Das große Tabu Besonders betroffen sind junge LGBTI*-Menschen
Einsamkeit – wie fühlt sich das tatsächlich an? Und warum sind vor allem gerade auch junge LGBTI*-Menschen in besonderer Weise davon betroffen? Können wir überhaupt etwas dagegen tun in diesen verrückten Zeiten zwischen Ukraine-Krieg, politischem Rechtsdrall und steigender Hasskriminalität?
Mit einer Aktionswoche wollte das Bundesfamilienministerium im Juni das Thema Einsamkeit stärker in den Fokus der Öffentlichkeit bringen, wirklich langfristig geglückt ist dies ganz offensichtlich nicht. Nach einem kurzen Aufflackern im Mediendschungel verschwand das unliebsame Thema sofort wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung, auch innerhalb der Community. Es ist und bleibt ein Tabu.
Große Einsamkeit bei der Jugend
Wie wichtig ein genauer Blick darauf wäre, offenbaren mehrere Studien der letzten Monate. Die Bertelsmann-Stiftung zeigte in ihrer Umfrage auf, dass vor allem junge Menschen im Alter zwischen 19 und 22 Jahren davon verstärkt betroffen sind, also genau jene Generation, die sich inzwischen zu 22 Prozent als LGBTI* definiert (Ipsos-Studie 2023). Fast die Hälfte der 19-bis-22-Jährigen ist von Einsamkeit betroffen. Rund 35 Prozent fühlen sich dabei „moderat einsam“, elf Prozent sind „stark einsam“. Dazu kommt in der gesamten Altersgruppe von 16 bis 30 Jahren eine mäßige Lebenszufriedenheit.
Die jüngsten Daten decken sich mit Erhebungen von LGBTI*-Beratungsvereinen wie dem Coming Out Day Verein oder anyway in Köln. Während der Corona-Zeit sind gerade unter LGBTI*-Jugendlichen die Gefühle von Einsamkeit massiv noch einmal angestiegen, damit einhergehend depressive Verstimmungen bis hin zu Gedanken rund um einen möglichen Suizid. Das große Problem: Die bisherigen Entwicklungen deuten stark darauf hin, dass sich die Situation in der jungen LGBTI*-Generation auch mit Ende der Pandemie nicht wieder verbessert hat. Kurz gesagt: Die LGBTI*-Jugendlichen scheinen dauerhaft im Krisenmodus festzustecken. Ähnliches halten auch die Forscher der Bertelsmann-Stiftung fest: „Die Zunahme der Einsamkeit scheint in dieser Altersgruppe nachhaltig zu sein.“ Warum diese Entwicklung allerdings weiter fortschreitet, ist bis heute nicht abschließend geklärt, allein durch die Kontaktbeschränkungen der Pandemie könne man sich die Sachlage allerdings nicht erklären, so die Autoren der Studie weiter.
Keine einfache Ursachenforschung
Wahrscheinlich spielen auch „sich wandelnde Kommunikations- und Umgangsformen“ eine Rolle. Am Ende bedarf es so offenbar dringend mehr Ursachenforschung, warum die Generation Z und damit auch viele LGBTI*-Jugendliche im „allgemeinen Krisenmodus“ feststecken. Für die Forscher ist klar: Junge Menschen gehören inzwischen zur „neuen Risikogruppe“ für Einsamkeit. Diese Entwicklung deckt sich mit Daten des Bundesamtes für Statistik vom Juli dieses Jahres. In Zusammenarbeit mit der europäischen Statistikbehörde Eurostat zeigt die Untersuchung die Lebenssituation in Deutschland sowie in Europa auf.
Die Kernaussage: In der Bundesrepublik leben anteilig deutlich mehr Menschen allein als in den meisten anderen Staaten der Europäischen Union. Im Jahr 2023 betrug der Anteil Alleinlebender an der Bevölkerung hierzulande 20,3 Prozent – und lag damit stark über dem EU-Durchschnitt von 16,1 Prozent. Umgerechnet auf die LGBTI*-Community bedeutet dies, dass rund 2,07 Millionen homosexuelle und queere Menschen in Deutschland allein leben – jeder Fünfte. Die, im europäischen Vergleich sehr hohe Rate von alleinlebenden LGBTI*-Menschen dürfte die Problematik rund um Gefühle der Einsamkeit bis hin zur Depression wahrscheinlich noch einmal mit befeuern.
