Wer kann Kanzler? Welche Pläne im Bereich LGBTIQ+ hat die SPD für die nächsten Jahre?
Olaf Scholz (66) kämpft dafür, auch über den Februar 2025 hinaus Bundeskanzler von Deutschland zu bleiben. Zusammen mit den Grünen und der FDP hat die SPD in den letzten drei Jahren viele Projekte für LGBTIQ+-Menschen angepackt, allerdings oftmals auch nicht final zu Ende bringen können wie beispielsweise die Reform des Abstammungsrechts. Ein großer Erfolg war die Abschaffung der Diskriminierung bei der Blutspende für homosexuelle Männer, federführend umgesetzt von SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Was darf die LGBTIQ+-Community von der SPD erwarten, wenn sie weiterhin Mitglied der Regierung sein sollte? So beantwortet die SPD unsere Fragen an Olaf Scholz.
Die Union hat angekündigt, das Selbstbestimmungsgesetz zurücknehmen zu wollen. Wie fest ist das Selbstbestimmungsgesetz für die SPD verankert?
Das Selbstbestimmungsgesetz gibt Menschen, deren Geschlechtsidentität von ihrer Eintragung abweicht, endlich die Möglichkeit, ihre Identität ohne entwürdigende Verfahren anerkennen zu lassen. Es mindert das Leid, das durch unnötige Hürden und Fremdbestimmung entsteht, und trägt dazu bei, dass sexuelle Identität nicht als Problem, sondern als natürlicher Teil des Lebens verstanden wird. Es ist beschämend und respektlos, wie Teile unserer politischen Konkurrenz mit diesem wichtigen Thema umgehen. Für die SPD ist dieses Gesetz ein wirklich bedeutender Fortschritt, der trans*, inter* und nicht-binären Personen mehr Selbstbestimmung ermöglicht. Unser Wahlprogramm sagt zur gestellten Frage alles, was man dazu sagen muss: Ein Zurück wird es mit uns nicht geben.
Es hat während der Ampel-Regierung einige wichtige Verbesserungen für LGBTIQ+-Menschen gegeben, aber der Aktionsplan „Queer Leben“ steht noch in der Schwebe. Bleiben die Projekte erhalten beziehungsweise werden verstetigt, wenn die SPD weiter die Regierung stellen sollte?
Wir sehen in anderen Ländern, dass einmal erreichte Fortschritte bei der Gleichstellung von LGBTI*-Menschen nicht garantiert werden können, wenn populistische Kräfte Oberhand gewinnen. Wir wissen, die Communitys sind sehr sensible Seismografen, die sehr früh Verschiebungen wahrnehmen. Und nicht nur die AfD ist eine Gefahr für unsere offene und tolerante wie vielfältige Gesellschaft. Wir sehen auch bei den Konservativen einen Trend zum Rollback. Das ist gefährlich. Die SPD will, dass man ohne Angst verschieden sein kann in unserem Land. Dafür ist die Fortführung des Aktionsplans extrem wichtig und jetzt in der Wahlauseinandersetzung ein politischer Lackmustest. Für uns ist „Queer Leben“ ein wichtiger Baustein, um Diskriminierung abzubauen und Akzeptanz zu fördern. Deshalb steht es auch so in unserem Programm.
Soziale Medien sind für die queere Community Fluch und Segen zugleich. Wie will die SPD in einer neuen Regierung mit Hass im Netz umgehen?
Die Idee der sozialen Medien ist großartig: Menschen können sich weltweit austauschen, diskutieren und verbinden. Viele nutzen sie genau dafür. Doch immer häufiger werden diese Plattformen von Hass und Hetze überschattet. Manche missbrauchen die Meinungsfreiheit, um anderen Schaden zuzufügen – das dürfen wir nicht hinnehmen. Mit Sorge beobachten wir alle, wie sich große Plattformen, etwa in den USA, von Moderation und Kontrolle verabschieden. In Europa haben wir mit dem Digital Services Act ein klares Gegenmodell geschaffen: Wer eine Plattform betreibt und damit Geld verdient, muss dafür sorgen, dass Hass, Hetze und gefährliche Falschmeldungen keinen Raum finden. In Deutschland unterstützt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz unsere Sicherheitsbehörden dabei, gegen diese Vergehen vorzugehen. Es ist wichtig, dass wir hier konsequent bleiben: für einen respektvollen Umgang und eine klare Linie gegen diejenigen, die unsere Gesellschaft vergiften wollen.
