Ein digitales Jugendzentrum Ein neuer großer allumfassender Safe Space für die LGBTI*-Jugend - wie kann das gelingen?
Das Jugendnetzwerk Lambda will das erste digitale Jugendzentrum für junge LGBTI*-Menschen ins Leben rufen, gerade auch für jene auf dem Land, wo bis heute 30 Prozent von ihnen keine realen LGBTI*-Treffpunkte in ihrer Nähe haben. Aber wie konkret kann das funktionieren? SCHWULISSIMO fragte nach bei Nick Hampel von Lambda.
Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung?
Aktuell stecken wir mitten in der Planungsphase der App. Wir entwickeln sowohl die konkreten Funktionen als auch wichtige Prozesse im Hintergrund wie Jugendschutzmaßnahmen und Sicherheitskonzepte. Es ist der erste Versuch, ein queeres Jugendzentrum in den digitalen Raum zu übersetzen, entsprechend gibt es viele Themen, die wir bedenken und testen müssen. Das Ziel ist daher erst einmal eine Beta-Version zu entwickeln, die von queeren Jugendlichen auf Herz und Nieren getestet wird. Erst wenn wir der Meinung sind, dass lambda space queeren Jugendlichen einen digitalen Raum bieten kann, in dem sie sich sicher und verstanden fühlen, wird die App für alle zugänglich sein. Das Projekt ist natürlich nicht gerade günstig. Daher hängt der genaue Zeitplan auch von den Fördergeldern und Spenden ab, die wir zur Umsetzung erhalten.
Wie sieht eurer Erfahrung nach die Lage derzeit im ländlichen Deutschland für LGBTI*-Menschen aus?
Unsere Landesverbände aus den ländlichen Regionen berichten uns, dass die Situation für queere Jugendliche leider weiterhin herausfordernd bleibt. Politisch gibt es kaum Unterstützung für einen Ausbau der Community-Angebote. Die meisten werden zum Großteil ehrenamtlich getragen und sind von einzelnen engagierten Personen abhängig. Es fehlt an der nötigen Finanzierung, um Angebote zu erweitern und langfristig zu sichern. Gerade für die Jüngsten ist die Lage besonders schwierig. Diese haben oft noch einen kleineren Aktionsradius und können dadurch noch weniger Angebote wahrnehmen. Hinzu kommt, dass gesellschaftliche Wandlungsprozesse hinsichtlich queerer Themen in ländlichen Regionen oft deutlich langsamer verlaufen. Die Akzeptanz und Sichtbarkeit von queeren Personen sind in vielen ländlichen Gemeinschaften noch immer gering. Vorurteile und Diskriminierung sind an der Tagesordnung, was das Leben unnötig erschwert.
Es gibt ja bereits digitale Beratungsangebote für junge LGBTI*-Menschen, eure App soll deutlich mehr bieten. Kannst Du uns mehr erzählen?
Unsere Funktionen sind darauf ausgelegt, Raum für Vernetzung und Gemeinschaft zu bieten. Die Planung ist noch nicht endgültig: In einem Forum können queere Jugendliche ihre Fragen an andere queere Jugendliche stellen. Also nach dem Prinzip der Selbsthilfe, queere junge Menschen helfen sich gegenseitig. Doch nicht bei allen Fragen und Problemen ist dieser Ansatz der beste. Daher hat jede Person die Möglichkeit, sich mit dem Anliegen stattdessen an eine qualifizierte Beratungsstelle zu wenden, wo sie individuelle Unterstützung erhält. Über einen Feed sehen Jugendliche, was auf der Plattform gerade passiert. Welche neuen Fragen gibt es? Finden bald Events in meiner Nähe statt? Gibt es neue Beiträge in meinen Gruppen? Was wird gerade auf der Plattform gepostet? Das Besondere: Die Jugendlichen können einen Umkreis festlegen. So können sie sich mit der lokalen Community vernetzen und neue Menschen aus der Nähe kennenlernen. Der Angebotskalender bietet eine Übersicht mit geprüften Angeboten für queere Jugendliche. Bei unserer Planung lag ein großer Fokus darauf, eine Ergänzung zu bestehenden Angeboten zu sein. Entsprechend wird lambda space selbst keine qualifizierte Beratung durchführen, sondern mit bestehenden Angeboten zusammenarbeiten.