Europa im Vergleich
Nur in den fünf europäischen nördlich gelegenen Staaten Finnland (25,8%), Litauen (24,6%), Schweden (24,1%), Dänemark (23,5%) und Estland (21,5%) wohnen im EU-Vergleich anteilig noch mehr Menschen allein. Besonders gesellig sind die Menschen indes in der Slowakei (3,8%), Zypern (8,0 %) und Irland (8,3%). Bedenklich dabei ist auch ein weiterer Trend: Der Anteil der alleinlebenden Personen stieg zwischen 2013 und 2023 in fast allen Staaten der EU deutlich an. Lebten 2013 im EU-Durchschnitt noch 14,2 Prozent der Bevölkerung allein, waren es 2023 bereits 16,1 Prozent.
Den größten Anstieg in diesem Zeitraum verzeichneten Bulgarien (+9,3 Prozentpunkte), gefolgt von Litauen (+8,5 Prozentpunkte) und Finnland (+6,2 Prozentpunkte). Ein weiteres Problem, von dem besonders auch ältere Homosexuelle oft betroffen sind: Ältere Menschen leben fast doppelt so häufig allein wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Im Jahr 2023 lebten so in der EU 31,6 Prozent der Menschen ab 65 Jahren allein in einem Haushalt. In Deutschland lag der Anteil in dieser Altersgruppe sogar bei 34,6 Prozent.
Ist eine Trendwende möglich?
Ein Leben, allein und in Einsamkeit? Muss so das Leben vieler LGBTI*-Menschen wirklich aussehen – und das schlimmstenfalls bereits mit jungen Jahren? Damit dieser Trend gebrochen werden kann, wünschen sich die Autoren der Studie der Bertelsmann Stiftung gerade mit Blick auf junge Menschen dringend Lösungen, die „wirklich ihren Bedürfnissen entsprechen und ihnen helfen, sich weniger isoliert zu fühlen.“
Dabei könne man durchaus aus den positiven Erfahrungen anderer Länder lernen und müsse vor allem jungen Leuten selbst stärker zuhören. Bundesfamilienministerin Lisa Paus hatte dazu schön aber wenig konkret im Juni zuletzt erklärt, man müsse das Thema Einsamkeit auch gesamtgesellschaftlich aus der Tabuzone holen. Das stimmt, aber wie genau? Wie lässt sich das Leben gerade von jungen LGBTI*-Menschen verbessern?SCHWULISSIMO fragte konkret nach bei Sven Norenkemper, Vorstand des Coming Out Day Vereins, der tagtäglich LGBTI*-Jugendliche berät und Ihnen zur Seite steht.
Warum ist die junge LGBTI*-Community besonders anfällig für Einsamkeit?
Queere Jugendliche sind oft mit mehreren Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert. Einerseits gibt es die allgemeine Unsicherheit und Identitätssuche, die alle Jugendlichen durchmachen. Andererseits müssen LGBTI*-Jugendliche zusätzlich mit Diskriminierung, Ablehnung und manchmal auch Gewalt umgehen. Diese Mehrfachbelastung kann dazu führen, dass sie sich isoliert fühlen, defacto es auch nicht selten sind. Ein weiterer Faktor ist das Fehlen von Vorbildern und sicheren Räumen, in denen sie sich frei und akzeptiert fühlen können. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist an vielen Stellen zwar gestiegen, aber in vielen anderen Bereichen nehmen Vorurteile und Ausgrenzung erschreckenderweise wieder stark zu.
Wie groß schätzen Sie das Problem der Einsamkeit unter LGBTI*-Jugendlichen ein?
Aus unserer täglichen Erfahrung können wir sagen, dass das Problem der Einsamkeit unter LGBTI*-Jugendlichen sehr groß ist. Vor dem Coming-out oftmals das Größte überhaupt. Viele von ihnen fühlen sich missverstanden und isoliert, sowohl in der Schule als auch zu Hause. Die Zahlen der Bertelsmann-Stiftung bestätigen das, und ich würde sogar vermuten, dass die Dunkelziffer noch höher ist. In unseren Beratungen hören wir immer wieder von Jugendlichen, die sich allein gelassen fühlen und keine Ansprechpartner:innen haben, denen sie vertrauen können.