Die Hasskriminalität gegenüber LGBTIQ+-Menschen steigt seit Jahren an. Was kann hier effektiv getan werden, um Angriffe zu minimieren?
Die anfängliche Rede von Seismografen ist noch zu wenig. Viele queere Menschen erleben täglich am eigenen Leib, wie Hetze unsere Gesellschaft verändert – einige sogar durch körperliche Gewalt. Das darf nicht toleriert werden und wir wollen das ändern. Queer und offen zu leben, muss in Deutschland selbstverständlich sein. Die Bekämpfung von Hasskriminalität braucht Prävention, Aufklärung und eine konsequente Strafverfolgung. Wir setzen uns dafür ein, Schutzräume auszubauen und die Zusammenarbeit zwischen Polizei und queeren Organisationen zu stärken. Ebenso wichtig ist die Sensibilisierung von Behörden und Justiz, damit sie den besonderen Herausforderungen wirksam begegnen können.
Die Linksfraktion hat die Ampelregierung mehrfach kritisiert, dass sie zu wenig für Menschen mit wenig Einkommen getan hat. Viele queere Menschen sind armutsgefährdet und schlechter bezahlt. Was will die SPD dagegen tun?
Für uns als SPD ist es nicht hinnehmbar, dass Menschen in einem Land wie Deutschland in Armut leben müssen. Jede*r verdient die Chance auf ein würdevolles Leben. Deshalb setzen wir uns für eine stärkere Tarifbindung ein, damit mehr Menschen von fairen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen profitieren. Zusätzlich werden wir den Mindestlohn auf 15 Euro anheben, um Arbeit gerechter zu entlohnen. Gleichzeitig wollen wir mit Bildungs- und Weiterbildungsangeboten neue Perspektiven schaffen. Bezahlbarer Wohnraum ist ein Grundrecht. Daher werden wir den sozialen Wohnungsbau auf hohem Niveau weiter ausbauen und die Mietpreisbremse entfristen. Auch im Alter darf niemand in Armut leben. Mit einer stabilen Rente von mindestens 48 Prozent und der Grundrente stellen wir sicher, dass Menschen im Ruhestand abgesichert sind. Unser Ziel bleibt eine gerechte Gesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird.
Blicken wir auf unsere Gemeinschaft: Der Zusammenhalt innerhalb der LGBTIQ+-Community scheint in den letzten Monaten stellenweise zurückzugehen. Was möchte die SPD hier tun, um Spaltungen zu verhindern oder diesen entgegenzutreten?
Wir brauchen Netzwerke und Projekte, die Menschen zusammenbringen und Solidarität stärken. Es geht darum, Vielfalt als Stärke sichtbar zu machen und den Fokus auf das Gemeinsame zu legen. Nur so können wir Spaltungen überwinden und den Zusammenhalt sichern, der für die queere Community und unsere Gesellschaft so wichtig ist. Für uns ist klar: Zusammenhalt entsteht nicht von selbst, sondern braucht gezielte Unterstützung. Der Aktionsplan Queer Leben ist dabei ein entscheidender Ansatz, weil er Begegnungsräume und Austausch fördert.
Eine große Enttäuschung für die Community war der Fakt, dass die Reform des Abstammungsgesetzes final nicht umgesetzt wurde. Wie priorisieren Sie das für eine neue Legislaturperiode?