Ein großes Problem unter LGBTI*-Jugendlichen sind Aspekte wie Vereinsamung und Depressionen. Inwieweit kann hier ein digitales Angebot überhaupt helfen? Wäre es nicht besser, LGBTI*-Jugendliche wieder mehr zurück ins „reale Leben“ zu bringen?
Beides ist wichtig. Als bundesweiter Jugendverband bieten wir verschiedene Angebote für queere Jugendliche an – analog und digital. Die Frage unterstellt, dass nur der analoge Raum real ist. Es ist wichtig zu verstehen, dass die heutige Jugend hybrid lebt und das, was digital passiert, genauso real ist wie das, was analog passiert. Digitale Freund*innen, digitale Unterstützung, digitaler Austausch sind real. Hier spielen die Sozialisationserfahrung mit Medien eine große Rolle. Während ältere Generationen oft nur den analogen Raum als real erleben, schließt dies bei Generationen, die digital aufwachsen, auch den digitalen Raum mit ein. Wir positionieren uns klar für einen weiteren Ausbau der analogen Strukturen. Ebenso sind wir für die Erschaffung von Angeboten, die sich an dem Alltag queerer Jugendlicher orientieren. Und dieser Alltag ist analog und digital zugleich. Besonders für queere junge Menschen hat der digitale Raum eine wichtige Bedeutung, da er fehlende Ressourcen kompensieren kann. Wir haben das Gefühl, dass einige Menschen sich oft nur auf das konzentrieren, was online verloren geht. Wichtig ist aber auch zu sehen, was online gewonnen wird. Für uns ist es wichtig, sowohl die Risiken als auch die Chancen zu sehen. Das Internet ist und wird vermutlich auch immer ein ambivalenter Ort bleiben. Er ist einer der Orte, an denen queere Jugendliche am meisten Queerfeindlichkeit erfahren, gleichzeitig kann er Räume bieten, an denen sich junge Menschen sicher und verstanden fühlen.
Wie könnt ihr es mit der neuen App schaffen, dass LGBTI*-Jugendliche nicht noch mehr in ihre digitale Bubble eintauchen, die oftmals nicht der Realität entspricht?
Wichtig für uns ist, dass Jugendliche sich bewusst entscheiden können, wie sie ihre Zeit auf unserer Plattform gestalten möchten und durch keine gewinnorientieren Algorithmen beeinflusst werden. Es wird transparent kommuniziert, warum welche Inhalte angezeigt werden und Funktionen entwickelt, mit denen die Jugendlichen selbst festlegen können, welche Inhalte sie sehen möchten. Die von dir beschriebenen Bubbles sind oft ein Ergebnis der großen sozialen Plattformen. Die Inhalte, die Menschen auf den Plattformen halten, werden vermehrt ausgespielt. So kann es passieren, dass queere Jugendliche in Bubbles festhängen. Insbesondere die bewusste Erschaffung von positiven Bubbles kann aber auch eine Möglichkeit bieten, Wohlfühlräume zu erschaffen, die eine Auszeit von der Queerfeindlichkeit des Alltags bieten. Bei lambda space möchten wir einen Ort schaffen, der Begegnungen ermöglicht. Jugendliche können sich bewusst in Wohlfühlräumen aufhalten. Gleichzeitig sollen moderierter Austausch und Diskurse auf lambda space ihren Platz finden.
Jeder dritte LGBTI*-Jugendliche hat bis heute keine Angebote für Community-Treffen in seiner Nähe. Das ist ein sehr trauriges Fazit, auch nach mehreren Jahren Ampel-Regierung. Habt ihr euch hier als Verein mehr erwartet von der Politik?
Wir spüren durchaus, dass viele Politiker*innen uns und unseren Anliegen wohlgesonnen sind. Leider spiegelt sich dies nicht in dem wider, was dann wirklich umgesetzt wird. Es gibt immer noch gravierende Lücken und unzureichende Maßnahmen, die dringend angegangen werden müssen. Eine wichtige Rolle hierbei spielt der Kinder- und Jugendplan des Bundes, auch unsere Arbeit wird zum Großteil aus dem KJP finanziert. Leider ist eine angemessene Erhöhung der Förderung schon länger überfällig und absolut essentiell, um unsere Angebote langfristig abzusichern.
