Gaby Lurex vom Barkeeper zum Travestiestar
Sie ist eine Ikone und noch vielen als perfekte Verkörperung von Shirley Bassey in Erinnerung. Sie lud SCHWULISSIMO in ihre „Burg“, um in Erinnerungen zu schwelgen. Da sie die Illusion ihrer schillernden Kunstfigur nicht beschädigen möchte, haben wir ihrem Wunsch entsprochen und kein aktuelles Foto gemacht.
Zuerst einmal nachträglich „Herzlichen Glückwunsch“ zu ihrem 75. Geburtstag. Haben sie ausgiebig gefeiert?
Ich habe gut gefeiert, das eine oder andere Kölsch hat noch geschmeckt. Und die größte Überraschung war, dass mir Shirley Bassey persönlich am Telefon gratuliert hat.
Erzählen sie uns von ihrer Kindheit.
Ich bin als Bernhard in Andernach geboren und habe dort sechs Jahre im Kinderheim verbracht. Dann hat meine Mutter neu geheiratet und mich wieder in die Familie aufgenommen. So bin ich in Vallendar bei Koblenz aufgewachsen - mit zwei Schwestern und zwei Brüdern. Allerdings kam ich mit meinem Stiefvater nicht klar. Das war aber das Einzige, was nicht gut war.
Wovon haben Sie als Kind geträumt?
Ich hatte eine glückliche Kindheit und habe als Jugendlicher auch nichts anbrennen lassen, wie man heute so sagt. Ich war beim Karneval dabei und irgendwie hat mich die Bühne auch schon interessiert, ich wollte immer in die Großstadt. Im Dorf war es schön, aber mir war alles zu eng.
Hatten sie das Gefühl, anders als die anderen Kinder zu sein?
Es lief alles gut, bis ich sehr früh merkte, dass ich schwul bin. Ich habe meinem Turnlehrer schon heimlich unter die Hose geschaut. Er hatte ein schönes Gesicht und war insgesamt ein sehr attraktiver Mann. Als der Stiefvater mein Schwulsein mitbekam, schleppte er mich von einem Doktor zum nächsten und forderte: machen sie DAS bei dem Jungen weg. Er hat mir keine Ruhe gelassen, so dass ich mit 18 Jahren abgehauen bin. Dazu muss man wissen, dass man damals erst mit 21 Jahren volljährig war. Meine Mutter habe ich angerufen, um sie zu beruhigen - da wollte der Stiefvater schon eine polizeiliche Suchaktion starten. Ich habe sie gebeten, dem Vater das zu untersagen, sonst würde ich ihn anzeigen, da er mich immer verprügelt hat. Danach habe ich nichts mehr von ihm gehört.
Welchen Berufsweg wollten sie nach der Schulzeit einschlagen?
Ich war der Gastronomie zugetan und habe zuerst in München als Barkeeper gearbeitet. Da hatte ich meinen ersten Freund, der kam aber für lange Zeit ins Gefängnis und so habe ich unseren gesamten Hausrat verkauft. Das war mein Kapital für den Start im damals ummauerten Berlin. Ich habe vier Jahre im Trocadero gearbeitet, wo die Berliner Travestie Ikone Romy Haag ab und zu mit Zaza de Paris und Bob Lockwood zu Gast war. Das waren damals die Stars in der Travestieszene und später auch meine Vorbilder.
Junge Leute suchen Aufmerksamkeit und Fame. Deren Pulverfass hat die Namen DSDS, Top-Model und Trash-TV, wann entstand bei Ihnen der Wunsch zur Show-Bühne?
Ich habe mir das nicht gewünscht. Eines Tages eröffnete mir die wunderbare Romy Haag, dass sie ihren eigenen Laden aufmachen möchte und ob ich mir vorstellen könnte, da hinterm Tresen mitzumachen.
Ich bin also von Anfang an bei „Chez Romy Haag“ dabei gewesen, habe den Laden mit ausgebaut, renoviert und hinter dem Tresen gestanden. Eines Tages fragte mich Romy, welcher Star mir gefällt, worauf ich antwortete: Shirley Bassey. Darauf sagte sie: „Gut dann trittst du als Shirley Bassey auf!“ Das war mein Anfang als Travestiekünstler.
Wie ging es dann weiter?
Ich hatte ja keine Ahnung vom Schminken und war anfangs das, was ich heute als Spaßnummer bezeichnen würde. Bob Lockwood, der perfekt Marylin imitierte, zeigte mir, wie man sich richtig schminkt. Das passte Romy nicht, weil sie wollte ja keine Konkurrenz im eigenen Haus. Sie trat selbst mit „This Is My Live“ auf, wo sie sich am Ende die Perücke vom Kopf reißt. Diese Nummer habe ich später 35 Jahre lang übernommen.
Warum Shirley und nicht Hilde, Zarah oder Marlene?
Ich fand an Shirley alles gut: Ihre Musik, ihre Stimme, die Bewegung ihrer Hände bei ihren Auftritten haben mich fasziniert, ihre Augen, ihre Präsenz, wenn ihr bei gesanglicher Anstrengung, die Adern hervortraten. Sie war Energie pur. Später habe ich aber auch Tina Turner und Nana Mouskouri parodiert. Aber man hat mich immer als Shirley Bassey engagiert.