Warum alarmieren die Zahlen zur Einsamkeit nicht in der nötigen Breite?
Einsamkeit ist noch immer ein Tabuthema, quer durch die ganze Gesellschaft! Das bricht gerade erst langsam auf und erlangt Aufmerksamkeit. Viele Menschen, auch in der LGBTI*-Community, sprechen nicht gerne darüber, weil es als Schwäche angesehen wird oder entgegnet wird, dass es die „eigene Schuld“ sei. Zudem gibt es oft eine Diskrepanz zwischen dem, was Studien zeigen, und dem, was in der öffentlichen Wahrnehmung ankommt. Es fehlt an Sensibilisierung und Aufklärung, sowohl in der Gesellschaft als auch in den Medien. Von daher gut, dass Sie sich diesem Thema annehmen.
Wie würden Sie die aktuelle Situation der LGBTI*-Jugendlichen im Sommer 2024 beschreiben?
Wir würden so gerne einmal etwas Neues, Positives berichten – das geben unsere Erfahrungen und die Studienlage aber leider nicht her. Die Situation der LGBTI*-Jugendlichen im Sommer 2024 ist nach wie vor ernst. Die Pandemie ist für viele gefühlt Ewigkeiten her, hat aber viele bestehende Probleme nachhaltig verschärft, die Nachwirkungen sind noch immer spürbar. Viele Jugendliche kämpfen weiterhin mit Ängsten, Depressionen und dem Gefühl der Isolation. Die Anfragen beispielsweise in unserer Messenger-Beratung „Coming out... und so!“ sind weiterhin hoch und es gibt einen großen Bedarf an Unterstützung, an sicheren Räumen, an Begegnung.
Warum schaffen es viele LGBTI*-Jugendliche nicht mehr zurück „in den Normalzustand“?
Nicht nur LGBTI*, auch alle anderen Jugendlichen und vielleicht die ganze Gesellschaft befindet sich seit Jahren im ständigen Krisenmodus. Naben anderen Gruppen treffen Inflation und Energiepreise gerade junge Menschen im Studium, in der Ausbildung, im ersten Job besonders hart. Hier gibt es oft keine Rücklagen, mit denen mal eben etwas ausgeglichen werden kann. Wenn dann noch der Kontakt zu den Eltern ein schwieriger ist, sind viele queere Jugendliche auf sich allein gestellt. Plus: Die gesellschaftlichen und familiären Erwartungen, kombiniert mit der ständigen Angst vor Diskriminierung und Ablehnung, machen es schwer, zur Ruhe zu kommen.
Mit welchen Problemen kommen LGBTI*-Jugendliche zu Ihrer Onlineberatung?
LGBTI*-Jugendliche kommen mit einer Vielzahl von Problemen zu uns. Dazu gehören Mobbing und Diskriminierung in der Schule, familiäre Ablehnung, psychische Probleme wie Depressionen und Angststörungen, sowie Schwierigkeiten im Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung oder, ganz oft Thema, der Geschlechtsidentität. Ein großes Thema ist auch der digitale Hass, der in den letzten Jahren stark zugenommen hat.
Was muss konkret passieren, damit wir LGBTI*-Jugendlichen aus dieser Zwickmühle raushelfen können?
Es braucht umfassende Maßnahmen und alle haben auch mit der dafür notwendigen finanziellen Förderung zu tun. Dazu gehören mehr Aufklärung und Sensibilisierung in Schulen und in der Gesellschaft, der Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, sowie die Schaffung von sicheren Räumen, in denen sich Jugendliche frei entfalten können. Das alles geschieht nicht von allein! Ehrenamt ist eine wichtige Säule in unserer Gesellschaft und jeher auch in der queeren Community. Ehrenamt braucht aber auch hauptamtliche Strukturen, Verlässlichkeit, Sicherheit – dafür braucht es, wie in allen sozialen Bereichen, Mittel. Oft sprechen wir hier von wirklich überschaubaren Beträgen, die aber unglaublich viel bewegen können.
Was könnten wir von anderen Ländern lernen, die besser auf LGBTI*-Jugendliche eingehen?
