuwendung der Adoptiveltern zum Kind ausrichten.
![Der Kanzerkandidat von CDU/CSU: Friedrich Merz @ IMAGO / Daniel Kubirski](/sites/default/files/styles/gallery_featured/public/2025-01/imago420009935-imago-daniel-kubirski.jpg?itok=DPeg5GZQ)
Seit rund 30 Jahren wird versucht, Homosexuelle durch eine Ergänzung des Artikel 3.3. im Grundgesetz als gesondert schützenswerte Gruppe von Menschen zusätzlich mit zu verankern. Wie in den Niederlanden sollte zunächst dabei die „sexuelle Orientierung“ aufgenommen werden, später die „sexuelle Identität“, mehrere Unionspolitiker bekundeten ihre Unterstützung. Wäre in einer neuen Regierung eine Grundgesetzänderung für Sie denkbar?
Eine Diskussion über eine Ergänzung des Grundgesetzes im Artikel 3 Absatz 3 für besonders vulnerable Gruppen und Merkmale, die in der Vergangenheit zu Verfolgung führten, ist richtig und wichtig. Allerdings wollen wir an unserer Überzeugung festhalten, dass der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung bereits rechtlich verwirklicht ist. Das Grundgesetz und das einfache Recht wie auch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbieten Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität bereits. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Schutz in den letzten Jahren auch konsequent ausgebaut. Für Verfassungsänderungen muss ein strenges Prüfraster zugrunde gelegt werden, nach dem zu fragen ist, ob ausreichende Gründe bestehen, den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes als „Herzkammer“ der Verfassung anzutasten. In diesem Fall ist der angestrebte Schutz durch Art. 3 Abs. 1 GG bereits gewährleistet. Eine ausdrückliche Nennung der sexuellen Orientierung halten wir deshalb für nicht erforderlich.
Die Ampel-Regierung hat über zwei Jahre an einem queeren Aktionsplan namens „Queer Leben“ gearbeitet. Die Idee dahinter war, die Akzeptanz für die Community in der Gesellschaft und gerade auch an Schulen zu fördern. Halten Sie das Konzept unter einer neuen Regierung für sinnvoll oder wie lässt sich Ihrer Meinung nach Mobbing und Hass an Schulen gegenüber jungen queeren Menschen wirkungsvoll(er) entgegentreten?
Als CDU erkennen wir die Bedeutung der Förderung von Akzeptanz und Gleichberechtigung für homo- und transsexuelle Menschen an. Wir setzen uns dafür ein, dass Mobbing und Hass an Schulen durch gezielte Bildungsprogramme und Sensibilisierungsmaßnahmen wirkungsvoll bekämpft werden. Dazu gehören Schulungen für Lehrkräfte, die Integration entsprechender Themen in den Lehrplan und die Förderung von Respekt und Toleranz im Schulalltag. Wir halten einen umfassenden Ansatz für notwendig, der sowohl präventive Maßnahmen als auch konkrete Unterstützung für betroffene Schüler und Schülerinnen umfasst. Nur so kann ein sicheres Umfeld für alle jungen Menschen geschaffen werden.
Eine reale und inzwischen große Bedrohung für viele ist die zunehmende Gewalt gegenüber LGBTIQ+-Menschen. Es gibt in einigen deutschen Großstädten wieder No-Go-Areas, gerade in den Abendstunden – teilweise wie in Berlin sind queere Menschen selbst im schwul-lesbischen Kiez nicht mehr sicher. Was würde eine neue Bundesregierung unter ihrer Führung unternehmen, um die Situation deutlich zu verbessern?
Die CDU setzt einen Schwerpunkt bei der inneren Sicherheit. Wir fordern den Ausbau des Videoschutzes an öffentlichen Gefahrenorten und wollen das Strafrecht verschärfen, um die Bevölkerung im Allgemeinen und vulnerable Menschen im Besonderen besser zu schützen. Wir finden uns nicht damit ab, dass homosexuelle Menschen beleidigt oder angegriffen werden. Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben und Transgendern muss deshalb im Rahmen von Programmen zur Gewaltprävention immer Thema sein. Auch die Ermittlungsbehörden sind für die Aufklärung und Bekämpfung von Hassdelikten zu sensibilisieren. Alle Formen der Hasskriminalität wie Homo- und Transphobie, Frauenfeindlichkeit und jedwede andere Diskriminierung werden bereits in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik erfasst. Um gegen Schwule, Lesben und Transgender gerichtete Hasskriminalität sichtbar zu machen und besser vorzugehen, wurde das Unterthemenfeld „Geschlecht/sexuelle Identität“ geschaffen.
Haben Sie im Freundeskreis selbst Homosexuelle und wie ist das Verhältnis zu Ihnen?
Ja, natürlich. Und mein Verhältnis zu ihnen ist genauso entspannt und innig wie das zu meinen heterosexuellen Freunden. Denn: Ich schätze und respektiere alle meine Freunde, unabhängig von ihrer sexuellen Identität oder Orientierung. Das ist überhaupt kein Thema.
Herr Merz, vielen Dank für das Interview.
Wie CDU, SPD und Grüne zu den zentralen Vorhaben der Community stehen, präsentiert SCHWULISSIMO heute (Freitag, 7.Februar) ab 13 Uhr. Den Anfang macht Friedrich Merz (CDU), gefolgt von der SPD und dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz um 14 Uhr sowie den Grünen und ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck um 15 Uhr. Interviews und Berichte erscheinen in der Reihenfolge der aktuellen Prozentzahlen vom 21.01.2025, CDU/CSU 30%, SPD 16%, Grüne 14% (Quelle: Forsa)