Es ist wichtig, dass alle Familien – unabhängig von ihrer Konstellation – rechtlich abgesichert sind und gleiche Anerkennung erfahren. Die Reform des Abstammungsrechts ist für uns ein wichtiges Anliegen. Es muss selbstverständlich sein, dass etwa bei zwei Müttern beide rechtlich als Eltern anerkannt werden, ohne Umwege oder zusätzliche Hürden. Wir möchten, dass diese Reform umgesetzt wird, damit alle Kinder in rechtlich abgesicherten und geschützten Familien aufwachsen können.
Die Ergänzung des Grundgesetzes um die sexuelle Identität ist gescheitert. Wie wichtig ist das Vorhaben für die SPD und wie realistisch wäre eine Umsetzung in naher Zukunft?
Für uns ist es ein wichtiges Signal, die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität ausdrücklich in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. Es geht darum, klarzumachen: Diskriminierung hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Dieser Schritt würde nicht nur rechtlichen Schutz bieten, sondern auch gesellschaftlich zeigen, dass Vielfalt zu unseren Grundwerten gehört. Wir wissen, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit eine Herausforderung ist, aber wir halten es für realistisch, dies in einer neuen Legislaturperiode erneut anzugehen. Mit einer klaren Haltung und gezielter Überzeugungsarbeit wollen wir dafür sorgen, dass dieser Schutz endlich explizit im Grundgesetz verankert wird. Es ist ein Anliegen, das die SPD entschieden weiterverfolgen wird.
Mit einem Blick auf die jüngste Kriminalstatistik zeigt sich, dass physische Gewalt gegen LGBTIQ+-Menschen zunimmt. Was möchte die SPD verstärkt für die Sicherheit vulnerabler Gruppen tun?
Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen – ganz gleich, wer sie ausübt und aus welchem Hintergrund sie entsteht. Jeder Mensch hat das Recht, ohne Angst vor Übergriffen zu leben. Für uns ist klar: Wo es nötig ist, muss es eine harte Kante geben. Gewalt gegen LGBTI*-Menschen darf nicht toleriert werden und muss konsequent geahndet werden. Gleichzeitig setzen wir auf Prävention und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es ist entscheidend, dass wir Werte wie Respekt und Akzeptanz fördern, sei es durch Bildung, Jugendarbeit oder gezielte Integrationsprogramme. Präventionsarbeit und klare Konsequenzen gehören unserer Meinung nach zusammen. Nur so können wir sicherstellen, dass alle Menschen in Deutschland sicher und frei leben können.
Wie steht die SPD zur Einführung einer altruistischen Leihmutterschaft in Deutschland für homosexuelle Paare?
Der Wunsch, eine Familie zu gründen, verdient Anerkennung und Respekt – völlig unabhängig von der sexuellen Orientierung. Innerhalb der SPD wird derzeit sorgfältig geprüft, ob und wie eine Legalisierung der altruistischen Leihmutterschaft möglich sein könnte. Ausgangspunkt ist dabei stets der Schutz der Frauen vor jeglicher Ausbeutung und das Kindeswohl, beides hat für uns höchste Priorität. Die SPD hält es für wichtig, diese komplexe Frage in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion zu klären und klare, verbindliche Regeln zu schaffen. Unser Ziel muss eine Lösung sein, die allen Beteiligten gerecht wird und langfristig Sicherheit bietet.
Vielen Dank für das Gespräch.
Wie CDU, SPD und Grüne zu den zentralen Vorhaben der Community stehen, präsentiert SCHWULISSIMO heute (Freitag, 7.Februar) ab 13 Uhr. Den Anfang machte Friedrich Merz (CDU), gefolgt von der SPD und dem amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz um 14 Uhr sowie den Grünen und ihrem Kanzlerkandidaten Robert Habeck um 15 Uhr. Interviews und Berichte erscheinen in der Reihenfolge der aktuellen Prozentzahlen vom 21.01.2025, CDU/CSU 30%, SPD 16%, Grüne 14% (Quelle: Forsa)