Von anderen Ländern, insbesondere aus Nordeuropa, können wir lernen, wie wichtig eine umfassende und inklusive Bildung ist. Dort wird sexuelle und geschlechtliche Vielfalt oft schon früh in den Lehrplänen verankert, und es gibt viele staatliche Unterstützungsangebote für LGBTI*-Jugendliche. Diskriminierung wird dort auch umfassender betrachtet, Stichwort: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Homo- oder transfeindliche Ansichten können nicht wirksam bekämpft werden, wenn Rassismus, Antisemitismus oder anderen Formen der Menschenfeindlichkeit nicht ebenso entschieden begegnet wird.
Ist es heute schwieriger, schwul oder queer zu sein als früher?
Das kommt drauf an, was mit „früher“ gemeint ist und wie die Situation, das Umfeld der einzelnen Person ist oder war. Jedenfalls sind viele der Herausforderungen heute andere. Früher gab es sicherlich viel weniger breite Akzeptanz und (noch) mehr offene Diskriminierung, auch von staatlicher Seite. Dafür gab es keinen Hass, der dich über Social Media auch im privaten Raum findet, keine rechten Parteien in den Parlamenten. Die Komplexität der Herausforderungen, der Welt an sich, ist für uns alle unglaublich gewachsen – wir Erwachsene können dabei auf ganz viele Vorerfahrungen und unsere sozialen Netzwerke zurückgreifen, Jugendliche nicht. Die Schutzschilde sind sozusagen noch nicht so weit oben.
Warum ist das Thema Einsamkeit auch in der Community noch immer vielerorts ein Tabu?
Weil es oft als Schwäche angesehen wird, da unterscheidet sich die queere Community nicht von der Mehrheitsgesellschaft. Viele Menschen haben Angst, als „anders“ oder „nicht stark genug“ wahrgenommen zu werden. Zudem gibt es in Teilen der Community oft hohe Erwartungen an soziale und sexuelle Aktivitäten, was den Druck noch erhöht. Ältere schwule Männer kennen dieses Gefühl der Einsamkeit oft sehr gut, aber auch sie sprechen selten darüber.
Was sind aktuell die wichtigsten Bedürfnisse der LGBTI*-Jugend?
Die wichtigsten Bedürfnisse von jungen LGBTI* sind Akzeptanz, Gemeinschaft, Unterstützung und Räume, in denen sie einmal „die Mehrheit“ sind oder eben zumindest nichts Ungewöhnliches. Sie müssen erleben, dass es okay ist, so zu sein, wie sie sind. Sich vernetzen und auszutauschen können, sowohl online als auch offline. Unter dem Strich genau das, was Jugend ohnehin ausmacht. Aber queere Jugendliche schauen natürlich auch über die unmittelbaren, eigenen Bedürfnisse hinaus: sie merken genau, dass die Akzeptanz wenig wert ist, wenn der Planet zerstört ist oder Krieg droht. Das sind auch bei queeren Jugendlichen Themen, die ganz oben stehen.
Warum werden dann oftmals statistisch gesehen LGBTI*-Treffpunkte, Bars oder Clubs immer weniger genutzt?
Der Aussage an sich können wir nur bedingt zustimmen: Ja, in vielen Städten gibt es weniger Clubs oder Bars als früher, weil sich soziale Interaktionen stärker ins Private und ins Digitale verlagert haben. Schauen wir uns aber Gruppen, Vereine, Initiativen, Jugendtreffs und ähnliches an, hat dies in den letzten Jahren doch enorm zugenommen. Als vor über 26 Jahren das anyway in Köln eröffnet hat, war es das einzige queere Jugendzentrum in Deutschland, heute gibt es auch in kleineren Städten oft solche Angebote, auch wenn es flächendeckend immer noch eine Unterversorgung gibt. Es gibt Prides in kleinen Städten, hier und da sogar Dorf-Prides, das ist doch großartig! Regenbogengruppen für queere Eltern und deren Kinder, der große Bereich der Trans*-Initiativen, Gruppen für queere Senior:innen und so weiter haben alle massiv Zulauf und stehen vor der Herausforderung, dass dies alles nicht mehr nur ehrenamtlich gemanaged werden kann.
Müssen wir uns als Community auch selbst ein Stück weit in die Kritik nehmen?