Das Pulverfass ist Hamburgs bekanntestes Travestie-Theater. Sie waren „Die Sensation“. Wie kamen Sie dorthin?
Zuerst kam das Angebot von einem anderen Cabaret, das mehr Gage bot und ich verließ „Chez Romy Haag“. Dort sah mich ein Agent vom Pulverfass, der mich 1976 sozusagen „einkaufte“. Die Chemie stimmte und so hatte ich mein Cabaret gefunden. Eine gute Freund/in, die Catarina Valente parodierte, hat mich dann überredet, mal in Köln oder Mönchengladbach aufzutreten und so begann die Zeit meiner Tourneen. Ich war fast überall in Deutschland, in Zürich, in Wien, und sogar in Reit im Winkel bei Maria und Margot Hellwig und sollte im Dirndl als Nana Mouskouri aufgetreten. Vier Jahre lang stand ich mit dem Kabarettisten Dr. Ludger Straatman auf der Bühne. Das Pulverfass blieb aber immer meine erste Adresse.
Haben Sie Shirley persönlich kennen gelernt?
Ja, ich hatte das Glück und sie gab mir den Rat: „Machen sie das gut und machen sie das weiter. Es ist auch gut für meine Plattenverkäufe!“ Und einmal sind wir uns als Shirley und Shirley sogar begegnet, wovon noch ein Foto zeugt.
Hat ihre Familie mitbekommen, dass sie auf der Bühne stehen?
Meine Mutter, meine Tante und meine zwei wunderbaren Schwestern haben mich einmal im Kölner TIMP besucht. Begeistert waren sie nicht, sie kamen ja vom Dorf. Meine Mutter fragte erstaunt: „Woher kannst du eigentlich so gut Englisch, das hast du doch nicht in der Schule gelernt?“ Ich denke, sie waren schon stolz auf mich.
An was erinnern Sie sich am liebsten?
Wenn ich zurückblicke, finde ich gar nicht, dass ich so ein Star war. Es kommt mir manchmal vor, als hätte ich das alles nur geträumt.
In dieser Zeit entstanden Freundschaften und Bekanntschaften, auch wenn einige sich schon von der Bühne des Lebens verabschiedet haben. Mary und Gordi lernten sich im Pulverfass kennen und starteten von hier ihre großartige Kariere – Mary war erst vor ein paar Monaten bei mir zu Hause zu Besuch.
Ab einem bestimmten Alter fing die Golden Girl Zeit an? Heute leben Sie - wie Marlene Dietrich - zurückgezogen.
Leider ja, das liegt aber an gesundheitlichen Problemen, ich würde gern öfter noch mal ausgehen, aber da bin ich auf Unterstützung angewiesen und da bin ich vielleicht zu schüchtern oder zu stolz jemanden zu fragen. Aber ich habe liebe Menschen, die mir helfen und mich unterstützen bei den alltäglichen Dingen; vielen Dank Anja. Ich gebe ehrlich zu, ich bin auch ganz gern alleine und nicht einsam dabei.
Die heutigen Travestiekünstler nennen sich Dragqueens. Ist das noch mit vergleichbar mit der Kunst der Travestie, die sie verkörpert haben?
Ich weiß nicht, aber ich sehe sie nicht als Travestiekünstler. Sie übertreiben im Schminken. Lippensynchron kann kaum noch jemand. Es ist nicht mehr stimmig. Aber vielleicht ist es so, wie auch in meiner Zeit, dass es immer eine Unzahl Künstler gibt, und am Ende können nur die wirklichen Stars überzeugen und in Erinnerung bleiben?
Wie sah es in dieser ihrer Zeit mit Akzeptanz und Toleranz aus?
Besser als heute. Früher ging ich im Fummel nach durchfeierter Nacht am Ku’damm durch Berlin. Da hat keiner mit dem Finger auf dich gezeigt oder gepöbelt, nein, sie wollten eher ein gemeinsames Foto. Wir haben auch nicht provozieren wollen. Wir waren so geschminkt, da haben uns die Männer hinterher gepfiffen.
Romy Haag hatte eine Love-Affair mit David Bowie. Zarah gestand musikalisch „Ich liebe jeden, der mir gefällt“ Und Marlene offenbarte: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt". Wie war das bei Ihnen mit der Liebe?
Ganz ehrlich, da waren viele, aber meistens nur Bekanntschaften. Ich war ein paar Mal verliebt, aber für eine feste Bindung war ich viel zu viel unterwegs. Es wartet doch keiner auf dich zuhause.
Welchen Wunsch haben sie noch?
Vor allem Gesundheit. Ich wäre gern noch einmal in Hamburg. Und ich war noch niemals in Paris oder in England. Aber darf ich auf diesem Weg, Romy, Zaza, sowie Mary in der Schweiz ganz herzlich grüßen, da es mir schwerfällt, sie selbst zu besuchen.
Liebe Gaby Lurex, wir danken ihnen sehr für dieses schöne Gespräch.