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Der türkische Präsident Erdoğan und die LGBTI*-Community

Das Lied von Familienwerten Im türkischen Wahlkampf wird die Homophobie einmal mehr en vogue

ms - 10.10.2022 - 14:00 Uhr

[Kommentar] Während es bei der Kult-Serie Game of Thrones um das “Lied von Eis und Feuer“ ging, trällert uns der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan einmal mehr das Lied von Kinderschutz und Familienwerten. Man müsse, so beim Barte des Erdoğans, die traditionellen Familienwerte stärken und dazu seien massive Schritte gegen sexuelle Minderheiten voranzutreiben, man wolle tun, was „nötig ist“, so der 68-jährige Politiker weiter. So ernst die Androhungen mit Sicherheit auch zu nehmen sind und sich zudem perfekt in den Kanon des homophoben Männergesangsvereins aus Ungarn, Polen, Brasilien und Russland einbetten lassen, so altbekannt sind die immergleichen Scheinargumente um den Schutz der Kinder.

Erdoğan selbst erklärte gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu auch weiter: “Eine starke Nation setzt eine starke Familie voraus. In letzter Zeit haben sie der Gesellschaft LGBT untergejubelt. Mit LGBT streben sie danach, unsere Familienstruktur zu degenerieren”. Mit “sie“ dürfte Erdoğan dabei wohl den Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratischen CHP meinen, der als möglicher Gegenkandidat für die Präsidentschaftswahl im Juli 2023 gehandelt wird. Kurzum, auch dieses Lied ist uns altbekannt: Je näher die Wahlen rücken, desto lieber hetzen wir gegen Homosexuelle, denn das scheint bis heute bei einem gewissen Wählerklientel gut als Motivationshilfe zu funktionieren. Erdoğan scheint indes die Stellschrauben weiter anziehen zu wollen, immer öfter ist davon die Rede, dass er Nachrichtenseiten und Informationsplattformen im Internet stark einschränken oder ganz sperren lassen will – das entsprechende Gesetz liegt aktuell zur Verabschiedung beim türkischen Parlament. Erdoğan ist für die LGBTI*-Community in der Türkei bereits ein bekannter Gegenspieler, immer wieder griff er die Gemeinschaft an. 2021 noch erklärte er beispielsweise, LGBTI* gäbe es gar nicht, an anderer Stelle erklärte er, die LGBTI*-Community, die es ja gar nicht gibt, sei eine Gruppe von Vandalen.

Vielleicht wäre es hilfreich, all den Herren von Erdoğan bis Trump, von Bolsonaro bis Orban zu erklären, dass die Zeiten der Altherren-Gesangsvereine nur noch eine Nische in der politisch-musikalischen Welt sind. Auch die Boygroups haben ihre beste Zeit hinter sich, wobei keiner der Herren jemals schon rein optisch dazu geeignet gewesen wäre, ein Mitglied einer solchen Truppe zu sein. Zu eigen ist allerdings sowohl den Altherren-Gesangsvereinen als auch den singenden Boys, dass einige von ihnen zumeist der gleichgeschlechtlichen Liebe nicht abgetan sind. So kann man Erdoğans neuste Attacken gegen die LGBTI*-Community einmal mehr als altbekannte Hass-Triaden verstehen oder sich gespannt mit Blick auf diese einzigartige homophobe Männertruppe fragen: Wer von den Herren spielt vielleicht heimlich selbst fürs schwule Team? Bei der oftmals ins Falsett gleitenden Schrei-Stimme von Erdoğan während seiner Hass-Reden vor Publikum hätte ich ja bereits einen Kandidaten ausgemacht. 

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