Ein klares Ja! Die Community ist oft nicht so bunt und vielfältig, wie wir es gerne wären. Ältere queere Menschen, ganz junge, jene mit Migrationshintergrund, politisch eher Konservative, TIN* und noch jede Menge andere Personengruppen kommen selten vor. Oder sie werden als Motto beim CSD einmalig besonders hervorgehoben, doch dann verändert sich in der Community danach nur wenig, es ist nicht nachhaltig. Diese Ausgrenzung kann genauso schädlich sein wie die Diskriminierung von außen.
Wie gehen junge LGBTI*-Menschen mit der sexuellen Fokussierung in der Community um?
Die LGBTI* Community als Ganzes hat keine sexuelle Fokussierung, einzelne Buchstaben hierin vielleicht aber dafür umso mehr. Was völlig okay ist, wenn Du das möchtest. Auch viele männliche*, queere Jugendliche finden das toll. Noch mehr jedoch finden es aber super, super nervig. Nachdem ihr bisheriges Leben meist gar keine romantischen oder sexuellen Kontakte hatte, stehen viele von ihnen dann plötzlich im queeren Club oder im Onlineportal im Fokus. Und viele Jugendliche berichten da von übergriffigem Verhalten, egal, ob sie jetzt im real life angegrabscht werden, ungefragt anzügliche Sprüche kriegen, bewertet werden oder im digitalen Raum mit Dick-Pics und anderem zugeschüttet werden. Die Negativerlebnisse sind vergleichbar mit jenen, die junge Frauen* im Heterokontext machen. Die psychischen Auswirkungen auf queere Jungs* sind hier dann in der Tat oftmals ähnlich.
Ist eine Aktionswoche gegen Einsamkeit ausreichend?
One Shots bringen das Thema zwar kurzfristig auf die Agenda, es braucht aber wie immer und bei allem langfristige und nachhaltige Maßnahmen, um das Problem wirklich anzugehen. Dazu gehören mehr Aufklärung und Sensibilisierung, der Ausbau von Unterstützungsangeboten und die Schaffung von sicheren Räumen.
Was muss sich insgesamt in unserer Gesellschaft ändern?
Die Einstellung gegenüber Vielfalt und Anderssein muss sich weiter ändern. Es ist keine Bedrohung, ganz im Gegenteil, es ist unsere größte Chance. Es braucht mehr Aufklärung und Sensibilisierung, sowohl in Schulen als auch in der breiten Öffentlichkeit. Und es braucht konsequentes Handeln von Justiz und Polizei, wenn Ewiggestrige mit Hass, Hetze und Gewalt hiergegen vorgehen wollen. Auch hierfür braucht es übrigens die notwendigen Mittel – jede:r, der Mal eine Anzeige gestellt hat, weiß, wie überlastet die Staatsanwaltschaften sind.
Wie sollten LGBTI*-Jugendliche mit der Flut von bad news umgehen?
Wie sollten, wie können wir alle damit umgehen? Vielleicht irgendwie die Balance finden zwischen dem eigenen Engagement, der Kraft, Dinge zu verändern und dem bewussten Ausklinken aus der Gedankenspirale und den minütlichen Pushnachrichten über die nächste Katastrophe, die wir womöglich nicht selber beeinflussen können. Wenn Sie herausfinden, wie das geht, sagen Sie es mir gerne.
Mache ich, versprochen. Wo und wie nehmen LGBTI*-Jugendliche Queerfeindlichkeit besonders wahr?
LGBTI*-Jugendliche nehmen Queerfeindlichkeit an zwei Orten am stärksten wahr: im digitalen Raum und in der Schule. Antidiskriminierungsprojekte die mit Schulklassen arbeiten, wie beispielsweise „WiR* - Wissen ist Respekt“, berichten, dass sich immer häufiger ganze Schulklassen den Workshops verweigern, mit Beleidigungen sabotieren und queer nicht selten als krank ansehen, als Dekadenz der „westlichen Welt“ oder als Gender-Gaga. In solch einem schulischen Umfeld werden die meisten queeren Jugendlichen groß – ohne Chance, dem zu entkommen. Aus deiner Klasse, deiner Schule kommst Du nicht raus. Bis du 16 oder 18 bist, bist Du dieser Diskriminierung ausgeliefert. Auch wenn Du nicht out bist, das belastet enorm.
Was würden Sie jungen homosexuellen und queeren Menschen gerne auf ihren Weg mitgeben?
Du machst das schon genau richtig so und Vorsicht vor Ratschlägen!
Herr Norenkemper, vielen Dank für das Gespräch!