Schwule Altersarmut Anstieg von fast 40 Prozent der Betroffenen seit 2010
Einer von fünf Senioren lebt in Deutschland derzeit in Altersarmut – so die neusten Daten des Arbeitsministeriums. Davon besonders betroffen sind die rund 800.000 bis eine Million schwuler Rentner, die oftmals durch ihren Lebenslauf auch im Alter weiterer Diskriminierung und finanziellen Einbußen ausgesetzt sind. Alarmierend dabei ist, dass die Zahl der älteren Menschen in Altersarmut binnen der letzten zehn Jahre um rund 39 Prozent angestiegen ist.
Mehr Einsatz für LGBTI* gefordert
Das geht aus einem Bericht des Redaktionsnetzwerkes Deutschland hervor, welches wiederum auf die Antwort des Arbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion zurückzuführen ist. Die queer-politische Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, forderte so bereits im letzten Jahr gegenüber SCHWULISSIMO, dass die Ampel-Koalition mehr für die Grundsicherung von queeren Menschen tun müsse: „Eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung gerade für queere Menschen ist eine humanistische Notwendigkeit. Die steigenden Lebenshaltungskosten betreffen arme und prekär beschäftigte queere Menschen mit besonderer Härte!“
Beschämung und Rückzug im Alter
Doch was bedeutet eigentlich arm? Derzeit leben rund 18 Prozent der knapp 20 Millionen Rentner ab 65 Jahren mit einem Einkommen von weniger als 1.135 Euro im Monat. Im Jahr 2010 waren es noch 13 Prozent. Bei steigenden Mieten und Energiekosten wird ein Leben so immer schwieriger finanzierbar. So hält der Bundesverein der Interessenvertretung für schwule Senioren fest: „Altersarmut ist Teil eines, zuletzt immer intensiver geführten, gesellschaftlichen Diskurses über Armut, soziale Gerechtigkeit und Spaltung der Gesellschaft. Armut im Alter geht oft einher mit Beschämung und Rückzug. Soziale Teilhabe bleibt dann auf der Strecke. Diese Erfahrung haben wir auch in unserer Arbeit mit den Gruppen älterer Lesben und Schwulen gemacht. Die Forschung zur sozialen Situation von älteren Lesben und Schwulen befindet sich erst am Anfang.“
Der lange Schatten von Paragraf 175
Viele heutige schwule Rentner sind in ihrem Leben auch noch mit dem berüchtigten Paragrafen 175 (Verbot von schwulem Sex) in Kontakt gekommen, wurden verurteilt oder inhaftiert oder fanden oftmals über Jahre aufgrund ihrer Sexualität keine Festanstellung. Draus resultierend gingen viele schwule Senioren dann mit einem monatlichen Minimalbetrag in die Rente. Auch nach der Streichung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 und der öffentlichen Entschuldigung seitens der Bundesregierung mussten viele Senioren teils vergeblich darum kämpfen, dass beispielsweise inhaftierte Jahre aufgrund des Paragrafen 175 der Rente angerechnet wurden.
Erneute Traumata im Pflegeheim
Ein anderer Aspekt betrifft die Diskriminierung selbst. Bei vielen älteren Homosexuellen gerade mit HIV hat sich durch die oftmals sehr leidvollen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auch ein gewisses Schuldgefühl sowie eine Scham manifestiert, denen oftmals bis heute sehr schwer rational beizukommen ist. Das muss auch bei der Altenpflege berücksichtigt werden. So stellt beispielsweise die Evangelische Landeskirche sowie der Verein AltenPflegeHeimSeelsorge Württemberg fest: „Wenn homosexuelle Menschen pflegebedürftig werden und in ein Pflegeheim müssen, unterscheiden sie sich in vielen Fragen nicht von anderen Pflegebedürftigen. Aber es gibt einige spezielle Themen, die für eine seelsorgerliche Begleitung von Bedeutung sind. Pflegekräfte und Seelsorgerinnen und Seelsorger sollten hier eine besondere Sensibilität zum Ausdruck bringen.“
Dazu kommt auch, dass es zwar gesellschaftlich allgemein weniger Diskriminierung gegenüber Homosexuellen gibt als noch vor einigen Jahrzehnten, doch treffen in gemischten Seniorenheimen ältere Homosexuelle auf jene anderen Hochaltrigen, die durch ihre Prägung nach wie vor Vorbehalte gegenüber anderen sexuellen Prägungen haben können. So kann das Leben in einem Pflegeheim als älterer schwuler Mann abermals zu einem Trauma werden.