Viele LGBTI*-Jugendliche leiden auch unter dem Rechtsruck in der Gesellschaft oder den steigenden Fällen von Hasskriminalität. Wie könnt ihr sicherstellen, dass eure App tatsächlich ein Safe Space ist und bleibt?
Die Sicherheit der Nutzer*innen hat für uns die höchste Priorität. Die App wird von einem geschulten Moderationsteam begleitet, das sowohl Expertise in Community-Management als auch in digitaler Jugendarbeit mitbringt. Um ein Angebot zu erschaffen, das sowohl sicher als auch attraktiv ist, sind gemeinsame Diskussionsrunden mit unserer Zielgruppe und IT-Expert*innen geplant. Außerdem ist ein wichtiger Stichpunkt die Kontrolle über die eigenen Daten und die eigene Sichtbarkeit auf der Plattform. Jugendliche sollen selbst entscheiden können, wie sichtbar sie sind und wer welche Informationen sehen kann.
Ihr wollt mit lambda space verstärkt auch den Fokus auf die mentale Gesundheit von LGBTI*-Jugendlichen legen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, das hohe Suizidrisiko zu senken. Wie kann das gelingen?
Wir möchten mit lambda space auf zwei wesentlichen Ebenen zur Verbesserung der mentalen Gesundheit von queeren Jugendlichen beitragen: durch die Schaffung sicherer Online-Räume und den Zugang zu qualifizierter Unterstützung. Eine US-Studie von „The Trevor Projekt“ hat gezeigt, dass queere Jugendliche, die sich in mindestens einem Online-Raum sicher und verstanden fühlen, ein um 20 Prozent geringeres Suizidrisiko haben. Die Zwischenauswertung unserer Umfrage ergab, dass 51 Prozent der queeren Jugend in Deutschland sich in keinem Online-Raum sicher und verstanden fühlt. Mit Blick auf die Auswirkungen, die solche Orte auf die mentale Gesundheit haben können, ist dieses Ergebnis erschreckend und unterstreicht die Dringlichkeit eines Angebotes wie lambda space.
Mit welchen Problemen kämpfen junge LGBTI*-Menschen aktuell?
Wir beobachten eine Vielzahl von Herausforderungen. Es mangelt an leicht zugänglichen und niedrigschwelligen Angeboten. Queere Jugendliche erleben nach wie vor häufig Diskriminierung und Ausgrenzung in verschiedenen Lebensbereichen, sei es in der Schule, bei Freizeitaktivitäten oder im öffentlichen Raum. Auch die fehlende Akzeptanz innerhalb der eigenen Familie ist ein großes Problem. Außerdem stellt der Prozess der Selbstfindung und des Coming-Outs für viele eine große Herausforderung dar.
Wie sind die bisherigen Feedbacks zum Prototyp der neuen App?
Bisher sind die Rückmeldungen sehr positiv. Ganze 97 Prozent geben an, dass sie lambda space auf jeden Fall nutzen würden oder zumindest mal testen. Das freut uns sehr, da dies zeigt, dass die Nachfrage nach einem digitalen queeren Jugendzentrum definitiv existiert. Die Jugendlichen haben auch große Lust, sich ehrenamtlich im Rahmen des Projektes zu engagieren. Die meisten würden lambda space nutzen, um Menschen mit ähnlichen Interessen und Menschen in ihrer Nähe kennenzulernen. Auch das Entdecken von Angeboten und ein Gefühl der Zugehörigkeit wurden oft genannt. Für Menschen unter 18 Jahren spielt Hilfe beim Coming-Out und dem Selbstfindungsprozess nochmal eine besonders große Rolle.
Wenn alles klappt, wo siehst Du lambda space in ein paar Jahren?
Queer und jung zu sein kann sich manchmal verdammt einsam anfühlen und Herausforderungen mit sich bringen, die Außenstehende nur schwer verstehen. Ich wünsche mir, dass lambda space ein Ort wird, an dem queere Jugendliche Gemeinschaft, Akzeptanz und Unterstützung erfahren. An dem sie fühlen können, dass sie nicht alleine sind und sich mit Menschen austauschen können, die genau verstehen, wie es ihnen geht. lambda space ist ein Projekt von und für queere Jugendliche.
Nick, vielen Dank dir für das Gespräch.